„Veni Redemptor Gentium“ und „Nun komm der Heiden Heiland“

1. Dezember 2019 in Spirituelles


Der uralte Hymnus von Bischof Ambrosius von Mailand wandelte sich allmählich vom Weihnachtslied zum Advents-Choral und wurde zu einem der schönsten Choräle der adventlichen Zeit überhaupt. Gastbeitrag von Juliana Bauer


Linz (kath.net) Der Hymnus war ursprünglich ein weihnachtlicher Gesang. Er stammt aus der Feder des Bischofs Ambrosius von Mailand und verbreitete sich von dort in allen Bistümern der lateinischen Kirche. Man kann ihn als das wohl älteste „Weihnachts-Lied“ der lateinischen Christenheit betrachten. Sein Text, der die Menschwerdung Christi zum Thema hat, stellt uns ein anschauliches Beispiel der zahlreichen liturgischen Hymnen vor Augen, die Ambrosius während seiner Jahre als Bischof (374 – 397) schuf. Rund tausend Jahre später wandelte sich der Hymnus, zumindest im deutschen Sprachraum, allmählich zu einem Advents-Choral und wurde zu einem der schönsten Choräle der adventlichen Zeit überhaupt. Mit dem Beginn des diesjährigen Advents soll daher Hymnus und Choral eine Betrachtung gewidmet werden.

Im ambrosianischen, in Latein gehaltenen Original stellt der Vers Veni redemptor gentium = Komm, Erlöser der Völker den zweiten des achtstrophigen Hymnus‘ dar. Der Hymnus beginnt mit einer Strophe, die Ambrosius eng an die Verse 2 und 3 von Psalm 80 anlehnte:
Intende, qui regis Israel

Höre, der du herrschest über Israel
Der du thronest über den Cherubim
Erscheine vor Ephraim, richte auf
Deine Macht und komm
Daran schließt sich das Komm Erlöser der Völker an:
Veni redemptor gentium

Komm Erlöser der Völker
Zeige uns die Geburt aus der Jungfrau
Staunen soll alle Zeit (oft mit „alle Welt“ übersetzt)
Eine solch‘ Geburt geziemet Gott

Beide Verse stimmte der Bischof inhaltlich wie stilistisch aufeinander ab, sodass durch den Verzicht auf Vers 1, wie er im Mittelalter üblich wurde, nicht nur die biblische Gesamtaussage verloren ging, sondern in sämtlichen späteren Übertragungen auch die Strophe wegfällt, die den eigentlichen Ausgangspunkt zu dem Wandel vom Weihnachts- zum Adventshymnus bildete.

In Strophe 1 führt Ambrosius den Gläubigen gleichermaßen die göttliche Herkunft Jesu wie auch seine Abstammung aus dem Volk Israel vor Augen. Durch seine Anrufung als den, der „herrschet über Israel“ und „über den Cherubim thront“, wird Christus als mächtiger Herrscher angesprochen und mit Jahwe, d.h. mit Gott selbst, den der Psalmist herabruft, gleichgesetzt. Fast drängend wirkt die Bitte des Psalmisten um das Erscheinen Jahwes:
Du Hirte Israels, der du Josef leitest wie eine Herde, höre doch!
Der du thronest auf den Cherubim, erscheine glanzvoll!
Vor Ephraim, Benjamin und Manasse erwecke deine Macht
und komm zu unserer Rettung (Ps 80, 2-3)
– im Hymnus bittet Ambrosius fast flehend um das Erscheinen Jesu als Messias/als Christus, bittet er um das Erscheinen des göttlichen Herrschers.

In der dritten Strophe beginnt er mit der Schilderung der Geburt Jesu in Anlehnung an die jeweils ersten Kapitel des Lukas- und des Johannesevangeliums. Er zeichnet darin ein dichtes und zugleich poetisches Bild der Glaubensaussage zur Herkunft Jesu aus Gott, konkret aus dem Geist Gottes, um in den folgenden Strophen die mariologische Motivik wie auch Jesu Wesensgleichheit mit dem Vater, analog zum nicäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis (381), explizit aufzugreifen: er beschreibt die Jungfräulichkeit Mariens als Zeichen für die Göttlichkeit Jesu und Maria als Tempel des Heiligen Geistes. Im letzten Vers thematisiert Ambrosius die Geburt in der Krippe, in der er den Lichtglanz Gottes erkennt, inspiriert von einer der ersten Zeilen des Johannesevangeliums (Joh.1, 4-5), das Christus als das Leben und das Licht der Menschen verkündet.

Deutsche Übersetzungen des Mittelalters
Im Laufe seiner jahrhundertealten Weitertradierung erfuhr der ambrosianische Text nicht nur verschiedenste Nachdichtungen, sondern gerade im deutschen Mittelalter mehrere deutsche Übersetzungen. Es war auch die Epoche, in der er sich, wie bereits erwähnt, zum Adventslied wandelte.

Als älteste poetische Übertragung ins Deutsche gilt jene des Freiburger Cappellanus und Domdechanten Heinrich von Laufenberg (1391/99 – 1460) Kum har, Erlöser Volkes Schar, die 1418 in einer Straßburger Liederhandschrift erschienen war. Eine weitere Übersetzung aus dem 15.Jh. findet sich in einem Manuskript der Bibliothek des Marzellen-Gymnasiums in Köln.

Kum har, Erlöser Volkes Schar
erzoig die geburt der megde klar
des wundert alle welt gemein
wann solch geburt zimpt got allein

Während der Reformationszeit nahm die Rezeption des Hymnus einen nachhaltigen Aufschwung. Eine damalig bekannte, recht freie Übersetzung des Ursprungstextes stellt jene von Thomas Müntzer aus dem Jahr 1523 dar. Ein Jahr später schrieb Martin Luther eine eigene Fassung, mit der er sich streng am Originaltext von Ambrosius orientierte.

Nun komm der Heiden Heiland – Luthers Choral
Luthers Choral, der nach der ersten Zeile seiner Übersetzung genannt ist, zählt im deutschsprachigen Kirchengesang zu Advent und Weihnachten zu einem der bedeutendsten Choräle aller Konfessionen. Über Jahrhunderte war er in der lutherischen Kirche das Hauptlied des Ersten Advents. Mit seiner Übertragung schuf Martin Luther überdies einen der aussagestärksten Adventschoräle deutscher Sprache.

Er übernahm, auf die ambrosianische erste Strophe ebenso verzichtend, die vollständige Reimübertragung des Veni Redemptor Gentium. Mit ihr und der klaren Ausrichtung am originalen Text und seiner Botschaft brachte Luther seine hohe Achtung vor dem Hymnus des bedeutenden Kirchenvaters zum Ausdruck. Lediglich vom achtsilbigen Versmaß des Mailänder Bischofs wich er, in Anpassung an seine Sprache ab und verminderte jede Zeile um eine Silbe. Mit der Hinzufügung des trinitarischen Lobpreises, wie er im Mittelalter üblich wurde, gab Luther dem Hymnus eine achte Strophe zurück. Eine kleine Kostprobe mag hier genügen.

Nu kom der Heyden heyland /
der yungfrawen kynd erkannd.
Das sych wunnder alle welt /
Gott solch gepurt yhm bestelt.

Nicht von Mans blut noch von fleisch /
allein von dem heyligen geyst /
Ist Gottes wort worden eyn mensch /
vnd bluet eyn frucht weibs fleisch.

………..
Dein kryppen glentzt hell vnd klar /
die nacht gybt eyn new liecht dar /
tunckel muß nicht komen dreyn /
der glaub bleib ymer ym scheyn.

Nun komm der Heiden Heiland stellt eine der zahlreichen Übersetzungen lateinischer Hymnen Luthers dar. Sie bildeten einen zentralen programmatischen Aspekt seiner reformatorischen Ziele: die Gemeinde mit dem biblischen und kirchlichen Geschehen vertraut und ihr die entsprechenden Texte in der eigenen Sprache verständlich zu machen. Die Choralübersetzung zeugt von der kraftvollen, bilderreichen Sprache Martin Luthers, die heutige Neubearbeitungen nicht immer erkennen lassen. Der Choral erschien 1524 im Geistlichen Chorbüchlein (dem Enchiridion=Handbüchlein), dem ersten Evangelischen Chorgesangbuch, welches der Kantor und Komponist Johann Walter in Erfurt veröffentlichen ließ. Walter war ein enger Mitarbeiter Luthers und gilt als Begründer der evangelischen Kantorei. Im gleichen Jahr erschien das Adventslied auch im Wittenberger Gesangbüchlein.

Der sich im heutigen Evangelischen Gesangbuch findende Choral ist auf fünf Strophen gekürzt – er besteht aus den Strophen 1, 4, 5, 7 und 8 des originalen Lutherchorals – und ist sprachlich überarbeitet (EG 4).

Im katholischen Gotteslob steht der Choral unter der Nummer 227 mit Titel und Anfangszeile Komm, du Heiland aller Welt. Auch er, eine reimlose Neuübertragung des Ambrosius-Textes, die der evangelische Theologe Markus Jenny 1971 vornahm, wurde verkürzt. Jenny berücksichtigte die Strophen 1, 2, 4, 7 und 8 des Originalhymnus.

Nun komm der Heiden Heiland wurde insbesondere in der Barockzeit vielzählige Male künstlerisch bearbeitet und gestaltet. Ein Choralsatz von gehaltvoller musikalischer Tiefe und Ausdruckskraft ist jener, den der Meister des Frühbarock Heinrich Schütz 1636 schuf und der zu seinen „Kleinen Geistlichen Konzerten“ zählt.

Johann Sebastian Bach komponierte rund 90 Jahre später über den Choral die Kantate Nun komm der Heiden Heiland (BWV 62), die er zum 1. Adventssonntag 1724 in Leipzig erstmals aufführte. Bereits zehn Jahre zuvor hatte er in Weimar die Choral-Kantate mit der ersten Luther-Strophe begonnen (BWV 61) und sie ebenfalls am 1. Advent in der dortigen Schlosskirche aufgeführt. Die Kantate war gesanglich wie instrumental kleiner besetzt als die spätere in Leipzig, die er dort mit vier Solisten, statt mit drei besetzte sowie die Violinen und Violen um Oboen und Horn erweiterte. Hierdurch erreichte er eine harmonisch-differenzierte Klangfülle und, vor allem durch das Horn, eine Verstärkung der Choralmelodie, welche die theologische Aussage des Textes ausdrucksvoll unterstreicht und Bach, wie schon Heinrich Schütz, als Meister einer großen Musik gleichsam zu Verkündern von Gottes Wort, zu Verkündern seiner frohen Botschaft macht.

♫ Thomanerchor Leipzig, Leitung: Georg Christoph Biller - Johann Sebastian Bach - Nun komm der Heiden Heiland BWV 62



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