«Gott ist so anders, dass er sich selbst zu einem von uns macht»

29. Dezember 2019 in Spirituelles


Predigt des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit in der Heiligen Nacht 2019 im Zirkus Grüss in Paris.


Paris (kath.net)
„Wir haben gerade das Kind Jesus in die Krippe gelegt, und diese Nacht feiern wir den Geburtstag dieses außergewöhnlichen Kindes. Wie viele Kinder werden heute Nacht geboren? Wird die Welt von diesen Geburten überwältigt sein? Die einzigen, die überwältigt sein werden, sind die Eltern dieser kleinen Kinder, die geboren werden.

Warum also sollen wir diese Geburt nach 2000 Jahren feiern? Dieses Kind, das wir gerade in die Krippe gelegt haben, ist der Sohn Gottes, es ist Gott selbst, der in unserer Mitte erscheint. Das erstaunt uns, nicht wahr?

Wir sehen, dass, wenn die Menschheit das Bild Gottes ist, Gott allerdings nicht das Abbild des Menschen ist. Wenn wir unsere Präsenz niedereren Wesen, die wir geschaffen hätten, offenbaren wollten, hätten wir ihnen unsere Kraft und unsere grenzenlose Macht offenbaren wollen. Oder letztendlich das, was wir für endlose Macht halten: Donner, Lärm, blendendes Licht, kurz gesagt: Hollywood! Wir hätten unsere Muskeln gezeigt.

Nun, Gott handelt aber nicht so wie wir. Gott, der den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, kommt, um bei den Menschen zu wohnen, indem er den Weg des Menschen geht, um aufgenommen, empfangen zu werden, um im Leib einer Mutter zu wachsen, wie wir, um nackt geboren zu werden, wie wir.

Man muss ein einfaches Herz haben, um diese wunderbare Offenbarung zu verstehen: Gott ist so groß, dass er sich selbst zu einem kleinen Kind macht. Gott ist so mächtig, dass er verwundbar und zerbrechlich wird. Gott ist so anders, dass er sich selbst zu einem von uns macht. Das ist das Wunder der Größe und der Liebe Gottes. Ein sehr kleines Kind, das gerade geboren wurde, das, wenn sich niemand um es kümmert, sehr schnell an Kälte und auch an Hunger oder Durst sterben würde. Gott hat die Allmacht seiner Liebe im Stall von Bethlehem offenbart, dort, wo er sich in die Hände der Menschen gibt.

Gibt es eine größere Liebe, als sich der Liebe anderer hinzugeben und zu wissen, dass diejenigen, denen man sein Leben schenkt, nicht so lieben können wie man selbst? Auch heißt niemand dieses verletzbare Kind willkommen. Es gibt für dieses Kind keinen Platz im gemeinschaftlichen Raum. Es wird in einem Stall für Tiere geboren. Aber da ist Maria, da ist Joseph. Die Liebe des Herzens von Maria und die Arme Josephs reichen aus, damit Gott sich hingibt, sich aus Liebe schenkt. Das Wort Gottes wurde in einem kleinen Kind Fleisch. "Enfant" (das französische Wort für „Kind“) bedeutet im Lateinischen: "ohne Worte", noch nicht sprechend, unberedt. Gott drückt sich nicht in menschlichen Worten aus, sondern durch seine Gegenwart.

Dann machte Maria eine prophetische Geste: Sie legte das Kind in eine Krippe. In eine Krippe legt man die Nahrung. Jesus wird später sagen: "Mein Leib ist die wahre Speise". Er ist das Brot des Himmels, das Brot des Lebens, das Brot, das ewiges Leben gibt: "Wer mein Fleisch isst, der hat das ewige Leben".

Heute Abend, wie jedes Mal, wenn wir die Messe feiern, schenkt sich Gott uns in seinem Sohn, in seinem Wort, gibt er sich uns hin. Wie Maria und wie Joseph, die das kleine Kind der Krippe auch heute noch mit Freude und Dankbarkeit willkommen heißen, braucht man geöffnete Hände, um es zu empfangen, ein Herz voller Zärtlichkeit, um es zu lieben.
Die Welt will Gott nicht. Die Welt will Gott nicht mehr. Wie in Bethlehem ist kein Platz für ihn.

Andere verunstalten das Antlitz Gottes, indem sie es nach ihrem Bild ausrichten: gewalttätig, grausam, voll Rache und den Tod säend. Aber Ihr, liebe Brüder und Schwestern, Ihr seid da, um Gott in diesem verwundbaren kleinen Kind willkommen zu heißen und ihn zu erkennen. Mögen Eure Hände heute die Krippe werden, die diesen Gott der Liebe willkommen heißt.“

+ Mgr Michel Aupetit, Erzbischof von Paris

Homélie de Mgr Michel Aupetit – Nuit de Noël, Cirque Grüss – Mardi 24 décembre 2019 – Homélies - Diocèse de Paris. Übersetzung: Dr. Juliana Bauer für kath.net


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