Benedikt XVI.: Am Leiden reifen durch die Vereinigung mit Christus

28. März 2020 in Spirituelles


Der Mensch ist in der unendlichen Macht der Liebe Gottes geborgen. Diese gibt dem Leben Sinn und Bedeutung, selbst im Leid und Scheitern.


Vatkan (kath.net/jg)
In der Enzyklika „Spe salvi“ nimmt Papst Benedikt XVI. die Situation des irdischen Menschen zwischen Leid und Hoffnung in den Blick. Wir können das Leiden nicht aus der Welt schaffen, aber wir können es annehmen und daran reifen, in ihm Sinn finden durch die Vereinigung mit Jesus Christus, der mit unendlicher Liebe gelitten hat.

Auszug aus der Enzyklika ‚Spe salvi’ (2007):

„II. Tun und Leiden als Lernorte der Hoffnung

35. Alles ernsthafte und rechte Tun des Menschen ist Hoffnung im Vollzug. Zunächst in dem Sinn, daß wir dabei unsere kleineren oder größeren Hoffnungen voranzubringen versuchen: diese oder jene Aufgabe lösen, die für den weiteren Weg unseres Lebens wichtig ist; durch unseren Einsatz dazu beitragen, daß die Welt ein wenig heller und menschlicher wird und so auch sich Türen in die Zukunft hinein auftun.

Aber der tägliche Einsatz für das Weitergehen des eigenen Lebens und für die Zukunft des Ganzen ermüdet oder schlägt in Fanatismus um, wenn uns nicht das Licht jener großen Hoffnung leuchtet, die auch durch Mißerfolge im kleinen und durch das Scheitern geschichtlicher Abläufe nicht aufgehoben werden kann. Wenn wir nicht auf mehr hoffen dürfen als auf das jeweils gerade Erreichbare und auf das, was die herrschenden politischen und wirtschaftlichen Mächte zu hoffen geben, wird unser Leben bald hoffnungslos. Es ist wichtig zu wissen: Ich darf immer noch hoffen, auch wenn ich für mein Leben oder für meine Geschichtsstunde augenscheinlich nichts mehr zu erwarten habe. Nur die große Hoffnungsgewißheit, daß trotz allen Scheiterns mein eigenes Leben und die Geschichte im ganzen in einer unzerstörbaren Macht der Liebe geborgen ist und von ihr her, für sie Sinn und Bedeutung hat, kann dann noch Mut zum Wirken und zum Weitergehen schenken.

Gewiß, wir können das Reich Gottes nicht selber "bauen" – was wir bauen, bleibt immer Menschenreich mit allen Begrenzungen, die im menschlichen Wesen liegen. Das Reich Gottes ist Geschenk, und eben darum ist es groß und schön und Antwort auf Hoffnung. Und wir können – um in der klassischen Terminologie zu sprechen – den Himmel nicht durch unsere Werke "verdienen". Er ist immer mehr, als was wir verdienen, sowie das Geliebtwerden nie "Verdienst", sondern immer Geschenk ist. Aber bei allem Wissen um diesen "Mehrwert" des Himmels bleibt doch auch wahr, daß unser Tun nicht gleichgültig ist vor Gott und daher nicht gleichgültig für den Gang der Geschichte.

Wir können uns und die Welt öffnen für das Hereintreten Gottes: der Wahrheit, der Liebe, des Guten. Das ist es, was die Heiligen taten, die als "Mitarbeiter Gottes" zum Heil der Welt beigetragen haben (vgl. 1 Kor 3, 9; 1 Thess 3, 2). Wir können unser Leben und die Welt von den Vergiftungen und Verschmutzungen freimachen, die Gegenwart und Zukunft zerstören könnten. Wir können die Quellen der Schöpfung freilegen und reinhalten und so mit der Schöpfung, die uns als Gabe vorausgeht, ihrem inneren Anspruch und ihrem Ziel gemäß das Rechte tun. Dies behält Sinn, auch wenn wir äußerlich erfolglos bleiben oder ohnmächtig zu sein scheinen gegenüber dem Übergewicht der entgegengesetzten Mächte. So kommt einerseits aus unserem Tun Hoffnung für uns und für die anderen; zugleich aber ist es die große Hoffnung auf die Verheißungen Gottes, die uns Mut und Richtung des Handelns gibt in guten wie in bösen Stunden.

36. Zur menschlichen Existenz gehört das Leiden ebenso wie das Tun. Es folgt zum einen aus unserer Endlichkeit, zum anderen aus der Masse der Schuld, die sich in der Geschichte angehäuft hat und auch in der Gegenwart unaufhaltsam wächst.

Natürlich muß man alles tun, um Leid zu mindern: das Leid der Unschuldigen zu verhindern, so gut es geht; Schmerzen zu lindern; in seelischem Leid zur Überwindung zu helfen. All dies sind Pflichten sowohl der Gerechtigkeit wie der Liebe, die zu den Grundforderungen christlicher Existenz und eines jeden wahrhaft menschlichen Lebens gehören. Im Kampf gegen den physischen Schmerz sind große Fortschritte gelungen; das Leiden der Unschuldigen und auch die seelischen Leiden haben in den letzten Jahrzehnten eher zugenommen.

Ja, wir müssen alles tun, um Leid zu überwinden, aber ganz aus der Welt schaffen können wir es nicht – einfach deshalb nicht, weil wir unsere Endlichkeit nicht abschütteln können und weil niemand von uns imstande ist, die Macht des Bösen, der Schuld, aus der Welt zu schaffen, die immerfort – wir sehen es – Quell von Leiden ist. Das könnte nur Gott: Nur ein Gott, der selbst in die Geschichte eintritt, Mensch wird und in ihr leidet. Wir wissen, daß es diesen Gott gibt und daß daher die Macht in der Welt da ist, die die "Schuld der Welt hinwegnimmt" (Joh 1, 29). Mit dem Glauben, daß diese Macht besteht, ist die Hoffnung auf die Heilung der Welt in der Geschichte hervorgetreten. Aber es ist eben Hoffnung und noch nicht Vollendung; Hoffnung, die uns den Mut gibt, uns auf die Seite des Guten zu stellen, auch wo es aussichtslos scheint, im Wissen, daß im äußeren Gang der Geschichte die Macht der Schuld weiterhin furchtbare Gegenwart bleibt.

37. Kehren wir zurück. Das Leid können wir versuchen zu begrenzen, zu bekämpfen, aber wir können es nicht aus der Welt schaffen. Gerade wo Menschen im Versuch der Leidvermeidung sich allem zu entziehen suchen, was Leid bedeuten könnte, sich die Mühsal und den Schmerz der Wahrheit, der Liebe, des Guten ersparen wollen, treiben sie in ein leeres Leben hinein, in dem es vielleicht kaum Schmerz, um so mehr aber das dumpfe Gefühl der Sinnlosigkeit und der Verlorenheit gibt. Nicht die Vermeidung des Leidens, nicht die Flucht vor dem Leiden heilt den Menschen, sondern die Fähigkeit, das Leiden anzunehmen und in ihm zu reifen, in ihm Sinn zu finden durch die Vereinigung mit Christus, der mit unendlicher Liebe gelitten hat. [...]“

(Spe salvi 35 – 37)



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