Judas, wo bist du?

8. April 2020 in Aktuelles


Franziskus in Santa Marta: Gebet für die Umkehr aller, die den Nächsten ausbeuten. ‚Aber bedeutet das, dass Judas in der Hölle ist? Ich weiß es nicht. Ich schaue auf das Kapitell. Und ich höre das Wort Jesu: Freund’. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Papst Franziskus – Mittwoch in der Karwoche, sechste Woche der Fastenzeit, dreißigste Messe in Live-Streaming über Fernsehen und Internet aus der Kapelle des vatikanischen Gästehauses „Domus Sanctae Marthae“„gegen“ die Coronavirus-Pandemie.

„Vor dem Namen Jesu sollen alle Mächte im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen; denn der Herr erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Deshalb ist Jesus Christus der Herr in der Herrlichkeit Gottes, des Vaters“ (Phil 2,10.8.11): bei der Einleitung der Messfeier betete der Papst für die Bekehrung derer, die die Bedürftigen in dieser Zeit ausbeuten:

„Lasst uns heute für die Menschen beten, die in dieser Zeit der Pandemie Handel mit den Bedürftigen betreiben: sie nutzen die Not der anderen aus und verkaufen sie: die Mafiosi, die Wucherer und viele andere. Möge der Herr ihre Herzen berühren und sie bekehren“.

In seiner Predigt kommentierte Franziskus das Evangelium nach Matthäus (Mt 26,14-25), das vom Verrat des Judas spricht. Auch heute noch „gibt es die Judas, Menschen, die verraten, sogar ihre Lieben, indem sie sie für ihre eigenen Interessen verkaufen“. Auch heute gebe es Menschen, die Gott und dem Geld dienen wollen, versteckte Ausbeuter, dem Anschein nah tadellos, doch sie handelten mit Menschen: sie verkauften den Nächsten. Judas habe Jünger hinterlassem, Jünger des Teufels. Judas sei am Geld gehangen. Wer Geld zu sehr liebe, betrüge. Doch er werde vom Teufel verraten, der ein schlechter Zahler sei und in der Verzweifelung lasse. Und am Ende erhänge er sich. Der Papst dachte an die vielen „institutionalisierten Judas“, die heute die Menschen ausbeuteten, und auch an die kleinen Judas, die in uns seien: jeder von uns habe die Möglichkeit zu verraten, um Geld oder Güter zu bekommen:

„Der Mittwoch in der Karwoche wird auch ‚Mittwoch des Verrats’ genannt, der Tag, an dem in der Kirche der Verrat des Judas betont wird. Judas verkauft den Meister.

Wenn wir an den Verkauf von Menschen denken, fällt uns der Handel mit Sklaven aus Afrika ein, um sie nach Amerika zu bringen – eine alte Sache – dann der Handel beispielsweise mit den Jesiden-Mädchen, die im Daesh verkauft wurden: aber das ist eine ferne Sache, das ist eine Sache... Auch heute noch verkauft man Menschen. Jeden Tag. Es gibt da so manche Judas, die ihre Brüder und Schwestern verkaufen, sie bei ihrer Arbeit ausbeuten, nicht das Rechte zahlen, ihre Pflichten nicht anerkennen... Im Gegenteil, sie verkaufen die teuersten Dinge. Ich denke daran, dass ein Mensch, um es bequemer zu haben, fähig ist, seine Eltern zu entfernen und sie nicht mehr zu sehen, sie in ein Altenheim zu stecken und nicht zu ihnen zu gehen... er verkauft. Es gibt ein sehr geläufiges Sprichwort, das besagt, wenn man über solche Leute spricht, dass ‚dieser fähig ist, seine Mutter zu verkaufen’: und sie verkaufen sie. Jetzt sind sie ruhig, sie sind weg: ‚kümmert ihr euch drum’.

Heute ist der Menschenhandel wie in den Anfängen: er ist einfach da. Und warum ist das so? Weil Jesus das gesagt hat. Er gab dem Geld eine Herrschaft. Jesus sagte: ‚Man kann nicht Gott und dem Geld dienen’, zwei Herren. Es ist das Einzige, was Jesus auf die Höhe stellt, und jeder von uns muss sich entscheiden: entweder dienst du Gott, und du wirst frei in der Anbetung und im Dienst sein, oder du dienst dem Geld und du wirst ein Sklave des Geldes sein. Das ist die Option, und viele Menschen wollen Gott und dem Geld dienen. Und das ist nicht möglich. Am Ende geben sie vor, Gott zu dienen, um dem Geld zu dienen. Das sind die versteckten Ausbeuter, die sozial untadelig sind, aber unter dem Tisch betreiben sie Handel, auch mit den Leuten: das ist gleichgültig. Die menschliche Ausbeutung besteht darin, den Nächsten zu verkaufen.

Judas ist weggegangen, aber er hat Jünger hinterlassen, die nicht seine Jünger sind, sondern die des Teufels. Wie das Leben des Judas aussah, wissen wir nicht. Ein normaler Junge vielleicht, und auch voller Unruhe, weil der Herr ihn zum Jünger berufen hat. Es ist ihm nie gelungen, ein Jünger zu sein: er hatte keine Zunge eines Jüngers und kein Herz eines Jüngers, wie wir in der ersten Lesung lesen. Er war schwach in der Jüngerschaft, aber Jesus liebte ihn... Dann lässt uns das Evangelium verstehen, dass er das Geld liebte: im Haus des Lazarus, als Maria die Füße Jesu mit diesem teuren Nardenöl salbte, stellte er die Überlegung an, und Johannes unterstrich: ‚Aber er sagte es nicht, weil er die Armen liebte: weil er ein Dieb war’.

Die Liebe zum Geld hatte ihn von den Regeln abgebracht, dazu, zu stehlen, und vom Stehlen zum Verrat – das ist ein winziger Schritt. Wer das Geld zu sehr liebt, der verrät, um mehr zu haben, immer: das ist eine Regel, das ist eine Tatsache. Der junge Judas, der vielleicht gut war, mit guten Absichten, endet als Verräter, der so weit geht, dass er auf den Markt geht, um zu verkaufen: ‚er ging zu den Hohepriestern und sagte: Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere?’. Meiner Meinung nach war dieser Mann nicht bei Sinnen.

Eine Sache, die meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, besteht darin, dass Jesus niemals ‚Verräter’ zu ihm sagt. Er sagt, dass er verraten werden wird, aber er sagt nicht ‚Verräter’ zu ihm. Er sagt nie: ‚Verschwinde, Verräter’. Niemals! Tatsächlich sagt er: ‚Freund’, und er küsst ihn. Das Mysterium des Judas... Wie ist das Mysterium des Judas? Ich weiß nicht... Don Primo Mazzolari hat es besser erklärt als ich... Ja, es tröstet mich, über das Kapitell von Vézelay nachzudenken: wie endete Judas? Ich weiß es nicht. Jesus droht hier stark, er droht stark: ‚Weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre!’. Aber bedeutet das, dass Judas in der Hölle ist? Ich weiß es nicht. Ich schaue auf das Kapitell. Und ich höre das Wort Jesu: ‚Freund’.

Aber das lässt uns an etwas anderes denken, das realer ist, mehr von heute: der Teufel fuhr in Judas, es war der Teufel, der ihn zu diesem Punkt führte. Und wie endete die Geschichte? Der Teufel ist ein schlechter Zahler: er ist kein zuverlässiger Zahler. Er verspricht dir alles, er lässt dich alles sehen und er lässt dich am Ende in deiner Verzweiflung allein, um dich aufzuhängen.

Das Herz des Judas, unruhig, gequält von Gier und gequält von der Liebe zu Jesus, von einer Liebe, die es nicht geschafft hat, Liebe zu werden, gequält von diesem Nebel, er kehrt zu den Priestern zurück und bittet um Vergebung, er bittet um Heil. ‚Was geht das uns an? Das ist deine Sache...’: so redet der Teufel und lässt uns in Verzweiflung zurück.

Denken wir an so viele institutionalisierte Judas in dieser Welt, die Menschen ausbeuten. Und denken wir auch an den kleinen Judas, den jeder von uns in der Stunde der Entscheidung in sich trägt: zwischen Loyalität oder Interesse. Jeder von uns hat die Fähigkeit, zu verraten, zu verkaufen und in seinem eigenen Interesse zu wählen. Jeder von uns hat die Möglichkeit, sich von der Liebe zum Geld oder zu Gütern oder zum zukünftigen Wohlstand anziehen zu lassen. ‚Judas, wo bist du?’. Aber diese Frage stelle ich jedem von uns: ‚Du, Judas, der kleine Judas in mir: wo bist du?’“.

Der Papst beschloss die Messfeier mit der Anbetung und dem eucharistischem Segen und lud die Menschen mit dem Gebet von Kardinal Rafael Merry del Val zur geistlichen Kommunion ein:

„Zu Deinen Füßen, lieber Jesus, werfe ich mich nieder und schenke Dir den Reueschmerz meines zerknirschten Herzens. Ich beuge mich tief in meinem Nichts vor Deiner heiligen Gegenwart. Ich bete Dich an im Sakrament Deiner Liebe, in dem unsagbar großen und heiligen Sakrament des Altares. Ich wünsche Dich aufzunehmen in die armselige Wohnung, die meine Seele Dir bieten kann. In Erwartung des Glückes der wirklichen heiligen Kommunion möchte ich Dich geistigerweise empfangen. Komme zu mir, lieber Jesus, denn ich komme zu Dir. Möge Deine Liebe mein ganzes Wesen besitzen im Leben und im Tode! Ich glaube an Dich, ich hoffe auf Dich, ich liebe Dich. Amen“.

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