Die Corona Krise ist eine Chance für die Kirche

8. April 2020 in Interview


"Voller Hoffnung glaube ich, dass diese Pandemie hoffentlich – auch eine geistliche Erneuerung der Christen provozieren könnte" - kath.net-Interview mit P. Karl Wallner, Nationaldirektor von MISSIO Österreich - Von Roland Noé


Wien (kath.net)
kath.net: Das Corona-Virus hält alle in Banne, der Staat sperrt de facto fast zu, die Menschen müssen zu Hause bleiben, die Gläubigen dürfen nicht mehr zu den Messen. Was ist Deine Botschaft in dieser Krisenstunde?

Wallner:
Die staatlichen und bischöflichen Vorgaben sind sinnvoll und ich werbe von Anfang an dafür, dass wir sie einhalten. Ich möchte alle Gläubigen, die es schmerzt, dass sie keine Sakramente empfangen können, bitten, dies als Opfer anzunehmen und etwas Positives daraus zu machen. Der Schmerz ehrt sie! Denn es gibt so viele Menschen bei uns, die zwar getauft sind, denen es aber ohnehin egal ist, ob sie an der Sonntagsmesse teilnehmen können! Fromme Menschen tun sich schwer.

Bitte beachten: Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist kein staatlicher Willkürakt oder gar böswilliges Handeln gegen die Religionen. Es handelt sich um Schutzmaßnahmen in der Situation einer weltweiten Pandemie durch einen besonders heimtückischen Virus. Versammlungen – egal ob geselliger, sportlicher oder religiöser Art – können durch die heimtückische Tröpfchen-Übertragung andere in Lebensgefahr bringen. Ich persönlich würde es als schwere Sünde betrachten, ältere Menschen zu gefährden.

Die Sakramententheologie ist hier auch sehr klar. Es gehört zum Wesen eines Sakramentes, dass sich in ihm Übernatürliches mit Natürlichem, Gnadenhaftes mit Irdischem, eine unsichtbare Gnadenwirkung mit einer sichtbaren sinnenfälligen Handlung verbindet. Bei einigen Sakramenten kommen daher sogar Naturstoffe wie Wasser, Öl, Brot und Wein zur Anwendung. Das Natürliche wird zum Träger und zur Ausdrucksgestalt des Übernatürlichen: Durch das Übergießen mit Wasser und die Worte der Taufformel wird einem Menschen übernatürliches Leben geschenkt.

Bei der Eucharistie werden die Naturstoffe Brot und Wein zum Leib und Blut des verklärten Christus gewandelt. Bei der „Transsubstantiation“ (Wandlung) bleiben aber die äußeren „Gestalt“ von Brot und Wein – also Form, Farbe, Gewicht, Geruch, Molekularstruktur usw. – unverändert, während das Wesen („Substanz“) hinüber („trans“) verwandelt wird in den verklärten Christus, der mit Leib und Blut, Menschheit und Gottheit anwesend wird.

In der Hostie begegnen wir daher keiner Sache, keinem „Es“, sondern einem „Du“. Dieses Du ist Jesus, der unser Leben ist und uns Leben schenkt. Wie kann uns das „Brot des Lebens“ dann aber den Tod bringen? Hier ist wieder die Unterscheidung zwischen Natur und Übernatur wichtig: Die Griechen haben zwei Worte für Leben: bios für das biologisch-materielle Leben, zoé für das geistige Leben. Die Eucharistie ist nicht für den bios, denn die Hostie soll nicht unseren Leib sättigen. Vielmehr möchte Jesus als unsere zoé, unser geistiges Leben in uns kommen. Wir haben dann Gemeinschaft (communio) mit ihm. Wer das eine Natürliche (bios) mit dem anderen Übernatürlichen (zoé) verwechselt oder vermischt, der gefährdet sich und andere: Sehr wohl kann bei der Spendung der Kommunion, die zwar an sich die Gemeinschaft mit Jesus (zoé) bringt, auch eine virale Infektion übertragen werden, sodass durch das Kommunizieren das natürliche Leben (bios) gefährdet wird.

Wenn man die Unterscheidung zwischen Natur und Übernatur aus Gründen der Frömmigkeit nicht ernst nimmt, kann das lebensgefährdend werden. In meinem Kloster Heiligenkreuz, wo wir drei Mitbrüder eine Coronainfektion hatten (mit mildem Verlauf) musste der Abt die Kreuzkirche ganz schließen. Schuld waren überdrehte und unerleuchtete Frömmler, die dauernd Weihwasser in die ausgetrockneten Becken nachgegossen haben. Der Abt konnte es nicht mehr verantworten, dass hier immer wieder ein potentieller Infektionsherd geschaffen wurde.

Wie schade, dass man jetzt dort gar nicht mehr beten kann. Nun, ich respektiere Frömmigkeit und ich habe auch eine Grundsympathie für Gläubige, die sich schwer damit tun, dass durch gesegnetes Wasser eine Gefahr übertragen werden kann.

Aber es gehört wirklich zum Grundverständnis der Sakramente, dass die sinnlichen materiellen Zeichen unverändert bleiben. Natürlich hat das Weihwasser eine „sakramentalische“ Kraft, aber zugleich kann das Weihwasserbecken zum Bakterien- und Virenpool werden! Und genauso kann das Zusammensein zum Gottesdienst zur Infektionsweitergabe führen. Darum dürfen wir unseren Bischöfen sehr dankbar sein, dass sie sofort die ebenso restriktiven wie wirkungsvollen Schutzmaßnahmen der Regierung auch im kirchlichen Bereich der Sakramentenspendung umgesetzt haben! Das war theologisch korrekt und pastoral richtig. Was für Vorwürfe hätte sich die Kirche – mit recht - anhören müssen, wenn ein Gottesdienst zu Ischgler Verhältnissen geführt hätte. Denn für die Seuche ist es egal, ob sie sich in einer Schibar oder in einer Kirche ausbreitet.

Mein Namenspatron, der heilige Karl Borromäus, hat in der Pestepedemie von Mailand 1576 bis 1578 auch sehr entschieden Separations- und Hygienemaßnahmen bei der Sakramentenspendung durchgesetzt.

Doch nochmals zur Eucharistie, weil es hier noch schwerer zu ertragen ist, dass uns das Kommunizieren gefährden könnte. Es ist aber so, dass eine konsekrierte Hostie ganz normal verderben kann. Noch mehr gilt das vom Blut Christi, denn Wein verdirbt sehr schnell. Darum werden ja auch nur die ungesäuerten Hostien im Tabernakel aufbewahrt und nicht das Blut Christi. Die im Tabernakel aufbewahrten Hostien müssen auch regelmäßig verzehrt werden, damit sie nicht schimmeln.

Es gibt Berichte, wo sich Priester durch Rotschimmel auf den Hostien Krankheiten zugezogen haben. Und es gibt Regeln, wie Hostien, die dennoch Schimmel ansetzen, entsorgt werden: indem sie in Wasser aufgelöst werden. Früher hat man solche verdorbenen „Gestalten“ in eigenen Bodenöffnungen in den Sakristeien (sogenannte „Sakrarien“) gelegt bis sie ganz verrottet waren. Was da verdirbt ist ja nicht der Leib Christi, sondern nur dessen gestalthaftes materielle „Transportmittel“. Und in Siena in Italien gibt es ein übernatürliches Hostienwunder, wo seit 1730 genau 225 Hostien völlig unverdorben geblieben sind. Aber hier handelt es sich eben um ein ausdrückliches Wunder der übernatürlichen Ordnung.

Darum ist es absolut sinnvoll und notwendig, die Hygienevorschriften zu beachten und eine Art „physischer“ Distanz zu den Sakramenten bzw. zum Gemeinschaftsgottesdienst einzuhalten. Nochmals: Ich schätze es, wenn das zu einem inneren Leiden führt, denn dieses Leiden ist ja ein Ausdruck einer liebevollen Sehnsucht. Als Sakramententheologe habe ich aber kein Verständnis, wenn man meint aus Gründen der Frömmigkeit gegen die Hygienemaßnahmen und gegen das Verbot der Feier von öffentlichen Gottesdiensten vorgehen müsse.

Ich halte die staatlichen Maßnahmen für richtig und sinnvoll – und wie man mittlerweile auch sieht: für wirkungsvoll. Darüber hinaus sehe ich in dieser augenblicklichen Unmöglichkeit, äußerlich an den Sakramenten teilzunehmen, sogar einige Chancen.

kath.net: In wie weit wird diese Krise die Kirche verändern? Was sind die Chancen für die Kirche in dieser Krise? Was sind die Chancen?

Wallner:
Erstens begehrt man ja immer das am meisten, was man nicht hat. Wir sind nun in eine Situation geführt, wo es schmerzhaft aber sinnvoll und notwendig ist, eine physische Distanz einzuhalten und somit entfällt vielerorts der Gottesdienst. Übrigens erhalte ich viele Berichte aus Afrika, wo es ja eine intensive eucharistische Frömmigkeit gibt: dort ist es für die Gläubigen noch viel schmerzhafter als bei uns. Diese Sehnsucht aufzuopfern wird sicher gnadenhaft fruchtbar. Zugleich sollten wir uns jetzt schon vornehmen, dass wir nach der Pandemie die Teilnahme an den Sakramenten viel mehr schätzen werden als bisher.

Zweitens ist die Kirche innerhalb der letzten drei Wochen plötzlich kreativ und missionarisch geworden. Die gottesdienstliche Not, die durch den Virus ausgelöst wurde, hat etwas bewirkt, das die jahrzehntelangen Appelle der Päpste – und besonders von Papst Franziskus - nicht bewirken konnten: Plötzlich drückt uns überall – von den Pfarren über die Gemeinschaften bis zu den diözesanen Stellen – die Frage: Wie können wir die Menschen erreichen.

Besser: Wie können wir zu den Menschen kommen? Das ist nichts anderes als ein neuer missionarischer Drive. Denn bisher waren wir gewohnt, dass die Menschen zu uns kommen, bzw. dass wir sie zu uns einladen und sie bei uns erwarten. Jetzt sind alle in der Not – nicht nur die Priester, sondern auch die engagierten Laien – die Menschen zu erreichen. In Vorarlberg hatte die Katholische Jugend die Idee, allen Familien in der Gemeinde gesegnete Palmzweige vor die Haustüre zu bringen… Und überall wurden auch die neuen Medien entdeckt, viel Gemeinschaften und Pfarren übertragen die Sonntagsmesse im Livestream; man chattet untereinander; selbst meine 80-jährige Mutter feiert täglich im Livestream die Heilige Messe mit, sogar sie hat den Sprung in die digitalen Techniken des 21. Jahrhunderts geschafft.

Natürlich sind Livestream-Messen und virtueller Lobpreis usw. nur Notlösungen, also Lösungen in der Situation einer schweren Not. Hoffen wir, dass solche Notlösungen bald nicht mehr notwendig sind!

Drittens glaube ich, dass die Corona-Krise in der Kirche einen nachhaltigen Richtungswechsel bewirken könnte: in Richtung „Mission“. Plötzlich erlebe ich eine Kirche, die auf die Menschen draußen zugeht; die in atemberaubenden Tempo die Grenzen des Bisherigen überschreitet; die über Smartphones und Sozialen Medien versucht, die Menschen zu erreichen. Diese Innovationskraft ist phantastisch, plötzlich spürt man wieder den „Fischerwillen“ nach vollen Netzen. Wir gehen hinaus auf die Menschen zu. Ein Mann hat mir geschrieben: „Ich wäre bis vor kurzem nie in eine Kirche gegangen. Und jetzt feiere ich jeden Tag im Fernsehen die Messe mit und es fasziniert mich.“ Vielleicht war diese Krise notwendig, dass wir uns endlich trauen, kreativ missionarisch zu sein. So wie bisher wäre es ohnehin nicht weitergegangen.

Da das „Übliche“ plötzlich nicht mehr funktioniert, siehe da weht plötzlich ein kreativer Wind mit vielen Ideen durch die Köpfe von Pfarrern, Pfarrgemeinderäten und Engagierten, dass es doch eigentlich eine wahre Freude ist.

Der Heilige Geist? Hoffentlich! Jedenfalls ist es vielerorts gelungen, aus der Not eine Tugend zu machen!

kath.net: Wo findest Du ganz persönlich jetzt die Stärke, um andere Hoffnung zu vermitteln?

Wallner:
Am Anfang war ich verzweifelt. Jetzt bin ich voller Hoffnung und Zuversicht. In meiner Zuständigkeit dafür, dass wir der armen wachsenden Kirche in Afrika, Asien und Lateinamerika helfen, war ich zunächst verzweifelt und depressiv. Wie soll es mit den Päpstlichen Missionswerken weitergehen. Ich fürchtete den totalen Verlust von Reichweite und Spenden. Dann habe ich alle meine Hoffnung auf den Herrn geworfen und mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschlossen: wir starten missionarische Seelsorge mit den Möglichkeiten, die wir haben.

So haben wir sofort ab 13. März eine tägliche Heilige Messe um 12:00 Uhr im Livestream (www.missio.at) angeboten, dazu eine eucharistische Anbetung von 10:30 bis 11:30 Uhr. Die Resonanz war gigantisch, tausende feiern daheim mit, denn die innere Not der Menschen ist groß. Am Anfang bei der ersten Messe ohne Gläubige – nur mit meinen beiden Mitarbeitern von der „Young Missio“ Maria und Marcel – hätte ich heulen können.

Doch dann erhielt ich Fluten von Emails, Anrufen. Viele schickten Bilder, wie sie alleine oder mit Familie vor dem Computer saßen, um die Heilige Messe mitzufeiern. Dann erfanden wir eine Kindermesse im Livestream. Ich lud die Kinder ein, einen Esel – das Wappentier von Missio Österreich – zu zeichnen und wurde gleich mit 720 Eselbildern aus ganz Österreich beglückt. Das hat mich riesig gefreut!

Mittlerweile hat diese Live-Mittagsmesse eine riesige Reichweite. Bei der Predigt versuche ich die Menschen zu Hause anzusprechen. Das geht immer leichter, weil ich zwar nur eine Kamera sehe, auf die ich hinrede, im Herzen aber stelle ich mir wirklich die vielen vor, die zu Hause sitzen und Trost und Hoffnung brauchen…

Ich war jetzt 20 Jahre Rektor der Hochschule Heiligenkreuz, seit dreieinhalb Jahren leite ich die Päpstlichen Missionswerke – und jetzt hat mich die Viruskrise plötzlich zum Pfarrer für eine virtuelle Gemeinde von einigen Tausenden Menschen – in Österreich und weit darüber hinaus - gemacht, die täglich die Mittagsmesse mitfeiern. Jede Krise ist eine Chance, durch jede Krise spricht uns Gott mit einer Botschaft an.

Und ich bin sehr berührt, dass mir so viele Priester gemeldet haben, dass sie oft die Heilige Messe parallel mit mir in Wien mitfeiern. Viele Mitbrüder sitzen ja auch isoliert und traurig in ihren Wohnungen. Und dann schreibt mir etwa unser österreichischer Missionar Padre Humberto Leeb, 86 Jahre alt, dass er täglich in Brasilien die Messe mitfeiert, parallel dazu zelebriert. So etwas nehme ich schon als Fingerzeig Gottes.

Und meine Befürchtung, dass die Spenden für Afrika usw. wegbrechen, wird hoffentlich nicht eingetreten. Dass wir nicht mehr helfen können, das ist ja meine größte Angst, denn Afrika und Asien werden mehr unter dem Corona-Virus leiden als wir.

Dort ist ja schon Wasser und Seife, um sich die Hände zu waschen, ein Luxus! Da bete ich viel und bin mittlerweile zuversichtlich. Wir sind doch ein christlich geprägtes Land und haben in der Geschichte immer wieder bewiesen, dass die eigene Not unsere Herzen nicht vor der Not der anderen verschließt, sondern öffnet. Ich hoffe, dass die Corona-Krise die höchsten Kräfte der Nächstenliebe und Großherzigkeit in den Gläubigen in Österreich entfalten wird!

Und noch etwas gibt mir Kraft: Ich habe am Beginn der Krise zwei öffentliche Gelübde gemacht: Erstens, dass wir von den Päpstlichen Missionswerken in einer sehr armen Region in Afrika, die medizinisch unterversorgt ist, ein Sankt-Karl-Borromäus-Krankenhaus bauen werden. Ich mache darauf aufmerksam, dass nicht die heilige Corona, sondern der heilige Karl Borromäus (mit Sebastian und Rochus) der Seuchenpatron ist!

Zugleich mein Namenspatron, was ich als Zeichen der Vorsehung sehe. Das zweite Gelübde ist ein rein privates: Wenn die Pandemie meine großartigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und unsere Päpstlichen Missionswerke verschont, sodass wir gut für die Ärmsten der Armen weiterarbeiten können, bekommt die Muttergottes in unserer Missio-Kapelle von mir eine goldene Krone aufgesetzt. Ich bin nämlich im Herzen ganz sicher, dass das intensive Bittgebet zu großen Wunder der Gnade führen wird.

Voller Hoffnung glaube ich, dass diese Pandemie eine Reinigung der Gesellschaft und – hoffentlich – auch eine geistliche Erneuerung der Christen provozieren könnte. In diesem Sinn ist die Corona-Krise eine Zulassung Gottes, die uns langfristig zum Segen werden könnte. Darum bete ich und dafür arbeite ich.

kath.net: Danke für das Interview und vorab Gesegnete Ostern

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