Eine Frage der Liebe

12. Mai 2020 in Kommentar


Die Rahmenordnung der österreichischen Bischofskonferenz liest sich eher wie die Anweisung zum Betreten eines septischen Operationssaals - Gastkommentar von Eva-Maria Hobiger


Wien (kath.net)
„Die Menschen von heute sind fast alle innerlich tot, gestorben an ihrer inneren Kälte, unfähig, Gott in ihrem Leben wahrzunehmen.“ Wer denkt, diese Worte beschreiben unsere Gesellschaft, irrt, sie wurden bereits vor 200 Jahren von Seraphim von Sarow, einem der bekanntesten Mönche und Mystiker der russisch-orthodoxen Kirche geschrieben. Käme der berühmte Starez heute nur für einen Augenblick zurück auf diese Erde, welches Urteil spräche er wohl über uns? Was würde ihm wohl als erstes auffallen, woran es uns Menschen des 21. Jahrhunderts mangelt? Ich vermute, es wären zwei grundlegende Tugenden, die er sofort vermissen würde: die Ehrfurcht vor Gott und den Respekt dem Mitmenschen gegenüber, wobei man davon ausgehen kann, dass der Mangel des Letzteren vom Mangel des Ersten abzuleiten ist.

Der 15. März 2020 war ein historischer Tag für die Kirche in Österreich, es war der letzte Tag, an dem in unserem Land eine öffentliche hl. Messe gefeiert wurde. Danach blieben die Kirchentüren während der Gottesdienste für die Gläubigen verschlossen, eine Situation, die beispiellos ist in der gesamten Kirchengeschichte. Vier Wochen vergingen, Ostern kam und wir vermissten die Feier der heiligen drei Tage schmerzlich, das höchste Fest der Christenheit im Livestream zu feiern ist wohl kaum jemanden von uns wirklich gelungen. In diesem Frühling fehlt etwas, da klafft eine offene Wunde, die Fastenzeit ist noch immer nicht vorbei. Diese Wochen wurden für die Gläubigen und sicher auch für manche engagierte Priester zu einer großen Herausforderung, bei der ihre ganze Glaubenskraft gefragt war. Umso größer dann die Freude, die die Ankündigung hervorrief, dass nach weiteren fünf Wochen, nach insgesamt neun Wochen also, ab 15. Mai die Feier von öffentlichen Gottesdiensten wieder „erlaubt“ sein werde. Als aber die Details bekannt wurden, unter welchen Umständen dies erfolgen soll, war die Freude mit einem Schlag verflogen.

Die diesbezügliche Rahmenordnung der österreichischen Bischofskonferenz liest sich eher wie die Anweisung zum Betreten eines septischen Operationssaals, um dort einen chirurgischen Eingriff durchzuführen, als zum Betreten einer Kirche und zur Feier der hl. Eucharistie. Nicht verwunderlich, denn aus einer Fußnote kann man schließen, dass diese Anweisungen wohl durch Beiziehung eines beratenden Virologen – eine medizinische Sparte, von deren Existenz die meisten von uns wohl noch vor drei Monaten gar nichts wussten – entstanden sind.

Die heilige Messe ist der Mittelpunkt unserer Religion, die Quelle aller Gnaden, der Gottesdienst des ganzen mystischen Leibes Christi und sowohl die himmlische als auch die irdische Kirche feiert gemeinsam die Erneuerung Seiner Erlösungstat.

Erde und Himmel verbinden sich und unser Gesang vermischt sich mit dem Gesang der Engel. Unser Herr selbst ist wahrhaft gegenwärtig und Sein Gnadenstrom fließt vom Altar in die Welt hinaus. Für einen Augenblick dürfen wir schon einen Blick in die Ewigkeit werfen, für einen Augenblick werden Himmel und Erde eins und wir dürfen Seine Herrlichkeit erahnen, wenn auch mit unserer menschlichen Begrenztheit nicht erfassen. „Die Kirche Gottes besitzt nichts Erhabeneres, nichts Heiligeres, nichts Wunderbareres als das Sakrament der Eucharistie, enthält es doch die vorzüglichste und größte Gabe Gottes, Ihn selbst, den Quell und Urheber aller Gnade und Heiligkeit: Christus den Herrn“ - so lesen wir es im Rituale Romanum, so glauben wir es als Katholiken, aber dann schulden wir Ihm vor allem und jederzeit die größte Ehrfurcht und unsere ganze Hingabe. Daher darf die Entscheidung über den Ablauf der Feier der Eucharistie niemals in die Hände eines Außenstehenden gelegt werden, des Vertreters eines medizinischen Bereiches, dessen Angehörige sich noch dazu innerhalb der letzten Wochen zunehmend heftige wissenschaftliche Kontroversen über Sinn und Unsinn diverser Hygienevorschriften lieferten. Wir können und dürfen Christi Botschaft doch nicht auf die Angst um unsere Gesundheit beschränken! Das Denken des heutigen Menschen erfolgt nur mehr in messbaren Kategorien, aber das genau ist es, was uns innerlich absterben lässt, was uns hindert, die Mystik der heiligen Messe zu verstehen und die alle Dimensionen übersteigende Liebe des Herrn zu uns mit Liebe, Dank und Ehrfurcht zu beantworten.

Vor wenigen Tagen tauchte in den Medien das Bild eines deutschen Kardinals auf, der hinter einer Plexiglasscheibe steht, wie an einem Bankschalter, eine Frau streckt die Hände durch die Öffnung und empfängt so die hl. Kommunion.

Ein besseres Symbolbild für den Prozess der Assimilierung der Kirche mit der Welt, für den totalen Verlust des mystischen Verständnisses, für den Verlust der Ehrfurcht Gott gegenüber kann es gar nicht mehr geben. „Gott steht jetzt im Dienst der Nation“ betitelt der israelische Autor Yuval Harari ein Kapitel in einem seiner Bücher und beschreibt das Verhalten der Kirche im Jahr 2020 damit treffsicher. Der Staat bestimmt die Art und Weise der Religionsausübung, was ihm zweifelsohne nicht zusteht und niemals zustehen darf.

Was aber noch viel schlimmer zählt, ist die Tatsache, dass man keinen einzigen Einspruch und keinen Protest von denjenigen hört, die sich als Nachfolger im Apostelamt betrachten. Das also ist der Endpunkt von fünfzig Jahren Raubbau am überlieferten Glaubensgut: die Kirche besteht nur mehr aus einer Fassade, innen sind die Mauern längst abgerissen und nun in dieser Krise müssen wir mit Entsetzen feststellen, dass auch die Fassade einbricht.

Im fünfzigsten Jahr seit Einführung der Handkommunion empfängt man den Leib Christi entweder durch die Öffnung einer Plexiglasscheibe oder aber verabreicht mit Gummihandschuhen, vielleicht auch mit Hilfe einer Pinzette oder gar abgepackt als Kommunion-to-go zur Selbstbedienung. Sogar den Rat, ein Stück Brot von zu Hause mitzunehmen, das dann in der Kirche zur Hostie werde, gab es schon, man könne aber auch daheim ein „Mahl“ mit Brot und Wein feiern. Darf man unseren Herrn Jesus Christus, der in der konsekrierten Hostie wahrhaft gegenwärtig ist, so behandeln?

Die ordentliche Form des Kommunionempfanges der Kirche aber (ja, das ist sie noch immer!), nämlich die Mundkommunion, wird uns verboten. Wir Menschen verfügen nicht über viele Möglichkeiten, dem Herrn unsere Liebe zu zeigen, unsere Ehrfurcht und unsere Demut.

Die Mundkommunion ist sicher in einer einzigartigen Art und Weise ein bewusstes Zeichen der Hingabe und unserer tiefen Liebe zu Ihm, da wir dabei Seiner Verehrung auch einen körperlichen Ausdruck verleihen und außerdem auch voreinander Zeugnis von unserem Glauben ablegen. Nun aber ist es uns verboten, unserem Herrn mit Ehrfurcht zu begegnen.

Die Verwirrung hat das Höchstmaß erreicht. „Ein Jahrhundert gewinnt oder verliert an Größe nach dem Maße der Verehrung, die es der göttlichen Eucharistie zollt“ schrieb der Abt eines französischen Benediktinerklosters im 19. Jahrhundert. Dieses Urteil, auf unsere Zeit angewendet, fällt wahrlich vernichtend aus. Aber was können wir noch erwarten in einer Zeit, wo man Priestern den Zugang zu Sterbenden verwehrt oder wo man sogar in Ordensspitälern Patienten in ihrer höchsten seelischen und körperlichen Not den Besuch eines Krankenseelsorgers verwehrt, obwohl sie zuvor förmlich darum gebettelt haben. Das alles geschieht offiziell unter dem Deckmantel der Nächstenliebe - ein Euphemismus, der seinesgleichen sucht!

Wenn Gott keine Ehrfurcht erwiesen wird, können wir auch nicht erwarten, dass man Menschen Respekt entgegenbringt. Und doch darf man das Gedankenexperiment wagen: Anstatt uns zu unmündigen Befehlsempfängern zu degradieren, könnte man den Priestern und den Gläubigen auch einen gewisse Portion Hausverstand und Verantwortungsgefühl zutrauen.

Von der Auswertung von mehr als 3000 Infektionen zu Beginn der Krise weiß man, dass sich die Menschen in Österreich in Pflegeheimen, im Haushalt oder bei Sport- und Freizeitaktivitäten infizierten. Es ist kein Fall bekannt, dass sich jemand in einer Kirche angesteckt hätte. Wir alle gehen freiwillig in die Kirche, niemand zwingt uns dazu, warum also dürfen wir nicht frei entscheiden, ob wir uns einem Risiko - das derzeit auch unter Experten umstritten ist - aussetzen wollen oder nicht. Das dürfen wir ja auch, wenn wir gefährliche Sportarten ausüben, ja selbst, wenn wir Autofahren, immer gefährden wir theoretisch auch andere.

Über den verantwortungsbewussten Umgang mit dem Virus haben wir in den vergangenen Wochen mehr als genug gelernt. Lasst uns also die heilige Messe in einer wahrhaft würdigen Form feiern, ohne sie durch Hygienevorschriften bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln!

Wäre das nicht ein Anliegen, das den Einsatz unserer Hirten wert wäre? Es ist die Liebe zu unserem Herrn, die uns alle leiten sollte, nicht die Angst. Denn letzten Endes reduziert sich bei unserer Verbindung zu Gott alles auf die Beantwortung der Frage Jesu an Petrus – und damit auch an uns: Liebst Du mich? Ja, die Art und Weise unseres Gottesdienstes ist und bleibt eine Frage der Liebe unserem Herrn und Heiland gegenüber!


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