Priester – 'Onlinefreak' in persona Christ?

21. Mai 2020 in Kommentar


Online kann man sich das Eucharistische Brot eben nicht auf der Zunge zergehen lassen. Wir Priester sind auch nicht dazu bestimmt, Videostars zu werden. Einschaltquoten zählen im Himmel nicht - Ein Gastkommentar von Christian Nilles


Fulda (kath.net)

Die derzeitige Pandemie ist bislang einmalig in der Geschichte der Menschheit. Eine große Herausforderung an die Kirche! Wenn die teils selbst verschuldete Flaute kirchlichen Lebens nur mal nicht zum völligen Stillstand des Schiffes, das sich Gemeinde nennt, führt! Wenn sich nach den erwarteten Lockerungen nur nicht herausstellt, daß sich gar kein Lüftchen mehr regt, daß Kirche wieder in Bewegung bringen könnte!

 

„Wenn weiterhin die Kommunikation des Evangeliums der grundlegende Auftrag ist, dann ist stets zu fragen, wie sich das unter wechselnden Kontextbedingungen realisieren lässt. In einer digitalisierten Gesellschaft

 

kommt man nicht umhin, mit den verfügbaren Medien entsprechend umzugehen. Dabei geht es nicht um eine gute Verpackung, sondern um ein theologisch fun­diertes Neusprechen des Evangeliums angesichts der Such- und Findebewegungen von Menschen heute. Viele Menschen heute nutzen soziale Medien wie Facebook, Instagram, Twitter und Youtube, und damit stellt sich die Frage, wie orts(un)gebun­den kirchliche Verkündigung sein kann, ja sein muss. Da diese Medien wiederum eigenen ästhetischen Gesetzen folgen, braucht es eine intensive Auseinander­setzung mit deren Chancen und Grenzen.“

 

Mit solchen „neusprechenden“ Formulierungen lädt das TPI in Mainz aktuell überdiözesan zum Kurs „Gott in 1‘31“. - Eine digitale Werkstatt für kreative Glaubensverkündigung mit sozialen Medien“ pastorale „Mitarbeiter·innen“ ein. „Für die Mitarbeit im Kurs sind ein Laptop oder Smartphone oder Tablet unver­zichtbare Hilfsmittel“, heißt es in der Ausschreibung weiter.

 

Waren das noch Zeiten, in denen eine Heilige Schrift, ggf. ein Gebet- und Gesangbuch und das Brevier für Priester und Diakone im Handgepäck reichten, um sich pastoral fortzubilden!

 

Als Priester frage ich mich in diesen Wochen öfters, ob meine Aufgabe nicht eigent­lich die Ausspendung der Sakramente ist, statt mich um Streaming-Angebote zu kümmern und online effektiv „herüberzukommen“. Und ich bin zu einem ersten Ergebnis bei meinen Überlegungen gekommen: Bei den zahlreichen Stunden vor dem Computer muß immer noch Zeit für den Rosenkranz sein!

 

Nur, um das klarzustellen: Ich bin für verantwortungsvollen Umgang miteinander, wenn ein lebensbedrohliches Virus weltweit grassiert. Das ist für mich praktische Nächstenliebe. Sicherheitsabstand und Desinfektion sind wichtig und keine Spinne­reien von Hypervorsichtigen. Ich will auch niemandem weißmachen, daß Beten allein gegen Infektionen ausreicht und garantiert hilft. Der Angebote von Videogot­tesdiensten sind in den letzten Wochen wahrlich übergenug durch den Äther geschickt worden. Von morgens bis abends könnte sich jeder von Messe zu Messe, von Gebetstext zu Gebetstext klicken. Ob das Angebot intensiv genutzt wird, das bliebe in den meisten Fällen zu untersuchen. Und ob uns Christen diese Lebenshilfe im Rechteck-Bildschirm-Format anhaltend Orientierung – womöglich als Ersatz für Hirtenworte  und -ermutigung und anderen seelsorglichen Zuspruch in direkter persönlicher Begegnung – wirklich weiterbringt in der augenblicklichen Krise, das steht auch dahin. Keine Frage, das Internet kann helfen, viele Fragen schnell zu beantworten und auch lebenshilfliche Informationen zu liefern, aber…

 

Papst Franziskus stellt ab dem 18. Mai jedenfalls die Live-Übertragung seiner mor­gendlichen Eucharistiefeiern ein. Zuletzt verfolgten täglich fast 1,5 Millionen Zu­schauer über den öffentlich-rechtlichen Kanal RAI 1 und 750.00 weitere Zuschauer über den katholischen Sender TV 2000 die Gottesdienste. Sie erreichten damit einen Marktanteil von mehr als 30 Prozent in Italien. Es verlautete, der Papst hoffe nach der Beendigung der Live-Übertragungen, daß die katholischen Gläubigen zur "vertrauten Gemeinschaft mit dem Herrn in den Sakramenten" zurückkehren könn­ten und sowohl an Sonntags- wie auch Werktagsgottesdiensten teilnähmen.

 

Das gebe Gott!

 

Vom Papst habe ich ziemlich zu Anfang der Corona-Pandemie freudig den Auftrag aufgeschnappt, wir müßten „den Himmel bestürmen“. Das erinnerte mich daran, daß ich eine Großtante im Kloster hatte, die in allen brenzligen Situationen der weitver­zweigten Familie wie Operationen, Prüfungen und andere Herausforde­rungen schon den Himmel bestürmte. Ausdruck ihrer fürbittenden Hilfsbereitschaft war der kleine Schreibtisch in ihrer Klosterzelle, den ich einmal im Verlauf von Exerzitien, die ich dieser Ordensgemeinschaft halten durfte, sah: er stand voller Bilder von Erwachsenen und Kindern, Hochzeitsfotos und Erstaufnahmen von Neugebo­renen usw. Die Tante im Kloster ist nicht, wie scherzhaft im Rheinland gesagt wird, das zehnte Sakrament neben dem Aschenkreuz als achtem und dem Blasiussegen als neuntem. Sie war und bleibt über ihren Tod hinaus, Fürsprecherin, Mitbeterin und Mahnerin. Ich habe für die Familien meiner Geschwister mit ihren Kindern den Eindruck und das feste Vertrauen, daß das Himmelstürmen hilft und uns bis heute als kirchlich gebunden zusammenhält. Im Marien-Wallfahrtsort Neviges gehörte noch in der Nachkriegszeit die „Sturmandacht“ zum festen Programm von großen Pilgertagen, von überregional bekannten Franziskanern wie etwa P. Elpidius Weiergans gehegt und gepflegt. Das waren noch Zeiten – und es waren keineswegs schlechtere als heute –, in denen die Schlangen an den Beichtstüh­len nicht abzunehmen schienen und die anschließende Heilige Kommunion beim Pilgerhochamt zum Höhepunkt eines großen Wallfahrtstages gehörte. Damals existierten freilich die „Segnungen des www.“ noch nicht.

 

Nach dem „theologisch fundierten Neusprechen des Evangeliums“ bestand kein Verlangen, obwohl es auch schon immer „Such- und Findebewegungen von Menschen“ gab, denn jede Zeit hat ihre Herausforderungen, und nach dem Krieg sorgten sich die Mitbürger im Lande um Arbeitsplatz und Existenzaufbau, um Gesundheit und Zufriedenheit in der Familie. Der allsonntägliche Meßbesuch war ein fester Haltepunkt, und das Sonntagsgebot als Verpflichtung zur Mitfeier des wöchentlichen Osterfestes ge­hörte dazu. Das war so selbstverständliche Praxis, daß es keines mahnenden Bischofswortes in  dieser Richtung bedurfte. Ich bin dankbar dafür, daß unsere Eltern an dem Gebot keinen Zweifel aufkommen ließen. Vater und Mutter gingen selbstverständlich zur Sonntagsmesse und nahmen uns Kinder mit. Wir wurden nicht geschickt. Dasselbe galt für die Beichte zu Weihnach­ten und zu Ostern. Nicht jede Sonntagsmesse ist mir als Hochvergnügen der Unter­haltung und der Kurzweil in Erinnerung, aber die Priester meiner Kinder- und Jugendjahre waren nach mei­nem heutigen Eindruck ehrliche und gewissenhafte Diener der Kirche und Mitar­beiter Gottes. Seitdem ich selbst als Priester in der Seelsorge tätig bin, hinterfrage ich so manches meiner früheren Urteile über die Vertreter dieses Berufs. Ich bin mir aber auch dankbar bewußt, daß – von der anderen Seite betrachtet – keiner von ihnen mir die Mitfeier der Hl. Messe madig zu machen vermochte, mich einige von ihnen vielmehr auf dem Weg gut und engagiert begleitet und gefördert haben, den ich selbst gehen durfte.

 

Daß die derzeitige Aufhebung des Sonntagsgebots durch die Bischöfe eigentlich schon durch die Praxis vieler Katholiken selbst entschieden worden ist, war bereits vor Corona-Zeiten kein Geheimnis mehr. Wenn sich in der Beichte noch jemand anklagt, daß er sonntags nicht zur Kirche gegangen sei, dann frage ich gerne nach, ob der Pönitent denn ohne Mitfeier der Hl. Messe etwas vermißt habe… Beim Sonntagsgebot geht es um innere Verpflichtung mehr als um Gebotserfüllung. Wenn Bischöfe mittelfristig, ohne ihre Entscheidung regelmäßig auf Sinnhaftigkeit zu überprüfen, dekretierten, Meßfeier und Kommunionempfang seien vorerst zu meiden, dann steht zu befürchten, daß der sonntägliche Meßbesuch weiter ab­nimmt. Schmerzliche zu Markte getragene Betroffenheit über die Aussetzung der Sonntagsmessen ersetzt nicht das flammende persönliche Bekenntnis der Bischöfe zur Heilsbedeutung des Kommunionempfangs. Gläubige brauchen Vorbilder und warten auf Orientierungshilfen. Viele verstehen nicht, warum, statt in die Kirche und zu Gebet zu rufen, immer noch gebremst wird. Bischöfliche Ordinariate brin­gen im Tagesrhythmus neue Bestimmungen heraus, immer noch detaillierter, ja pingeliger, bis die Feier (!) der Eucharistie sogar denen verleidet wird, die den Lock­down-Bestimmungen weitgehend bereitwillig zugestimmt haben. Mir ist richtig bange vor der nächsten Rundmail aus dem Generalvikariat.

 

Wo die Sehnsucht von Laien nach der Feier der Heiligen Messe und nach dem Empfang der Heiligen Kommunion öffentlich gemacht wird,  kommentieren Theo­logen und auch Bischöfe nicht ohne Ironie und reden von Eucharistiefixierung. Kann man als Christ überbetonen, daß doch der HERR selbst den Seinen den Auftrag erteilt hat, das zu seinem Gedächtnis zu tun, was er im Abendmahlssaal vorgemacht und damit geschenkt hat? Online kann man sich das Eucharistische Brot eben nicht auf der Zunge zergehen lassen. Wir Priester sind auch nicht dazu bestimmt, Videostars zu werden. Einschaltquoten zählen im Himmel nicht.


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