Wozu brauchen wir die Kirche überhaupt?

29. Juni 2020 in Kommentar


Unmittelbarer Folge der Ausrufung des synodalen Weges ist eine Rekordaustrittszahl. Vielleicht sollten sich die Kirchenapotheker Gedanken darüber machen, ob die Medizin, die sie da anrührten, nicht Gift ist - Montagskick von Peter Winnemöller


München (kath.net/pw)

Ein kleiner Donnerschlag war es schon, dass die Austrittszahlen dreißig Prozent über dem Vorjahr liegen und damit für 2019 ein Allzeitrekord für Kirchenaustritte zu vermelden war. Schon im Jahr davor und eigentlich in jedem Jahr seit dem Missbrauchsskandal waren die Zahlen hoch, unerträglich hoch. Eine lineare Ursache- Wirkungskette lässt sich beim Kirchenaustritt nicht aufzeigen. Wer das versucht, kann nur fehl gehen. Die Gründe sind vielfältig und komplex. Sie sind älter als man denkt. Auch wenn man Seitens der Bischöfe nach anfänglichem öffentlichem Erschrecken bald wieder in die Beschwichtigungsphase gehen wird, ist es Zeit, endlich die Frage schlechthin zu stellen.

 

Wozu dient die Kirche? Wer nicht weiß, wozu eine Community wie die Kirche - mit ihren Skandalen auf der einen Seite und ihren hohen Anforderungen auf der anderen Seite – überhaupt da sein soll, wird sie mit leichter Hand verlassen. Man ist in die Kirche hineingetauft irgendwie gehört das dazu. Welchen Sinn das haben soll, das hatte schon die vorherige Generation vergessen.

 

Den sozialen Bereich, eine mittelalterliche Kernkompetenz der Kirche in einer Feudalgesellschaft, hat der Staat inzwischen genauso gut drauf. Damit fällt ein „die tun ja viel Gutes“ schon mal weg. Was noch? Sinnstifter gibt es wie Sand am Meer. Wenn die Kirche Yogakurse anbietet, muss sie sich sagen lassen, dass so etwas für indische Yogis nicht einmal eine Lachnummer ist. Sinn kann ich mir heute an jeder Ecke billig kaufen. Die Kirchensteuer ist dann zu teuer im Vergleich. Um moralische Standards immer weiter zu senken, braucht es ebenfalls keine Kirche. Der säkulare Staat ist im Zweifel immer liberaler als die liberalste Glaubensgemeinschaft. Bildung machen staatliche Schulen auch. Da zieht sich die Kirche, siehe Hamburg, inzwischen mehr und mehr zurück.

 

Sinn, Bildung, Soziales und sonst? Die Kirche hat nicht mehr viel zu bieten. In diesem Jahr hat die Kirche sogar eindrucksvoll demonstriert, dass sie sich aus dem Markt der Lebenswendefeiern zurückziehen will. Erstkommunion und Firmung sind weggefallen. Die meisten Teilnehmer wissen ohnehin nicht, warum man für sowas die Kirche braucht. Ein Grund für das kirchliche Monopol war eindeutig der Mangel an überzeugender säkularer Konkurrenz. Wir werden erleben, wie im kommenden Jahr der boomende Markt der säkularen Erstkommunion- und Firmfeiern entstehen wird. Die Jugendweihe erhält eine zweite Chance. Schlecht ist das nicht, denn Konkurrenz belebt das Geschäft.

 

Wie schon dieser grobe Blick auf die Begegnungspunkte des heutigen Menschen mit der Kirche zeigt, rückt die Kirche den wahren Zweck ihrer Existenz einfach nicht raus. Sie hat in jüngster Zeit eine neue Aufgabe dazu bekommen, nämlich berufliche Betätigungsfelder für pastorale Dienste und neue Verwaltungsaufgaben zu kreieren. Zwar schrumpft die Kirche in Deutschland seit über 50 Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit. Der kirchliche Arbeitsmarkt dagegen boomt. Während junge Priester nicht damit rechnen können, jemals Pfarrer zu werden, legt die Kirche ein Karriereprogramm nach dem anderen für Laienmitarbeiter (m/w/d) auf und schreibt diese Schöpfungswidrig auch tatsächlich so aus. Weil der Generalvikar nun einmal kirchenrechtlich ein Priester sein muss, schafft man Doppelspitzen in der Verwaltung. Wir haben es ja. Wie lange das nach Corona noch gehen wird, muss man sehen.

 

Damit wissen wir dann immer noch nicht, wozu die Kirche da ist. Halt! Der synodale Weg soll es retten. Ein denkbar umfangreiches Programm der Funktionärsbespaßungen auf allen Ebenen der Kirche mit Vollversammlungstheater erster Güte. Ganz großes Kirchenkino! Das soll die Kirche retten und ihr einen neuen Sinn geben. Frauen sollen verheiratete Priester(m/w/d) werden und nach der dritten Scheidung immer noch im Dienst sein dürfen, während die Sakramente für alle der neue ekklesiologische Standard wird. Nun gut. Das war der Plan, doch was sind die Folgen? Der synodale Weg war ins Leben gerufen worden, um ultimativ über alles zu reden und das Vertrauen in die Kirche neu herzustellen. Unmittelbarer Folge der Ausrufung des synodalen Weges – man bedenke, das 2019 noch gar nichts programmatisches gelaufen war – ist eine Rekordaustrittszahl. Vielleicht sollten sich die Kirchenapotheker (mit und ohne Mitra) einmal Gedanken darüber machen, ob die Medizin, die sie da anrührten nicht vielleicht Gift ist.

 

Aber jetzt mal Butter bei die Fische, wie man im hohen Norden sagt: Wozu ist die Kirche denn überhaupt da? Seit Jahrzehnten wird darüber peinlich geschwiegen. Caritas ist wichtig und ohne die Kirche nicht denkbar. Bildung ist wichtig, ohne die Kirche hätten wir in Europa keine Volksbildung. Gemeinschaft ist wichtig, ohne die Kirche wäre unser Begriff von Gemeinschaft sicher ein anderer. Es bleibt eine Lücke.

 

Man muss ein wenig tiefer graben. Eine kleine Reise in eine nicht allzu ferne Vergangenheit und ein Blick in ein noch gar nicht so altes Buch. Da findet sich unter der Nr. 82 die Frage: „Wozu hat Jesus seine Kirche gegründet? Jesus hat seine Kirche gegründet, damit sie Gott verherrliche und die Menschen zur ewigen Seligkeit führe.“

 

Aha! Mal ganz vorsichtig und rein hypothetisch gefragt, wenn man anfinge, den Menschen das genau so zu sagen, wie es in jenem alten Katechismus steht, kann man sich ganz sicher sein, dass der Exodus aus der Kirche dann ungebremst fortginge? Kann man nicht? Warum probiert das eigentlich nicht mal jemand aus?


© 2020 www.kath.net