Die Gewissensfreiheit muss geschützt werden!

9. Juli 2020 in Prolife


Gewissensfreiheit behindere das (zwar postulierte, aber nicht bestehende) "Recht auf Abtreibung" – „Was bei Wehrdienstverweigerung ganz selbstverständlich galt, wird jetzt zur Bedrohung des Rechtsstaates umdefiniert.“ Gastbeitrag von Susanne Wenzel


Köln-Stuttgart (kath.net) In den vergangenen Jahren wurden wiederholt Fälle bekannt, in denen Mitarbeiter an Krankenhäusern, Hebammen und Ärzte aus Gewissensgründen ihre Mitwirkung bei Abtreibungen verweigerten und auch Krankenhausträger erklärten, keine Abtreibungen mehr durchzuführen in ihren Häusern. Teilweise führte dies für die Betroffenen zu erheblichen Konsequenzen durch medial erzeugten gesellschaftlichen und politischen Druck oder gar Arbeitsplatzverlust.

 

Aktuell möchte die grüne Staatssekretärin im Landessozialministerium von Baden-Württemberg prüfen lassen, inwieweit für medizinisches Personal an Universitätskliniken, die dem Land gehören, der Gewissensvorbehalt bei Abtreibungen ausgesetzt werden kann. Und erst kürzlich tat sich ein norddeutscher Sterbehilfeverein unrühmlich hervor mit der Forderung an Betreiber von Senioren- und Pflegeheimen, in ihren Hausordnungen und Satzungen das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil zum § 217 StGB festgestellte "Grundrecht auf Suizid" und das Recht auf Inanspruchnahme der Beihilfe dazu zu verankern.

 

Das BVerfG hat in seinem Urteil zum § 217 StGB klar eine Verpflichtung zur Suizidbeihilfe verneint. Abgesehen von einem entsprechenden Artikel in der Musterberufsordnung der Ärztekammer (Artikel 16) gibt es derzeit weitere ausführlichere Regelungen hierzu bisher nicht; die CDL hat den Gesundheitsminister zu entsprechendem Schutz des Gewissensvorbehaltes auch für die Betreiber aufgerufen. Denn klar ist: Auch hier muss der Gewissensvorbehalt gelten und darf unter keinen Umständen angetastet werden.

 

In Deutschland ist nach § 12 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) niemand zur Teilnahme an einer Abtreibung verpflichtet (Abs. 1), es sei denn, es liegt eine unmittelbare Lebensgefahr oder die Gefahr schwerer gesundheitlicher Schädigungen der Frau vor (Abs. 2). Die (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte erklärt ausdrücklich, "Ärztinnen und Ärzte können nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder ihn zu unterlassen." (Art. 14). Noch dazu definiert unser Grundgesetz in Artikel 4 ausdrücklich die Gewissensfreiheit als Grundrecht eines jeden Menschen und auch die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert in Artikel 9 die Gewissensfreiheit.

 

Im Oktober 2010 legte die britische Sozialistin Christine McCafferty der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ihren Bericht vor, in dem sie forderte, die Gesundheitsdienste der 47 Mitgliedstaaten des Europarates zu verpflichten, Frauen uneingeschränkten Zugang zu allen in einem Land erlaubten medizinischen Dienstleistungen (Abtreibungen, Euthanasie, Suizidbeihilfe etc.) zu gewähren. Und zwar ungeachtet jeglicher religiöser oder ethischer Bedenken. Mit dieser Forderung war eine Einschränkung der Gewissensfreiheit für öffentliche und staatliche Einrichtungen insgesamt verbunden. Ein persönlicher Gewissensvorbehalt sollte nur noch dem medizinischen Personal im konkreten Einzelfall mit diversen Ausnahmeregelungen zustehen.

 

Die Parlamentarische Versammlung lehnte den Bericht knapp mit einer Mehrheit von 56 zu 51 Stimmen ab (von 18 deutschen Mitgliedern nahmen übrigens lediglich 2 an der Abstimmung teil!). Die Versammlung fühlte sich aber genötigt, eine - rechtlich nicht bindende - Resolution (Nr. 1763/2010) zu verabschieden, die sogleich in Artikel 1 erklärte, dass "keine Person, kein Krankenhaus oder keine Institution dazu gezwungen, zur Verantwortung gezogen oder diskriminiert werden darf, weil eine Abtreibung, Euthanasie oder ein anderes den ungeborenen Menschen lebensbedrohendes Verfahren verweigert wird." Gleichzeitig betonte die Versammlung "die Notwendigkeit, das Recht des Einwandes aus Gewissensgründen zu bekräftigen, ebenso wie die Verantwortung des Staates, Patienten zeitnahen Zugang zu rechtmäßiger medizinischer Versorgung zu gewährleisten."

 

Befürworter der Abtreibung sind der Auffassung, dass durch den Gewissensvorbehalt das Selbstbestimmungsrecht der Frau, mithin das von ihnen seit Jahren zwar postulierte, aber dennoch nicht bestehende, "Recht auf Abtreibung" behindert wird. Daher sei das Gewissen in diesen Fällen "zurückzustellen". Was also bei der Wehrdienstverweigerung noch ganz selbstverständlich galt, wird nun auf einmal zur Bedrohung des Rechtsstaates umdefiniert.

 

Es ist zunächst festzuhalten, dass eine Abtreibung keine Heilbehandlung ist, sondern ein Eingriff, dessen "Erfolg" in der Tötung eines Menschen resultiert - und auch in der Verletzung der Psyche der Mutter. Schon insofern kann es niemals ein "Recht auf Abtreibung" geben, da nichts die absichtliche und vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen rechtfertigt. Jedes bisher bestehende Menschenrecht hat ganz konkret die Abwendung von Schaden zum Ziel. Wenn man sich allein das vor Augen führt, müsste man erkennen, dass es ein "Recht auf die absichtliche Tötung eines unschuldigen Menschen" nicht geben kann.

 

Seit den späten 60er Jahren versucht die Abtreibungslobby, ein "Recht auf Abtreibung" zu definieren und in transnationale Verträge und Deklarationen hineinzuschreiben. Bislang erfolglos, weshalb man dann versuchte, verklausuliert "reproduktive Rechte" geltend zu machen, die nicht nur Familienplanung, sondern auch den jederzeitigen Zugang zu "sicherer Abtreibung" beinhalten sollten. Aber auch das gelang bzw. gelingt nicht, denn immer wieder wird auf Intervention zahlreicher Staaten bei allen Erklärungen in diesem Zusammenhang bekräftigt, dass der Ausdruck "reproduktive Rechte" die Abtreibung ganz explizit nicht umfasst. Auch das Europaparlament hat das übrigens schon 2003 für sich erklärt. Schlussendlich konnte erreicht werden, dass die Gesetzgebung bezüglich der Abtreibung in nationalstaatlicher Verantwortung bleibt. Dies zwingt die Abtreibungsapologeten zu anderen Strategien. Eine davon ist der Angriff auf die Gewissensfreiheit.

 

Mitglieder des Europäischen Parlamentes haben im April 2018 eine "Erklärung zur Stärkung des Grundrechtes der Gewissensfreiheit" unterzeichnet, in der für alle EU-Staaten gefordert wurde, dass die Gewissensfreiheit beachtet, gesetzlich geschützt und gestärkt wird.

 

Und dennoch hat der EGMR in Straßburg erst im März diesen Jahres die Beschwerden zweier schwedischer Hebammen abgewiesen, denen in ihrem Heimatland die Beschäftigung als Hebamme versagt blieb, nachdem sie in Bewerbungsgesprächen an Krankenhäusern erklärt hatten, dass sie aufgrund ihrer christlichen Religion nicht an Abtreibungen mitwirken können. Einer der beiden wurde gar an einem Krankenhaus eine "Beratung" angeboten, die ihr "das Gut der Abtreibung näherbringen" sollte, wie Berichte zur Verhandlung beim EGMR geschildert haben. In der Begründung des EGMR heißt es, die Einschränkung der Religionsfreiheit (das schwedische Recht kennt den Gewissensvorbehalt bei Abtreibungen nicht) sei "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig zum Zwecke des Gesundheitsschutzes von Frauen", die abtreiben wollten. Die im Artikel 9 der auch von Schweden ratifizierten EMRK jedermann zugesicherte Gewissensfreiheit hatte hier offenbar keinerlei Bestand mehr.

 

In Deutschland, in Europa, steht derzeit zweifellos vieles in Frage. Eine der entscheidenden Fragen der nächsten Jahre wird sein, wie die Gewissensfreiheit garantiert und vor einer Aushöhlung geschützt werden kann. Die Gewissensfreiheit ist eines der Gütesiegel der Demokratie, einer toleranten und großzügigen Gesellschaftsordnung. Jeder Rechtsstaat wird sich nicht nur daran messen lassen müssen, in welchem Maße er das Recht auf Leben schützt, sondern auch in welchem Maße er die Gewissensfreiheit garantiert und schützt.

 

Bezüglich des aktuellen Angriffes aus dem grünen Sozialministerium in Stuttgart auf den Gewissensvorbehalt des medizinischen Personals erwarte ich deshalb deutlichen Widerspruch sowohl vom Innenminister des Landes, Thomas Strobl, als auch von Justizminister Guido Wolf, beide CDU-Mitglieder.


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