Umwandlung der Hagia Sophia löst Proteste in Ost und West aus

11. Juli 2020 in Weltkirche


Athener "Orthodox Times": "In einer Zeit, in der die ganze Welt … klar gegen die Absicht der Türkei Stellung bezogen hat ... schweigt der redselige und stets sensible Bischof von Rom."


Ankara-Athen (kath.net/KAP) Das am Freitag in Ankara gefällte oberstgerichtliche Urteil zur Istanbuler Hagia Sophia, das die Umwandlung der seit 1934 als Museum gewidmeten einstmals (von 537 bis 1453) größten Kirche der Christenheit in eine Moschee erlaubt - als solche diente das Gotteshaus in ottomanischer Zeit -, hat in Ost und West schärfsten Protest ausgelöst. "Der von Präsident Recep Tayyip Erdogan gezeigte Nationalismus führt sein Land sechs Jahrhunderte zurück", sagte als eine der ersten, die reagierten, die griechische Kulturministerin Lina Mendoni in einer Erklärung. Das Gerichtsurteil "bestätigt absolut, dass es in der Türkei keine unabhängige Justiz gibt", fügte sie hinzu.

 

Der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht der Türkei, hielt in seiner Entscheidung am Freitag wörtlich fest: "Es wurde der Schluss gezogen, dass die Errichtungsurkunde (von 1453, Anm.) das Gebäude als Moschee gewidmet. Eine Verwendung außerhalb dieses Charakters ist rechtlich nicht möglich. Die Kabinettsentscheidung von 1934, mit der die Nutzung als Moschee beendet und die Hagia Sophia als Museum definiert wurde, entsprach deshalb nicht den Gesetzen."

 

Mendoni sprach von einer "offenen Provokation gegen die ganze zivilisierte Welt". Niemand wolle sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei einmischen, betonte die Kulturministerin. Die Hagia Sophia sei jedoch ein "Denkmal für die gesamte Menschheit". Erdogan habe die "kulturelle Isolierung" der Türkei beschlossen, protestierte sie.

 

Zyperns Außenminister Nikos Christodoulide sprach von einer "eskalierenden, ungeheuerlichen Verletzung internationaler Verpflichtungen. Der Sakralbau sei ein "universelles Symbol des orthodoxen Glaubens".

 

"Ernste Bedenken" auch von Unesco

 

Die Hagia Sophia ("Göttliche Weisheit") wurde im Jahr 537 als Reichskirche des griechisch-orthodoxen Kaiserreichs Byzanz geweiht und war die größte Kirche des Christentums. Nach der Eroberung Konstantinopels, des heutigen Istanbul, durch die türkischen Osmanen wurde sie 1453 zur Moschee und mit Minaretten versehen. Republikgründer Mustafa Kemal "Atatürk" machte sie 1934 zu einem Museum. Seit 1985 stehen die Hagia Sophia und andere historische Bauwerke Istanbuls auf der Unesco-Liste für das Weltkulturerbe.

 

Die Unesco bedauerte umgehend die Entscheidung der türkischen Behörden zur Hagia Sophia. Diese sei ohne vorherige Erörterungen mit der Weltkulturorganisation erfolgt, erklärte Unesco-Generaldirektorin Audrey Azoulay am Freitagabend in Paris. Man habe die "ernsten Bedenken" dem türkischen Botschafter bei der Unesco bereits mitgeteilt.

 

"Die Hagia Sophia ist ein architektonisches Meisterwerk und ein einzigartiges Zeugnis der wechselseitigen Beziehungen zwischen Europa und Asien im Laufe der Jahrhunderte", betonte Azoulay. "Ihr Status als Museum spiegelt die universelle Natur ihres Erbes wider und macht sie zu einem starken Symbol für den Dialog. "

 

"Konsequenzen für ganze Menschheit"

 

Die Russisch-orthodoxe Kirche (ROK) kritisierte, dass die Sorgen von Millionen Christen nicht gehört worden seien, so Kirchensprecher Wladimir Legoida gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax. Es sei "sehr schade", dass der Appell des Moskauer Patriarchen Kyrill I. für eine Beibehaltung des Museumsstatus des Sakralbaus in der Türkei unbeachtet geblieben sei, betonte Legoida. Die Entscheidung könnte "zu Konsequenzen für die ganze Menschheit" führen, warnte die ROK.

 

Das Oberhaupt der ROK hatte am Montag erklärt: "Jeder Versuch, das tausendjährige geistige Erbe der Kirche von Konstantinopel zu entwürdigen oder zu verletzen, wurde und wird vom russischen Volk - sowohl früher als auch jetzt - mit Bitterkeit und Empörung wahrgenommen. Eine Bedrohung der Hagia Sophia ist eine Bedrohung für die gesamte christliche Zivilisation, also für unsere Spiritualität und Geschichte". Jeder zivilisierte Staat habe die Pflicht, die Gesellschaft zu versöhnen und nicht zu spalten.

 

Der Kreml äußerte sich dagegen diplomatischer. Es handele sich um eine innere Angelegenheit der Türkei, sagte Präsidentensprecher Dmitri Peskow am Montag. Die Hagia Sophia gehöre zum Weltkulturerbe und habe einen hohen spirituellen Wert. "Wir erwarten natürlich, dass all dies von unseren Kollegen und Partnern berücksichtigt wird", betonte er.

 

DBK: "Symbol religiösen Raumgewinns"

 

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) sieht die jüngsten Entwicklungen um die Hagia Sophia in Istanbul mit Sorge. "Mit dem Beschluss des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei zum Status der Hagia Sophia und der Ankündigung von Präsident Erdogan, das Gebäude für muslimische Gebete öffnen zu wollen, scheint sich die Türkei auf den Weg einer Rückverwandlung eines ihrer großen Symbole von einem Museum in eine Moschee begeben zu haben", sagte der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, kath.net hat bereits berichtet.

 

Ein gewichtiges Sprachrohr der griechisch-orthodoxen Kirche, die Athener "Orthodox Times" (OT), übte Kritik, dass vom Vatikan kein Protest gekommen sei. "In einer Zeit, in der die ganze Welt, sowohl die religiöse als auch die politische und akademische, klar gegen die Absicht der Türkei Stellung bezogen hat, den Tempel der Weisheit Gottes erneut zu verunreinigen, schweigt der redselige und stets sensible Bischof von Rom", so die OT. Dieses Schweigen "macht traurig".

 

Globaler Appell zur Rettung wie 1453 verhallt

 

Die Onlinezeitung betonte, es sei dies das zweite Mal in der Geschichte der Hagia Sophia, dass ein globaler Appell zu ihrem Schutz verhallt sei. "Leider zieht es Rom vor, sich nicht einzumischen. Es ist wie schon 1453, als trotz der Hilferufe von Byzanz nie eine Armee aus dem Westen zu Hilfe gekommen ist und als Mehmed II. schließlich Konstantinopel eroberte und die Hagia Sophia in eine Moschee umwandelte. Heute, 560 Jahre später, wiederholt sich die Geschichte", so die "Orthodox Times" wörtlich.

 

Das Schweigen des Heiligen Stuhls sei aber nicht der einzige Punkt, der bei den Orthodoxen Betroffenheit über die Haltung der Katholiken in diesem äußerst wichtigen Thema auslöse, hob die Zeitung hervor. Sie nahm Bezug auf die am 18. Juni verabschiedete Erklärung der Katholischen Bischofskonferenz der Türkei, die von vielen katholischen Medien veröffentlicht worden sei. Die Erklärung habe die türkische Regierung insoweit unterstützt, als sie formuliert habe, die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee sei allein Sache der türkischen Regierung. Denn - wie die katholischen Bischöfe der Türkei betont hätten - "wir sind eine Kirche ohne rechtlichen Status, daher können wir keine Ratschläge zu den inneren Angelegenheiten dieses Landes geben".

 

Die Bischöfe hatten allerdings auch festgehalten, dass es auch ihr Wunsch sei, dass die Hagia Sophia ihren Charakter als Museum beibehalte. Jedoch seien die Bischöfe "nicht in der Lage, einzugreifen oder unsere Meinung zu einer Entscheidung zu äußern, die ausschließlich die türkische Republik betrifft".

 

"Nur griechische Katholiken protestierten"

 

Lob seitens der griechischen Orthodoxie gibt es hingegen für die Katholische Bischofskonferenz Griechenlands. Denn "zu einer Zeit, als der Heilige Stuhl schwieg und seine Bischöfe in der Türkei sich zur Hagia Sophia die Hände in Unschuld wuschen, waren es die katholischen Bischöfe Griechenlands die einzigen, die einen Appell in dieser Angelegenheit verfassten". Darin sei der türkische Präsident aufgefordert worden, die geplante Aktion einzustellen.

 

Wörtlich hieß es: "Die Katholische Bischofskonferenz Griechenlands möchte nicht glauben, dass Sie wirklich beabsichtigen, eine solche Maßnahme zu ergreifen, die die religiösen Gefühle von zwei Milliarden Christen auf der ganzen Welt verletzen würde. Aber falls es in Ihrem Kopf tatsächlich einen solchen Gedanken gibt, bitten wir Sie, eine solche Möglichkeit zurückzuziehen, die eine größer werdende Entfremdung zwischen monotheistischen Religionen schaffen würde. Dies ist für uns undenkbar - insbesondere heute, wo Anstrengungen unternommen werden, um den Glauben jedes Menschen zu respektieren, insbesondere in demokratischen Staaten."

 

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