„Na ja, nach der katastrophalen Missbrauchskrise müssen jetzt Reformen her...“

26. August 2020 in Kommentar


„Man will über Frauenpriestertum, den Zölibat und über eine zeitgemäße Sexualmoral sprechen.“ Leseprobe aus dem noch unveröffentlichten Jugendbuch "Die Herrin" (Arbeitstitel). Von Peter von Steinitz


Bonn (kath.net) Thorsten, der Praktikant, sagte: „Am 1. Advent will man sich treffen, und zwar Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz, des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken...“


„Großartig! Und worüber wollen die sprechen?“


„Na ja, nach der katastrophalen Missbrauchskrise müssen jetzt Reformen her. Man will über Frauenpriestertum, den Zölibat und über eine zeitgemäße Sexualmoral sprechen.“


Mutter Lichtenberg betrat den Raum mit einer neuen Kanne Kaffee und mischte sich sogleich ein: „Diese Sachen sind doch eigentlich längst klar. Wenn man also jetzt darüber sprechen will, heißt das, dass man sie ändern will.“


„Die Verantwortlichen sprechen von einem ‚Reformprozess‘.“


„Eben.“


Pfarrer Lichtenberg wandte sich dem zweiten der genannten Probleme zu, da er sich darin firm fühlte: „Der Zölibat, also die Ehelosigkeit des Priesters um des Himmelreichs willen, hat in der katholischen Kirche immer noch den Charakter eines Bollwerks. Es ist nämlich nicht so, dass die anderen Konfessionen den Zölibat nicht kennten, aber sie haben im Laufe der Jahrhunderte Konzessionen gemacht. Ein Freund von mir, der russisch orthodoxer Priester ist, also verheiratet, sagte mir neulich, dass das Patriarchat in Moskau sehr aufmerksam verfolgt, was die katholische Kirche mit dem Zölibat macht. Die Orthodoxen wären sehr betroffen – so sagte er mir – wenn die Katholiken den Zölibat abschafften. Sie selber haben ihn ja, wenn auch in modifizierter Form. Die Bischöfe müssen ehelos sein, die Priester können heiraten, aber das muss vor der Priesterweihe geschehen. Wenn der Priester die Eucharistie feiert, muss er sich in der Nacht davor geschlechtlich enthalten.“


Thorsten grinste, dann sagte er in diesem vorwurfsvollen Ton, den er bei solchen Diskussionen gerne anschlug: „Dann sehen sie im Geschlechtsverkehr wohl doch etwas Schlechtes. Eine solche Sicht haben wir in unserer Kirche Gott sei Dank längst überwunden.“


Mutter Lichtenberg sagte etwas von Essen vorbereiten und ging hinaus. Man sah ihr an, dass sie sich gerne weiterhin an dem Gespräch beteiligt hätte, aber im Moment fiel ihr kein passendes Argument ein.


Dafür wusste Leano es umso besser: „Natürlich ist der Geschlechtsverkehr von Mann und Frau in der Ehe nicht nur erlaubt, sondern durchaus etwas Positives ...“


Thorsten fiel ihm ins Wort: „Quatsch, der Geschlechtsverkehr zwischen welchen Personen auch immer ist in jedem Fall etwas Positives. Das hat doch der berühmte Moraltheologe Erwin Bockenhoff vor kurzem noch in seiner Rede vor der Vollversammlung der deutschen Bischöfe festgestellt. Früher war es umgekehrt, und da war fast alles Sünde, was mit Sex zu tun hatte.“
„Ich glaube, Sie sollten das doch etwas differenzierter sehen“, sagte der Ruheständler Pfarrer Stratmann, dem es nicht behagte, dass allgemeine kirchliche Dinge im Dienstgespräch aufgetischt wurden.


„Bockenhoff hat gesagt, die Kirche solle an einem Eheverständnis festhalten, das die Ehe als eine ganzheitliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau versteht ...“


„Ja, das ist die Fassade, aber wie sieht das bei ihm praktisch aus? Unser Freund hat keinerlei Einwände gegen Sex vor der Ehe, homosexuelle Praktiken aller Art usw.“


Felizitas Rumöller, die Pastoralreferentin, hatte bis dahin geschwiegen, obwohl man ihr ansah, dass sie nicht mit allem einverstanden war, was da gesagt wurde. Frau Rumöller entsprach äußerlich nicht dem Image der Pastoralreferentin, sie trug niemals Hosen, war immer elegant gekleidet und auch etwas rundlich. Und obwohl sie schon auf die fünfzig zuging, sagte sie allen, dass man sie doch mit ihrem Vornamen ansprechen solle.


Pfarrer Lichtenberg schaute sie an und sagte: „Felizitas, was meinen Sie dazu?“


„Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, warum wir uns in der Dienstbesprechung mit solchen unappetitlichen Dingen befassen sollen.“
Es entstand eine kleine Pause. „Immerhin lehnt Bockenhoff Ehebruch und Promiskuität ab“, sagte der Pfarrer.


Leano rundete ab. „Na ja, wenn jemand einem die eine Hauswand abreißt, freut man sich, dass die andere noch steht. Lieber Herr Pfarrer Lichtenberg, liebe Freunde, machen wir uns doch nichts vor: wenn plötzlich das, was früher schwere Sünde war, plötzlich keine mehr ist, dann gibt es über kurz oder lang gar keine moralische Schranke mehr. Übrigens hat Bockenhoff auch für den Ehebruch ein Türchen offen gelassen, wenn er sagt, die Kirche solle anerkennen, dass es legitime Sexualbeziehungen auch außerhalb der heterosexuellen Ehe gebe. Punkt!“ „Ach, hör mir doch auf mit der traditionellen Moral“, rief Thorsten, „das geht ja alles auf Augustinus zurück, der, wie es heute mit Recht heißt, eine vergiftete Sicht der Sexualität präsentiert hat.“


Pfarrer Stratmann, ein großer Kenner und Verehrer des hl. Augustinus, wurde nun das, was er fast nie war, er wurde heftig.
„Wenn einer Bockenhoff gegen Augustinus ausspielen will, wird ihm das mit Sicherheit auf die Butterseite fallen. Wenn du auch nur ein paar Seiten von Augustinus liest, wirst du den Eindruck haben: dieser Mann weiß, wovon er spricht, er ist einer, der das Leben und den Menschen kennt. Bockenhoff dagegen, der sich solche Aussprüche leistet wie ‚die Bedeutungsfülle der menschlichen Sexualität in ihren positiven Gestaltungsmöglichkeiten bejahen‘, ist ein Traumtänzer. Jawohl. Mehr noch“, der pensionierte Pfarrer lief zur Höchstform auf, „ich sehe in ihm einen Schreibtischtäter. Er selbst ist sicher ein honoriger Mann, aber aufgrund seiner Auslassungen werden Tausende von gutgläubigen Christen schwer sündigen.“


Hans-Joachim Otterbeck, der Diakon, der erst seit einem Monat zum Seelsorge-Team gehörte, stand auf und sagte: „Ich muss jetzt leider gehen. Meine Frau wartet.“


Pfarrer Lichtenberg schloss die Versammlung, indem er allen einen guten Heimweg wünschte.

 

kath.net-Buchtipp
Ronnie, der Sternenwanderer
Roman
Von Peter von Steinitz
Taschenbuch, 220 Seiten; ab 11 Jahre
2018 Fe-Medienverlag
ISBN 978-3-86357-198-6
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