Ist das islamische Kopftuch „nur ein Stück Stoff“?

7. September 2020 in Kommentar


Islamisches Kopftuch vor deutschen Gerichten – „Welche Botschaft zeigt ein religiöses Symbol an? Das ist die entscheidende Frage. Ihr dürfen die Gerichte nicht ausweichen“ – Gastkommentar von Oberkirchenrat i.R. Klaus Baschang


Karlsruhe-Berlin (kath.net) Wenn deutsche Gerichte über das Kopftuch der Musliminnen zu urteilen haben, ist ihnen hohe Aufmerksamkeit gewiss. Denn es geht dabei um Religion und nicht nur um etwas Stoff. Zwar hat sich herum gesprochen: Der Koran gebietet das Tragen des Kopftuchs nicht. Und doch ist es ein religiöses Symbol. Dafür spricht die lange Tradition und das Selbstbewusstsein der Frauen, die ihr Recht eben notfalls vor Gericht einklagen wollen. Auch Christen können sich nicht einfach auf ein Bibelwort berufen, wenn sie ein Silberkreuz an  die Jacke heften oder am Halskettchen tragen wollen.

 

In der Stadt Berlin hat man daraus die Konsequenz gezogen: Weder das Kopftuch, noch ein Kreuz sind erlaubt. Bei uns herrscht religiöse Neutralität. Die gibt es aber gar nicht. Wenn die staatliche Gemeinschaft religiöse Symbole verbietet, verbündet sie sich mit dem Atheismus. Auch er ist eine weltanschauliche Position. Das wissen und erfahren alle, die in solchen Staaten leben.

 

Welche Botschaft zeigt ein religiöses Symbol an? Das ist die entscheidende Frage. Ihr dürfen die Gerichte nicht ausweichen. Das islamische Kopftuch steht für die unlösliche Vermischung von staatlicher und religiöser Autorität. Da regiert der Staat auch über die Gewissen der Bürger. Das Kreuz dagegen bekennt sich zu dem Wort Jesu Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist (Mk 12, 17). Gewissensfreiheit – ein Grundrecht, das für die anderen Freiheitsrechte die Grundlage bildet.

 

Praktische Konsequenz: Wer seinen Beruf im staatlichen Auftrag ausübt, darf am Arbeitsplatz kein Kopftuch tragen. Keine Propaganda für die Vermischung von Staat und Religion auf Kosten der Gewissensfreiheit.  Das Kreuz dagegen passt genau in staatliche Gebäude als Symbol der Gewissensfreiheit aus der Trennung von staatlicher und religiöser Autorität. Auf dem Fußballplatz und dem Wochenmarkt, auch im Theater und bei der Dichterlesung – kein Problem mit dem Kopftuch. In Schulräumen, in den Gerichten, auch im Einwohnermeldeamt und beim Finanzamt – kein Symbol, das sich gegen den freiheitlichen Rechtsstaat richtet. Zumal: Keine Muslimin ist gezwungen, im Auftrag unseres Staats berufstätig zu sein.

 

Klaus Baschang war zunächst evangelischer Pfarrer und Religionslehre, dann 1976-1998 Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Baden. Zunächst verantwortete er im EOK die theologische Ausbildung, dabei brachte er die Reform des Heidelberger Predigerseminars Petersstift auf den Weg. 1989 baute er das Referat Verkündigung, Gemeinde und Gesellschaft auf, das er bis zum Ausscheiden aus dem Dienst 1998 leitete. Von 1991 bis 1998 war Baschang zudem ständiger Stellvertreter des Landesbischofs.

Foto: Symbolbild


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