Kardinal Koch warnt vor Erosion der Menschenwürde in Europa

10. Oktober 2020 in Weltkirche


Vatikanischer Kurienkardinal bei Vortrag in Linz: "Wo Gott aus dem gesellschaftlichen Leben verabschiedet wird, besteht höchste Gefahr, dass auch die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird"


Linz (kath.net/KAP) Kurienkardinal Kurt Koch warnt vor einer zunehmenden Erosion der Menschenwürde in Europa. Das sei freilich die logische Entwicklung in einer Gesellschaft, die immer mehr ihr transzendentes Fundament verliert. Das "Verdunsten des Gottesbewusstseins" in der heutigen Öffentlichkeit nage in gefährlicher Weise an der Würde des menschlichen Lebens, so der Präsident des Päpstlichen Einheitsrates bei einem Vortrag am Donnerstagabend in Linz. Und nochmals mit anderen Worten: "Wo Gott aus dem gesellschaftlichen Leben verabschiedet oder mit überstrapazierter sogenannter Toleranz hinauskomplimentiert wird, besteht höchste Gefahr, dass auch die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird."

Es sei angesichts aktueller Debatten etwa im Bereich der Bioethik evident, dass die Würde des menschlichen Lebens von seinem Beginn bis zu seinem natürlichen Tod ohne Transzendenzbezug kaum mehr erkannt, geschweige denn geschützt werden könne, so der Befund des aus der Schweiz stammenden Kardinals.

Die Geschichte Europas sei mit der Geschichte des Christentums unlösbar verbunden und das Christentum gehöre zur europäischen Identität, bekräftigte Koch zudem. Er bedauerte es in diesem Zusammenhang u.a. sehr, dass man bei der Erarbeitung der Präambel des Reformvertrags der Europäischen Union keinen verpflichtenden Hinweis auf die Transzendenz Gottes vorausgesetzt habe. Der Hinweis auf Gott in einer Verfassungspräambel erfolge ja nicht, um die Bürger auf ein bestimmtes Gottesverständnis zu verpflichten, sondern damit sich der Staat selbst in seine ihm eigenen säkularen Grenzen verweist.

Koch: "Europa mit dem Euro als der vereinheitlichten Währung allein wird keine Zukunft haben. Europa braucht vielmehr auch eine geistige und geistliche Leitwährung." Und diese liege im Christentum, zeigte sich der Kardinal überzeugt.

Europa sei auf drei Hügeln erbaut worden: der Akropolis in Athen, dem Kapitol in Rom und auf Golgotha in Jerusalem. Die Akropolis stehen für die menschliche griechische Philosophie, Vernunft und Demokratie, das Kapitol für das Römische Recht, in dem alle europäischen Rechtssysteme inklusive dem Kirchenrecht gründen würden. Golgotha stehe für das Kreuz Jesu Christi als Zeichen der grenzenlosen Liebe Gottes zu den Menschen und für die unbedingte Würde jedes einzelnen Menschen.

Koch: "Die Kultur Europas ist aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden." Die drei Wurzeln seien im Christentum zusammengewachsen. Koch: "Europa ist durch das Christentum Europa geworden." Damit werde aber auch deutlich, dass Europa kein geografisch eindeutig umschreibbarer, sondern ein kultureller und geistiger Begriff sei, so Koch weiter. "Europa ist eine geschichtlich gewordene Wirklichkeit und eine historisch gewachsene Werte- und Schicksalsgemeinschaft und wird nur als solche Zukunft haben können."

Bekenntnis zu christlichen Grundwerten

Auch der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer bekannte sich zu den christlichen Grundwerten Europas. Gerade in der gegenwärtig so herausfordernden Zeit, in der viele Sicherheiten brüchig werden, brauche es diese Werte, so Stelzer in seinem Grußwort.

Der oberösterreichische Altlandeshauptmann und Vorsitzende der Linzer Sektion der Stiftung Pro Oriente, Josef Pühringer, sprach von Europa als einem "großen Wurf". Er hob Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zu Konsens und Kompromiss hervor. Das alles zeichne ein auf einer christlichen Werthaltung basierendes Europa aus. Aufgabe der Kirchen sei es, dies auch künftig sichtbar zu machen.

Auch der Linzer Bischof Manfred Scheuer hob die gemeinsame Verantwortung der Kirchen hervor. Für die Ökumene brauche es von allen Seiten Offenheit, Beweglichkeit und Lernfähigkeit, mahnte Scheuer ein. "Es braucht die Bereitschaft, damit zu rechnen, auch selbst einmal falsch zu liegen", so der Bischof.

Kardinal Koch hatte am Donnerstagvormittag in St. Radegund das Grab von Franz und Franziska Jägerstätter besucht. Am Nachmittag stand u.a. eine ökumenische Begegnung mit Kirchenvertretern im Pöstlingberg-Schlössl auf dem Programm. An dem Treffen nahmen Vertreter der evangelischen Kirche mit Superintendent Gerold Lehner an der Spitze, Priester der serbisch- und der rumänisch-orthodoxen Kirche sowie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, Charlotte Herman, teil.

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