Londoner Kardinal würdigt verstorbenen Rabbiner Lord Sacks

10. November 2020 in Chronik


Weltweit bekannter früherer Oberrabbiner 72-jährig an Krebserkrankung verstorben - Gesprächspartner von Benedikt XVI. und wichtiger Akteur im christlich-jüdischen Dialog


London (kath.net/KAP) Der frühere britische Oberrabbiner Lord Jonathan Sacks ist tot. Er starb am Samstag im Alter von 72 Jahren an einer Krebserkrankung, berichtet die "Jüdische Allgemeine". Damit sei eine der wichtigsten jüdischen Stimmen dieser Generation für immer verstummt. Auch für die katholische Kirche war Lord Sacks ein wichtiger Gesprächspartner, verdeutlichte der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz von England und Wales, Kardinal Vincent Nichols, in einem Kondolenzschreiben an die weltweite jüdische Gemeinde. Mit Sacks habe er selbst "einen Freund, die Juden eine große Führungspersönlichkeit und die Menschheit einen wortgewandten Sprecher verloren", schrieb Nichols. Der Oberrabbiner habe äußerst eloquent einige der oft vergessenen "größten Wahrheiten der Menschheit", die Juden wie auch Christen teilten, verteidigt.

Ein Höhepunkt sei dabei das Treffen mit Benedikt XVI. am 17. September 2010 während des Papstbesuchs in Großbritannien gewesen. Nichols erinnerte an Zitate von Lord Sacks aus der damaligen Begegnung in der Londoner St. Mary's University: "Angesichts einer zutiefst individualistischen Kultur bieten wir Gemeinschaft an. Gegen den Konsumismus sprechen wir über die Dinge, die einen Wert haben, aber keinen Preis. Gegen Zynismus wagen wir Bewunderung und Respekt. Angesichts zerbrechender Familien glauben wir an gottgeweihte Beziehungen. Wir glauben an die Ehe als Verpflichtung, an die Elternschaft als Verantwortung und an die Poesie des Alltags; die Prägung dafür muss zuhause und in den Schulen mit einem Charisma der Heiligkeit und Gnade geschehen."

Ebenso habe Lord Sacks die Säkularisierung, deren Sorge auch Benedikt XVI. galt, angesprochen. Sie sei ein Ergebnis dessen, "dass die Menschen den Glauben verloren haben an die Fähigkeit gläubiger Menschen, friedlich miteinander zu leben". Diesen Weg dürfe die Menschheit nie wieder einschlagen, zitierte Nichols den verstorbenen Oberrabbiner, der damals einen Ausspruch von Kardinal John Henry Newman (1801-1890) in Erinnerung rief, der sagte: "Wir sollten uns unserem Feind gegenüber immer so verhalten, als ob er eines Tages unser Freund sein würde."


"Intellektueller Riese"


Die enorme Bedeutung von Jonathan Sacks für seine Glaubensgemeinde verdeutlichte sein Nachfolger als britischer Oberrabbiner: "Heute hat die Welt eine Tora-Koryphäe und einen intellektuellen Riesen verloren", erklärte Ephraim Mirvis am Wochenende zum Tod von Sacks. Der Jüdische Weltkongress nannte den Verstorbenen einen "Theologen von außergewöhnlicher Tiefe und moralischer Überzeugung". Israels Staatspräsident Reuven Rivlin betonte: "Wir werden uns immer an seine Warnungen vor Gewalt im Namen Gottes und an seinen Glauben erinnern, dass wir die Macht haben, eine zerbrochene Welt zu heilen."


Sacks wurde am 8. März 1948 in London geboren und studierte in Cambridge Philosophie. Von 1991 bis 2013 war er Oberrabbiner der Vereinigung orthodoxer Gemeinden des Vereinigten Königreichs und des Commonwealths. Er lehrte unter anderem an der Yeshiva University in New York und am King's College in London. Zahlreiche Auszeichnungen wurden ihm verliehen, darunter 2016 der sogenannte "Nobelpreis für Theologie", der Templeton-Preis. 2005 wurde er von Königin Elisabeth II. geadelt und 2009 zum Baron Sacks of Aldgate in the City of London erhoben. Mehrfach traf er mit Papst Benedikt XVI. (2005-2013) zusammen. Prinz Charles bezeichnete ihn einmal als "Licht dieser Nation". 2009 wurde er Mitglied im House of Lords.


"Virus Antisemitismus"


Immer wieder äußerte sich der Autor von rund 30 Büchern besorgt über die zunehmende Spaltung der Gesellschaft und den Verlust moralischer Werte. 2016 beklagte im Europaparlament in Brüssel einen neuen "Virus Antisemitismus", der sich vor allem über die elektronischen Medien in das das neue Epizentrum Naher Osten und die ganze Welt verbreite.

Über die Corona-Krise sagte der Rabbiner im März, er könne sich an keinen Moment in seinem Leben erinnern, an dem die gesamte Menschheit im gleichen Moment die gleichen Probleme hatte. Seine Hoffnung sei, dass sie diese globale Gemeinschaft als eine einzige menschliche Familie erkenne. Dass sie daraufhin mehr Demut gegenüber der Natur empfinde, man ihre Verletzlichkeit spüre und dies auch in Bezug auf den Klimawandel ernster nehme. Und dass man nicht zuletzt erkenne, dass es größere Dinge gibt, als die, die die Menschen bislang entzweit haben, appellierte Sacks.


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