2. April 2005 in Aktuelles
Viele Menschen versammeln sich in diesen Stunden am Petersplatz in Rom, um sich von Johannes Paul II. zu verabschieden. Ein Beitrag von Marie Czernin.
Wien / Rom (www.kath.net)
Es gibt Augenblicke, in denen sich Zeit und Ort zu einem großem Ganzen verdichten und ganz nahe nebeneinander liegen. In einem solchen Raum ist die Dichte so groß, dass man meint, die Zeit sei darin aufgehoben. Man verspürt die Anziehung eines Ortes oder die Faszination einer Person und vergisst dabei auf das Rinnen der Zeit.
Seit zwei Tagen scheint nun schon die Zeit still zu stehen, die ganze Welt hält den Atem an, während im Apostolischen Palast die ganze Nacht die Lichter weiter brennen. Auf dem Petersplatz haben sich Freitagabend rund 70.000 Menschen versammelt, um von Papst Johannes Paul II. Abschied zu nehmen.
Sie bringen Kerzen mit, die ganze Nacht werden Gebete in den Himmel geschickt, ein besonderer Rosenkranz wird für den Heiligen Vater angestimmt. Bischof Angelo Comastri erinnert daran, wie der Papst am ersten Tag seines Pontifikats den Mengen auf dem Petersplatz zugerufen hatte: Habt keine Angst, Christus die Türen zu öffnen. Heute Abend hingegen sei es so weit, dass Christus selbst dem Papst die Türen öffnet.
Nicht nur gläubige Katholiken sind gekommen, auch Touristen, junge Menschen oder Neugierige, die einfach hier sein wollen und an den letzten Stunden dieses großen Gottesmanns teilnehmen. Sie warten stundenlang vor dem verwaisten Fenster des Apostolischen Palastes, wo sich der Papst noch am vergangenen Mittwoch kurz den Pilgern gezeigt hatte, stumm, aber nach Worten ringend und sich resignierend auf den Kopf griff, ganz als wollte er damit die Enttäuschung, dass er sich nicht besser mitteilen könne, zum Ausdruck bringen, ja, als wolle er damit sagen: Ich kann nicht mehr, bitte helft mir weiter.
In seiner Nähe, besonders jetzt, wo die Spannung der Erwartung alles verdichtet, entsteht leicht der Eindruck, dass man sich am Nabel der Zeit befindet. Diese Stille, die in der Nacht von Freitag auf Samstag auf dem Petersplatz herrscht, ist unbeschreiblich. Es ist wunderbar, so still und einfach friedlich, meint eine amerikanische Mutter, die mit ihrer Tochter auf dem Petersplatz gekommen ist.
Ich wollte hier mit den anderen Menschen einfach gemeinsam beten, erklärt eine andere Frau und ein Kapuzinerpater fügt hinzu: Ich fühle einen tiefen inneren Frieden. Jeder scheint sich bewusst zu sein, dass dies ein besonderer Augenblick ist, den sie nicht missen wollen: Es ist ein historischer Moment für mich, hier sein zu können, heute an diesem traurigen Tag. Dieser Papst war einfach ein wunderbarer Mensch, bekennt eine Jugendliche, die, wie so viele andere Jugendliche, auf dem Petersplatz eine Nachtwache hält.
Am Samstag Morgen verkündet Joaquin Navarro Valls, der Pressesprecher des Vatikans, während eines kurzen Briefings vor den Journalisten, dass die Situation immer noch sehr kritisch ist. Der Atmen des Papstes sei dünner geworden und sein Blutdruck noch niedriger. Um halb sieben Uhr Früh sei sein Gesundheitszustand noch weiter gefährdet gewesen, weshalb seine engsten Vertrauten in seiner Anwesenheit die Heilige Messe gefeiert haben.
Der Papst sei noch bei Bewusstsein und habe immer wieder die Augen aufgemacht und ein paar Worte gestammelt, Worte des Dankes, die seine Vertrauten versucht haben zu rekonstruieren: Ich habe euch gesucht. Jetzt seid ihr hier bei mir, und ich danke Euch dafür. Navarro Valls versucht, diese Worte zu interpretieren und meint, dass der Papst womöglich besonders an die jungen Menschen gedacht hat, denen er während seines Ponitifikats immer wieder begegnet ist und die so zahlreich hier auf dem Petersplatz versammelt sind. Aber sicher sind die Worte des Dankes auch für alle anderen bestimmt, die in diesen Stunden für den Papst beten und sich auf dem Petersplatz und in den Kirchen versammelt haben. Mit allen fühlt sich der Papst in diesem schweren Stunden verbunden.
Ich liebe diesen Papst sehr und weiss nicht, was nach seinem Tod passieren wird, bedauert eine junge Frau aus Osteuropa, die sich nicht damit abfinden kann, dass dieses Pontifikat nun zu Ende geht. Menschen in der ganzen Welt, von Mexiko bis zu den Philippinen, ja sogar in Bagdad beten die Christen für den Papst, versammeln sich in den Kirchen, zünden Kerzen an und bitten Gott um Beistand.
Im Heimatland Polen finden Gebetsvigilien in allen Kirchen statt und viele Menschen sind in Tränen aufgelöst: Er war für uns eine Ikone, fast wie ein Gott, erklärt eine junge Polin und eine ältere Dame fügt hinzu: Ich erinnere mich an ihn seit meiner Kindheit, als er noch Priester war und dann Bischof und danach Kardinal von Krakau wurde.
Als Karol Wojtyla Bischof wurde, hätte ich nie gedacht, dass er einmal Papst wird, erinnert sich Jerzy Kluger, ein jüdischer Freund, der mit dem der Papst in der Schule war. Karol Wojtyla war immer umgeben von Juden in seiner Kindheit und viele von ihnen waren mit ihm in der Schule. Sicher hat er sich ein wenig verändert, als er Priester und dann Papst wurde, aber sein Charakter ist der selbe geblieben. Er ist ein Mensch der Gerechtigkeit.
Nicht nur sein alter Schulfreund erinnert sich gerne daran, dass Papst Johannes Paul II. entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Wunden, die den Juden im Laufe der Jahrhunderte zugefügt wurden, etwas geheilt werden konnten. Die historische Geste, als der Papst während seiner Israelreise im Heiligen Jahr einen Zettel in die Jerusalemer Klagemauer steckte und damit das Mea Culpa der Kirche zum Ausdruck bringen wollte, ist noch allen in lebendiger Erinnerung. Jetzt, wo der Papst im Sterben liegt, schweigen sogar in Israel die Waffen, und Juden, Moslems und Christen beten gemeinsam für den Papst.
Jetzt, wo das Leben Johannes Paul II. nur mehr an einem Faden zu hängen scheint, bezeugen die Anwesenden auf dem Petersplatz, dass noch immer eine starke Atmosphäre ausgeht von dem Ort, an dem der Papst so lange gewirkt hat, eine Atmosphäre, die der Papst sein Leben lang auf Menschen ausgestrahlt hat: Er hat nicht bei unseren Scherzen mitgemacht und nicht mit uns geflirtet, aber er hatte diese innere Ausstrahlung, erinnert sich eine polnische Jugendfreundin des Papstes, die mit ihm auf der Bühne stand, als er selbst noch dachte, Schauspieler zu werden.
Jetzt beeindruckt der Papst die Menschen nicht mehr mit der Macht der Worte, die er zuvor mit kraftvoller Stimme über den Petersplatz schmettern konnte, sondern allein seine stille Gegenwart zieht in den Bann und hinterlässt ein Schaudern, eine Erschütterung. Dass diese Ausstrahlung sogar durch den Fernseher seine Wirkung zeigen kann, bezeugte am vergangenen Ostersonntag eine österreichische Mutter und deren zwei Jahre alte Tochter.
Als der Papst mit seiner zittrigen Hand den Urbi et Orbi Segen am Fenster seines Arbeitszimmer spendete und dabei nach Luft rang, rief das Kind in den Armen der Mutter plötzlich aus: Mami, schau, Jesus hat Aua-weh. Ohne dass die Mutter ihrer kleinen Tochter jemals vorher erklären konnte, wer dieser weiße Mann auf dem Bildschirm ist, erfasste dieses kleine Kind besser als alle anderen die Bedeutung dieses fast ins mystisch gehende Leiden des Papstes. Kann dem Stellvertreter Christi hier auf Erden dieser Gang hinauf zum Golgotha und der Kreuzestod erspart bleiben?
Foto: Paul Badde
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