in Interview
Ein Exklusiv-Interview mit der Philosophin und "Heidegger-Schülerin" Alma von Stockhausen, langjähriger Philosophiedozentin in Freiburg sowie Gründerin der Gustav-Siewerth-Akademie
KATH.NET:Was war der Anlass für die Gründung der Akademie?
Stockhausen: Der äußere Anlass war die Studentenrevolte in Freiburg, die68-er Studentenrevolution. Ich habe diese in Freiburg sehr stark erlebt: Ichkonnte keine Vorlesung halten. Jede Vorlesung wurde gesprengt. Ich hatte verschiedene Prozesse beim Verwaltungsgericht, weil ich nicht bereit war, für marxistische ThesenQualifikationen auszustellen. Und nachdem ich gesehen habe, dass ich in Freiburg eigentlichnichts mehr machen konnte, habe ich gedacht, es geht nur privat... und da habe ich dieLeute privat eingeladen, eben gerade die Rebellen, und so haben wir privat Marx studiert.Und die Leute haben gesehen, dass Marx das falsche Ideal ist und sind alle Christengeworden.Die zweite Reaktion auf die Revolution der Frankfurter Schule war einstarker Angriff auf die Kirche, besonders die katholische Kirche. Und sohaben wir gedacht, wir müssen mit der Wissenschaft den Glauben verteidigen,auf der einen Seite mit der Philosophie, aber dann auch mit den entsprechendenNaturwissenschaften. Wenn man die Evolutionstheorie annimmt, kann man diese nicht mit demSchöpfungsglauben vereinbaren. Es fehlt die Grundlage für den Glauben überhaupt. Um denGlauben philosophisch und naturwissenschaftlich zu verteidigen, haben wir theologische Kurseeingerichtet.
KATH.NET: Wie hat sich die Akademie in ihren Anfangszeiten entwickelt?
Stockhausen: Wir haben die Programme in ganz Deutschland verteilt, undunsere Kurse im Sommer waren sehr gut besucht. Wir brauchten also auch viele Professoren.Ca. 60 Professoren arbeiteten für uns, und keiner hat je einen Pfennig Geld dafür genommen. Wirmussten für die finanziellen Mittel immer selbst aufkommen und wurden weder von Kirche nochvom Staat unterstützt.Nachdem diese Kurstätigkeit also sehr erfolgreich war, habe ich gedacht: Warum soll man das nicht systematisieren? Warum soll man nicht daraus einStudium machen? Und so habe ich erst ein Studium Generale aufgebaut, alsVorbereitung für das Universitätsstudium. Das haben wir vier Jahregemacht, und dann haben wir gedacht, es könnte ja auch ein Hauptstudiumsein, und so haben wir versucht, die staatliche Anerkennung für einMagisterstudium zu bekommen. Das Ministerium hat mir gesagt: "Sie müssen unsaber zuerst ungefähr 30 bis 40 Millionen Mark auf ihrem Konto nachweisen. Das ist dieSicherheit, die wir haben müssen." Und dann habe ich gesagt: "Mein Konto können sie gerneeinsehen, da ist kein Pfennig drauf... Mit Geldmachen wir das nicht. Entweder ist die Hochschule wegen der Zustände inDeutschland notwendig, dann muss es auch ohne Geld gehen. Oder sie ist nichtnotwendig, dann können wir's auch lassen." Dann haben die Ministerialen gesagt: "DieZustände kennen wir! Ja ..." Und wörtlich: "Das einzige Band, das die Hochschulen nochzusammenhält, ist das Geld. Kein Wert, kein Ideal, nichts." Deswegen muss es Hochschulen mitWerten und Idealen geben, wo das Geld keine Rolle spielt. Das haben sie eingesehen.
KATH.NET: Wie wird die Akademie finanziert?
Stockhausen: Wir haben jetzt ungefähr 80 Professoren. Wir müssen uns lautMinisterium auch immer an den großen Universitäten messen, und dieselbe Anzahl an Professorennachweisen. Wie gesagt, alle unsere Professoren warenbereit, es umsonst zu machen. Sie sind also entweder Emeriti, die von ihrerPension leben, oder wenn es jüngere sind, dann lehren sie auch an anderen Universitäten undmachen bei uns per Kompaktkurs das, was sie auf ihrer Heimatuniversität über das Semesterverteilt unterrichten.
KATH.NET: Wie gefällt es den Professoren, in so kleinem Rahmen zuunterrichten?
Stockhausen: Die Professoren kommen auch deswegen gern, weil es Freudemacht, wennman mit wenigen persönlich lehren kann und auch den Kontaktuntereinander hat. Auf den größeren Universitäten ist es so, dass keiner denanderen kennt. Jeder ist völlig auf sich gestellt. Ich habe 30 Jahre inFreiburg doziert und hatte nie, wirklich nie ein Gespräch mit einemKollegen. Sie haben mich nicht einmal gegrüßt.
KATH.NET: Was ist der inhaltliche Schwerpunkt des Studiums?
Stockhausen: Die philosophisch-theologische Ausrichtung. Wir sind dabei, einStudienprogramm zu erstellen, wo man, egal, ob man Journalistik oderSoziologiestudiert, Philosophie und Theologie in einem Minimum belegen muss.
KATH.NET: Welche Philosophen werden am meisten gelesen?
Stockhausen: Wir haben das Studium so aufgebaut, dass man auf dem Boden derAntike sehenmuss, wie das christliche Mittelalter die Aporien der Antike gelöst hat, dasdie Offenbarung mit der Metaphysik verknüpft hat. Aber dann setzen wir unsganz bewusst mit der gesamten Moderne auseinander. Es wird Lutherstudiert, Hegel, Kant, Heidegger, die ganze Moderne und dienaturphilosophischen Probleme, der Darwinismus, der Neo-Darwinismus,Teilhard de Chardin, auf den sich ja fast alle Katholiken berufen, als dieMöglichkeit der Vereinbarung von Schöpfung und Evolution, was der größteUnsinn ist.
KATH.NET: Darwinismus hat ja auch Auswirkungen auf die Embryologie. HabenSie auch dieses Thema in Ihren Unterricht eingebaut?
Stockhausen: Ich habe in Freiburg in jedem Semester den Embryologen Prof.Blechschmidt in meine Vorlesung eingeladen, um zu zeigen, dass der Mensch von Anfang anMensch ist und nicht im Laufe der Zeit Mensch wird. Das hat ja größte Konsequenzen. Mir haben dieStudenten nach diesen Vorlesungen immer gesagt: "Jetzt wissen wir, dass wir nicht abtreibendürfen, wenn wir das gesehen haben, diese Bilder, dass der kleine Embryo von vier Wochenschon ein Antlitz hat."
KATH.NET: Das Studium an der Akademie setzt ein Abitur voraus. Gibt es auchideelle Aufnahmekriterien?
Stockhausen: Ja, sie sind ausgerichtet auf die Religion. Man muss nichtkatholisch sein,aber man muss religiös interessiert sein. Wir haben schon viele Marxistenaufgenommen, aber die Bedingung war, dass sie an der Gottesfrage wirklichinteressiert sind und solche Vorlesungen hören wollen. Und damit haben wirbeste Erfahrungen gemacht - sie sind alle katholisch geworden. Die meistenwissen ja gar nicht, was die Religion sagt.Wir haben auch Atheisten aufgenommen, aber eben immer unter dieserBedingung, dass sie an der Gottesfrage interessiert sind und dafür auch wastun.
KATH.NET: Warum haben Sie die Akademie nach Gustav Siewerth benannt?
Stockhausen: Siewerth war mein Lehrer. Ihm verdanke ich große Stücke derHegel- und derHeideggerkritik, und wenn das nicht getan wird, dann kann man die Metaphysikund die Theologie nicht halten.
KATH.NET: Wie war Ihre Beziehung zu Heidegger und was ist IhrHauptkritikpunkt an seiner Philosophie?
Stockhausen: Ich war Schülerin von Heidegger. Zunächst ist sein Reden, dasser dengöttlichen Gott sucht, natürlich verführerisch. Aber wenn man dann sieht,dass an die Stelle Gottes der Götze Natur tritt und diese Natur mit demChaos gleichgesetzt wird, mit dem Kampf der Götter gegen die Menschen undder Menschen gegen die Götter...Ich denke wirklich, dass Heideggers Philosophie die vollständige Perversiondes Christentums beinhaltet. Und Heidegger ist wirklich derjenige, derLuther am allermeisten gehuldigt hat, vielmehr noch als Hegel. Heideggerselbst teilt die Philosophiegeschichte in zwei große Abschnitte ein: Dereine ist die katholische Scholastik und der andere ist seit Luther dieLutherische Scholastik. Die katholische Scholastik denkt logisch, dieprotestantische Scholastik denkt dialektisch. Wenn ich aber dialektischdenke, dann heißt das, dass ich das Gute und das Böse als gleichrangig zubetrachten habe, dann gibt es keine Moral mehr.
KATH.NET: Gibt es für unsere Gesellschaft Auswege aus dieser Dialektik?
Stockhausen: Ich glaube wirklich, dass die Grundlage für diese DialektikLuther selberist. Die falsche Theologie. Wenn ich, wie Luther, das Böse auf Gottübertrage und in Gott selbst den größten Widerspruch sehe, dass er gut undböse ist, dass er erst Teufel werden muss, bevor er Gott werden kann. Wennder Lutherische Gottesbegriff die schrecklichste Dialektik ausdrückt, alsoden fürchterlichsten Widerspruch, dann muss ich diesen Protestantismusüberwinden. Und das, was wir heute machen, dass die katholische Kirche sichder evangelischen anpasst, ist in meinen Augen der Untergang für diekatholische Kirche, der schlimmste Trick des Teufels. Wir müssen denProtestantismus überwinden - dann haben wir die Wurzel der Dialektiküberwunden.
Foto: (c) www.siewerth-akademie.de
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