Als die Katholiken sich noch wehrten

4. April 2006 in Schweiz


Es ist noch gar nicht lang her, da gingen Schweizer Intellektuelle, Medienleute und Politiker für den Glauben auf die Straße. Ein Kommentar von Martin Meier-Schnüriger.


Basel (www.kath.net) Die Empörung, die in den moslemischen Ländern auf Grund der dänischen Mohammed-Karikaturen um sich griff und zahlreiche gewalttätige Reaktionen hervorbrachte, stellt uns gläubige Christen vor ein Dilemma. Einerseits verurteilen wir zu Recht die Akte der Gewalt, die fanatische Moslems an Unschuldigen verübten, namentlich an Christen.

Andererseits können wir wohl auch ein wenig mit ihrer Empörung mitfühlen, ist unser Glaube doch in letzter Zeit auch immer wieder Ziel von gemeinen Attacken aus dem Medien- und Kunstbereich geworden. Im Gegensatz zu den Moslems blieb es aber im christlichen Bereich bei kleineren Protesten, die weit gehend ungehört verhallten.

Aktiv gegen Beleidigungen

Blickt man jedoch in die jüngere Geschichte unseres Landes, stellt man erstaunt fest, dass die Zeit, wo sich Katholiken aktiv gegen die Beleidigungen ihres Glaubens zur Wehr setzten, noch gar nicht so lange vergangen ist. Ein Artikel im Tages-Anzeiger vom 14. März gibt darüber Aufschluss.

Zwar muss man diesen Artikel ziemlich „gegen den Strich bürsten“, denn seinem Verfasser, Josef Lang, Nationalrat der „Alternative Kanton Zug“ und Historiker mit besonderem Interesse für die Geschichte des Katholizismus und des Antisemitismus, geht es in erster Linie darum, die kirchentreuen Katholiken der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts auf die gleiche Stufe zu stellen wie die fanatischen Islamisten von heute. Dadurch soll auch die CVP für ihr aktuelles Muslimpapier gerügt werden.

Hochhuths „Der Stellvertreter“

Im Jahr 1963 wurde das berühmt-berüchtigte Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth in Berlin uraufgeführt. Es wird darin das angebliche Schweigen Papst Pius’ XII. zu den Judenverfolgungen unter den Nazis thematisiert, bzw. der Papst wird mit verantwortlich für den Holocaust gemacht (die neusten Forschungen haben zwar eindeutig bewiesen, dass durch das grosse Engagement Pius’ XII. viele Juden gerettet werden konnten). Nun kündigte das Basler Stadttheater im April 1963 an, es werde das Stück im Herbst in sein Programm aufnehmen.

Die Reaktionen, die diese Ankündigung auslöste, sind heute unvorstellbar. Eine Gruppe von Luzerner (!) Akademikern (!) verlangte im April vom Bundesrat, das Machwerk für die ganze Schweiz zu verbieten. Im Mai lehnte der Kanton Zug ein Gesuch Hochhuths um eine Aufenthaltsbewilligung ab, weil dieser die religiösen Gefühle verletzt habe.

Kirchgemeinde organisierte Fackelzug

In Basel verhandelte die römisch-katholische Kirchgemeinde (!), also das staatskirchliche Gremium (!), mit dem Stadttheater über eine Absetzung des Stücks. Als diese Verhandlungen zu nichts führten, organisierte sie am 24. September einen Fackelzug mit 6000 Personen gegen die durch eine Polizeikette geschützte Aufführung.

Im Kanton Solothurn wandte sich die katholische Zeitung „Der neue Morgen“ gegen den „Stellvertreter“, in Olten belagerten am 29. Oktober tausend Personen das Gastspiel des Basler Stadttheaters. Mitglieder der katholischen Jungmannschaften (Jungwacht und Blauring (!)) versuchten, mit Stinkbomben und Feuerwerkskörper den Materialwagen zu erstürmen. In Bern beteiligte sich gar der damalige Bundesrat Ludwig von Moos (OW) an einer Demonstration gegen Hochhuths Theaterstück.

Katholiken solidarisch mit ihrer Kirche

Der aktive Kampf gegen die Aufführung des „Stellvertreter“ zeigt, dass offenbar in den 1960-er Jahren die Solidarität der Katholiken mit ihrer Kirche, das „sentire cum ecclesia“, noch intakt war. Nicht nur ein paar vereinzelte „Fundamentalisten“, sondern Intellektuelle, Medienschaffende und sogar ranghohe Politiker wehrten sich für ihren Glauben und scheuten sich nicht, dies öffentlich zu bezeugen.

Man kann sich natürlich fragen, wie christlich es ist, mit Stinkbomben zu operieren, doch nur schon die Tatsache, dass sich Leute von Jungwacht und Blauring gegen Hochhuths Stück wendeten, kommt aus heutiger Sicht einer Sensation gleich. Auch die Beteiligung eines Bundesrates an einer Protestkundgebung gegen eine Theateraufführung wäre heute undenkbar.

Proteste gegen die eigene Kirche

So bleibt die Frage, warum sich innerhalb von nur gut vierzig Jahren die Situation so Grund legend verändert hat. Staatskirchliche Gremien operieren und protestieren heute eher gegen ihre eigene Kirche als gegen Kirchenverleumder. Vorgeblich „katholische“ Politiker fühlen sich dem verpflichtet, was als „Basis“ daherkommt und meist ganz andere Interessen vertritt als die offizielle römisch-katholische Kirche. Die Kirchlichkeit der kirchlichen Jugendorganisationen beschränkt sich in der Regel darauf, Geld und Infrastruktur der Kirche zu benutzen. Wie konnte dieser Wandel geschehen?

Auf diese Frage gibt es wohl keine eindeutige und klare Antwort. Das gesellschaftliche Beben der 68-er Protestbewegung, die Lockerung der Sitten durch die so genannte „sexuelle Revolution“, die Vermedialisierung der Gesellschaft durch Fernsehen, Handy und Internet sind mögliche, aber nicht alle Ursachen.

Die Gegenbewegung

Glücklicherweise zeichnet sich am Horizont bereits eine Gegenbewegung ab. Die Weltjugendtage, zu denen auch eine stattliche Zahl von Schweizer Jugendlichen strömen, zeigen, dass „sentire cum ecclesia“ keineswegs out ist. Sie sind eine subtilere und freundlichere Art, die Freude am Glauben zu bezeugen, als es die Stinkbomben von 1963 waren.

Der Beitrag erschien in der Schweizerischen Katholischen Wochenzeitung. Publikation mit freundlicher Genehmigung des Autors.


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