25. Mai 2006 in Interview
George Weigel, der bekannte Biograph von Johannes Paul II., über die Pastoralreise Papst Benedikts XVI. nach Polen.
Washington, D.C., (www.kath.net/Zenit)
Als zweiter Nichtpole wurde George Weigel, der bekannte Theologe, Kommentator und Biograph von Papst Johannes Paul II., vor kurzem mit der Goldmedaille Gloria Artis geehrt, der höchsten Auszeichnung, die Polen in Anerkennung für besondere Verdienste auf den Gebieten Kultur und Kunst Privatpersonen und Institutionen verleiht.
ZENIT fragte Weigel, den Inhaber des William-E.-Simon-Lehrstuhls für katholische Studien am Ethics and Public Policy Center in Washington, nach der Bedeutung der bevorstehenden Pastoralreise Benedikts XVI. in die Heimat seines Vorgängers.
ZENIT: Papst Benedikt XVI. hat im ersten Jahr seines Pontifikats wenige Reisen unternommen. Warum nahm er Ihrer Meinung nach die Einladung aus Warschau an?
Weigel: Papst Benedikt reist so oft, wie es ihm unter Berücksichtigung seines Alters und seiner zahlreichen Verpflichtungen angebracht erscheint.
In Bezug auf die Frage, warum er die Einladung zu einem Polenbesuch angenommen hat, meine ich, dass er dem polnischen Volk für das Geschenk Johannes Pauls des Großen danken will. Und wahrscheinlich möchte er die Polnische Nation herausfordern, damit sie bei der Re-Evangelisierung des europäischen Kontinents eine Vorreiterrolle einnimmt.
ZENIT: Welche Bedeutung hat es, dass der Papst gerade jene Stätten aufsucht, die aufs Engste mit der Lebensgeschichte seines Vorgängers verknüpft sind?
Weigel: Mit dem Besuch in Wadowice, der Heimatstadt Johannes Pauls II., sowie in Kalwaria und in Tschenstochau drückt Benedikt XVI. seine Anerkennung dafür aus, dass der verstorbene Papst an diesen Stätten Dinge lernte, die für die Kirche auf der ganzen Welt von großer Bedeutung waren; und sie sind es auch heute noch.
ZENIT: Welche Rolle spielt in den Augen Benedikts XVI. Polen in der europäischen Politik?
Weigel: Der Papst erkennt mit Sicherheit, dass Polen neben seiner stabilen Demokratie und seiner wachsenden Wirtschaft die Heimat einer unversehrten katholischen Kultur ist in einer Zeit, in der der Glaube in Europa abstirbt. Das ist übrigens mit ein Grund dafür, dass auch Europa selbst im Sterben liegt.
Ich vermute, dass der Papst die Hoffnung besitzt, dass der Glaube der Polen dabei helfen wird, dem katholischen Glauben im alten Europa wieder neuen Elan zu geben und die Tendenz in der Europäischen Union hin zu einem aufgezwungenen Lebensstil, der vom Libertinismus gekennzeichnet ist, abzuwehren. Dabei handelt es sich genau um das, was der Papst am Vortag seiner Wahl als Diktatur des Relativismus bezeichnete.
ZENIT: Wie sieht die Situation der Kirche in Polen aus? Was sind die Herausforderungen, die der größere Wohlstand und der Einfluss der säkularisierten westlichen Kultur mit sich bringen?
Weigel: Viele Beobachter haben nach der Revolution im Jahr 1989 einen starken Rückgang der Katholiken in Polen angekündigt, vergleichbar mit den Entwicklungen in Spanien, Portugal und Irland. Das ist nicht geschehen. Der katholische Glaube wird in Polen auch heute noch sehr stark praktiziert. Es handelt sich sicher um den stärksten Glauben in Europa.
Hinsichtlich der Herausforderungen, vor denen die Kirche in Polen steht, sind die meisten bedächtigen polnischen Katholiken, die ich kenne, der Ansicht, dass dem Land ein dynamischerer Führungsstil seitens der Bischöfe gut tun würde, falls die Kirche die ihr geschenkten Möglichkeiten nützen will, die Kultur nachhaltig mitzugestalten.
ZENIT: Erwarten Sie, dass es auch in Zukunft so viele Priesterberufungen in Polen geben wird bisher?
Weigel: Ja, wenigstens in der nahen Zukunft.
Foto: © Agenzia Sir
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