Priestermangel – und was jetzt?

21. Juni 2006 in Schweiz


Einige bedenkenswerte Lösungsansätze von Abt Martin Werlen OSB (Einsiedeln) zum Priestermangel. Ein Kommentar von Martin Meier-Schnüriger.


Altendorf (www.kath.net)
Das Gespenst des Priestermangels geistert durch die Schweiz ebenso wie durch alle anderen Ländern, in denen der Wohlstand herrscht. Während die Berufungen in den Priester- und Ordensstand dort boomen, wo es den Menschen materiell schlecht geht, verliert der reiche Westen immer mehr Seelenhirten. Die Gründe dafür sind vielfältig und lassen sich nicht, wie oft behauptet wird, auf den Priesterzölibat reduzieren. Der allgemeine Schwund des Glaubens wie auch der Geburtenzahlen haben als logische Folge auch den Rückgang der Priesterberufungen.

Doch Schuldzuweisungen und Jammern helfen nicht, gefragt sind tragfähige Lösungen. Unter dem Priestermangel sollen ja nicht Gläubige leiden müssen. Das „Allheilmittel“, das zur Zeit in vielen Diözesen des deutschen Sprachraums zur Anwendung kommt, heisst „Seelsorgeverband“.

Die Pfarreien einer Region bleiben faktisch selbständig, werden von einer so genannten Gemeindeleiterin oder einem Gemeindeleiter – in der Regel einem theologisch ausgebildeten Laien, allenfalls einem ständigen Diakon – geführt und erhalten sporadisch Besuch von einem Priester, der all jene Dienste vornimmt, die dem Priester vorbehalten sind.

Dieses Modell trägt zwar der Eigenständigkeit der Pfarreien Rechnung, weist aber gravierende Nachteile auf. Der Priester verliert seinen Einfluss auf und seine Beziehung zu den Gläubigen. Er wird als Fremdkörper „eingeflogen“ und muss sich nicht selten den Launen und den Eigenmächtigkeiten des örtlichen Gemeindeleiters beugen, da ihm die Verantwortung für die Pfarreien faktisch nicht obliegt.

Verstösse gegen die liturgischen Normen sind geradezu vorprogrammiert, etwa in Bezug auf die Laienpredigt während der Heiligen Messe. Zudem kann der regionale Priester nicht gleichzeitig überall sein. Daher werden in solchen Seelsorgeverbänden oft Wortgottesdienste mit oder ohne Kommunionfeier an Stelle der Eucharistie angeboten und den Gläubigen vorgegaukelt, die Sonntagspflicht könne auch so erfüllt werden. Die Pfarreien bleiben zwar eigenständig, aber um den zu hohen Preis des Verzichts auf das sonntägliche Heilige Messopfer.

Einen andern, höchst bedenkenswerten Lösungsansatz hat jüngst der Abt von Einsiedeln, Martin Werlen OSB, anlässlich eines Referats geäussert, KATH.NET hat berichtet. Seine Ideen sehen wie folgt aus:

1. Die Zahl der Pfarreien – und damit der Pfarrer – wird drastisch reduziert.
2. Dies könnte so geschehen, dass man auf die historischen Mutterpfarreien zurückgeht.
3. Jede Pfarrei hat wieder einen Pfarrer.
4. Jede Pfarrei hat eine sonntägliche Eucharistiefeier.
5. Dank der Mobilität ist es kein Problem, zur sonntäglichen Eucharistiefeier in die Kirche der Mutterpfarrei zu gehen.
6. Analog zu den Pfarreien werden auch die Kirchgemeinden zusammengeschlossen.
7. In allen bisherigen Pfarreien trägt eine Pastoralassistentin oder ein Pastoralassistent in Zusammenarbeit mit dem Pfarrer die Verantwortung.
8. Jedes Pfarrhaus ist bewohnt.
9. Die Filialgemeinden sind eine Art Basisgemeinden.
10. In den Kirchen findet täglich mindestens ein Gottesdienst statt: Stundengebet, Kreuzwegandacht, Rosenkranz, Maiandacht, Wortgottesdienst, eucharistische Anbetung und so weiter. Einmal in der Woche ist eine Eucharistiefeier, aber nicht am Sonntag.
11. Der Pastoralassistent oder die Pastoralassistentin ist verantwortlich für die Katechese (Erwachsenenkatechese, Kinderkatechese, Sakramentenkatechese und so weiter), möglicherweise auch in Zusammenarbeit auf höherer Ebene.
12. Bibelgruppen sind möglich.
13. Auch die Kranken- und Altenbetreuung wird auf dieser Ebene organisiert.
14. Der Pastoralassistent oder die Pastoralassistentin ist verantwortlich für den Transport zur sonntäglichen Eucharistiefeier und nimmt daran teil.
15. Es findet grundsätzlich nur eine sonntägliche Eucharistiefeier statt, damit die Pfarrei sich wirklich aus der gemeinsamen Feier der Eucharistie auf-erbaut. Einzige Ausnahme ist durch Platzgründe gerechtfertigt.

Es lohnt sich, diese Vorschläge genauer unter die Lupe zu nehmen: Bestechend sind vor allem die Ideen 1 bis 4. Was unter „historischer Mutterpfarrei“ zu verstehen ist, müsste im Einzelfall natürlich pragmatisch ausgehandelt werden. So macht es kaum Sinn, die Gläubigen der Ausserschwyzer Bezirke Höfe und March jeden Sonntag per Schiff auf die Insel Ufenau zu verfrachten, auf der sich bekanntlich die Mutterpfarrei aller Ausserschwyzer Pfarreien befindet.

Doch der Gedanke, von den vielen Pfarreien und vor allem Kirchgemeinden Abschied zu nehmen, mag für den Lokalpatrioten schmerzlich sein, ist aber vernünftig im Hinblick darauf, dass die Zahl der (wirklich) Gläubigen in den letzten Jahren drastisch geschrumpft ist. Im Gegensatz zum Seelsorgeverband ist es bei diesem Modell wieder der geweihte Priester, der seiner Pfarrei faktisch und praktisch vorsteht. Und, ganz wichtig: Die sonntägliche Eucharistiefeier ist gewährleistet!

Die Punkte 5 und 14, die den Transport der Gläubigen zur Mutterpfarrei betreffen, sind sehr optimistisch formuliert. Die Mobilität ist zwar heute so groß wie nie, doch für betagte und gebrechliche Menschen ist sie unter Umständen ein großes Problem. Der Vorschlag, dass die Pastoralassistent(inn)en den Transport zum Gottesdienst organisieren und auch selbst daran teilnehmen, ist großartig, dürfte aber bei den Betroffenen mit wenig Begeisterung aufgenommen werden, bedeutet er für sie doch Mehrarbeit und die Verpflichtung zum sonntäglichen Kirchgang, was längst nicht bei allen von ihnen gängige Praxis ist.

Punkt 6 berührt unser schweizerisches Staatskirchenwesen. Warum, so fragt man sich als weltkirchlich orientierter Katholik, könnte man die Kirchgemeinden nicht gerade ganz abschaffen? Das würde die Kirche aus dem Würgegriff der staatskirchlichen Instanzen befreien und ihr den Spielraum zurückgeben, innere Angelegenheiten selbständig zu regeln.

Die Punkte 7 bis 9 regeln die Verhältnisse vor Ort in den bisherigen Pfarreien. Sie müssten noch klarer formuliert werden und insbesondere die Kompetenzabgrenzung zwischen Pfarrer und Pastoralassistent(inn)en enthalten. Es müsste klar daraus hervorgehen, dass der Pfarrer der Chef und der Letztverantwortliche seiner Pfarrei ist.

Die Laientheologen wären erste Anlaufstellen für die Gläubigen in ihrer Nähe, außerdem zuständig für die Aufgaben, die unter 11 bis 14 aufgelistet sind. Die Feier der Eucharistie dagegen fällt, wie es die Kirche vorsieht, in die alleinige Kompetenz des geweihten Priesters. Wo sich dieser nicht an die kirchlichen Normen hält, müsste seinen Untergebenen, wie auch allen Gläubigen, die Möglichkeit eingeräumt werden, bei nächst höherer Stelle zu intervenieren, falls ein vorgängiges persönliches Gespräch keine Wirkung zeigt.

Die Punkte 10 und 15 schließlich befassen sich mit den Gottesdiensten. So schmerzlich es auch ist, muss wohl das Opfer des Verzichts auf die tägliche Feier der Heiligen Messe an jedem Ort gebracht werden. Immerhin findet im Bereich der neuen Mutterpfarrei täglich an einem andern Ort eine Eucharistiefeier statt. Außerdem kommen gemäß diesem Vorschlag die anderen (traditionellen) Formen der Liturgie wieder besser zur Geltung. Unter Punkt 15 lässt sich darüber streiten, ob am Sonntag wirklich nur eine einzige Heilige Messe stattfinden soll. Zumindest die samstägliche Vorabendmesse müsste als Konzession an die „Ausschläfer“ beibehalten werden.

Abt Werlens Vorschläge haben also einiges an sich. Ob sie allerdings eine Chance auf Verwirklichung haben, ist fraglich, da sie, wie gesehen, die faktische Abschaffung vieler Pfarreien und Kirchgemeinden mit sich bringen und die Kompetenzen der Laientheologen auf das Niveau der Weltkirche zurückstutzen. Viele „fortschrittliche“ Kirchgemeinden, die offen zugeben, gar keinen Priester haben zu wollen, werden gegen jedes Ansinnen, einem Pfarrer wieder die letzte Verantwortung zu übertragen, Sturm laufen.

Das Modell des Seelsorgeverbandes, bei dem der Laien-Gemeindeleiter das Sagen hat und der Priester nur, wie es jemand einmal drastisch ausdrückte, „Weihesklave“ ist, passt ihnen viel besser. Der meist verheiratete Laienseelsorger mit Familie lässt sich viel besser unter Druck setzen als der zölibatäre Priester. Ob nicht der verbissene Kampf gegen den Priesterzölibat letztlich eher ein Kampf um die Manipulierbarkeit des Amtsträgers ist?

Vermutlich sieht die Zukunft der Kirche ohnehin ganz anders aus: Mit dem weiteren Rückgang der Gläubigenzahlen werden Pfarreien und Kirchgemeinden immer mehr an Bedeutung verlieren. Die wirklichen Gläubigen werden sich selbst überregional organisieren, wie es heute schon oft der Fall ist, etwa bei Gottesdiensten oder Einkehrtagen von jungen, dynamischen Bewegungen. Die Neuevangelisierung Europas wird von dort aus ihren Anfang nehmen.


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