Rückkehr zur ersten Liebe

5. April 2007 in Spirituelles


Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky zur Karwoche 2007: "Bei Gott ist die ewige Liebe keine Utopie"


Berlin (www.kath.net) Wir veröffentlichen Gedanken, die der Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky für die Karwoche 2007 verfasst hat und in der Katholischen SonntagsZeitung veröffentlicht wurden:

Ostern ist anspruchsvoll. Weihnachten, die Erinnerung an die Geburt Jesu, führt auch die in die Kirche, die sonst wenig mit ihr anzufangen wissen. Ostern ist das nicht so, da sind die Christen unter sich. Der Glaube, dass der gekreuzigte Jesus auferstanden und seine Auferstehung auch meine Zukunft ist, bleibt vielen fremd.

Daher lade ich alle ein, mit der Kirche den Weg durch die drei österlichen Tage vom Leiden, vom Tod und der Auferstehung Jesu Christi zu gehen.

Wer sich auf ihre Dramatik einlässt, erlebt so etwas wie ein Wechselbad. Aber das tut ja bekanntlich gut. Wer sich einlässt, wird hinein genommen in den Abendmahlssaal. Der Herr leistet den Dienst eines Sklaven, er wäscht seinen Jüngern die Füße. Er beugt sich herab zu den Menschen, kommt ihnen entgegen. Seit diesem Zeichen der Liebe gilt nicht mehr: „Jeder ist sich selbst der Nächste“.

Dann erlebt, wer sich für das österliche Geschehen öffnet, die Abschiedsstunden des Herrn, die so voll der göttlichen Geheimnisse sind, voller Todesangst und Entscheidungsnot, und doch letztendlich in das Ja zum Willen des Vaters münden. Es folgen Verrat und Verhaftung, Verhöre und Folter. Aus dem „Hosianna“ auf den „König der Juden“ wird der Ruf „Kreuzigt ihn! Diesen König wollen wir nicht!“

Wer sich einlässt, geht den Leidensweg mit bis Golgota und erlebt die Todesstunde des Herrn, die wie eine Katastrophe wirkt, aber in Wirklichkeit keine ist. Denn sein Todestag ist der Tag der Hoffnung auf den rettenden Gott. Jesus wird ans Kreuz geschlagen. Er ist bei Bewusstsein, leidet Schmerzen, die Scham quält ihn und das Gefühl tiefster Einsamkeit.

Von den Menschen fühlt er sich verlassen und, furchtbarer noch, von Gott, seinem Vater. Und doch verzweifelt er nicht an Gott, sondern lässt sich fallen in die Hände des Vaters. Seitdem können wir uns sicher sein: Gott verlässt uns nicht, und der Tod hat nicht das letzte Wort.

In der Osternacht brennen Feuer vor Kirchen oder Friedhofskapellen. Schweigend versammelt sich die Gemeinde um das Feuer. Eine große Kerze wird entzündet. Feierlich wird sie in die Kirche getragen und erhellt deren Dunkel.

Doch kaum ist das Osterlicht, das eher verhaltene Zeichen für den Auferstandenen, in die Gemeinde eingezogen, und kaum ist der österliche Lobgesang des Exultet verklungen, beginnen Lesungen, die so gar nichts von der Auferstehung zu verkünden scheinen, so wenig Osterjubel aufkommen lassen. Es ist, als ob die Gemeinde nicht fassen könne, was sie doch verkündigen und feiern möchte.

Gehen wir die Lesungen der Heilsgeschichte durch und suchen, ob sich dort etwas ankündigt von der Überwindung des Todes in Christus! So rätselvoll die Geschehnisse des Alten Bundes und so unklar seine Verheißungen auch gewesen sind, erkennen wir doch: Gott hat immer schon für sein Volk gesorgt. Er hat es errettet. Nicht „Rette sich, wer kann!“ heißt es, sondern „Gott rettet!“

In der Lesung eines Textes des Propheten Jesaja hören wir Gottes Wort an sein Volk: „Der Heilige Israels ist dein Erlöser. (…) Kann man denn die Frau verstoßen, die man in seiner Jugend geliebt hat? (...) Nur für eine kleine Weile habe ich dich verlassen, doch mit großem Erbarmen hole ich dich heim (…), mit ewiger Huld habe ich Erbarmen mit dir. Auch wenn die Berge von ihrem Platz weichen und die Hügel zu wanken beginnen – meine Huld wird nie von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht wanken.“

Zuweilen wird gefragt, wie man heute etwa von den Naturwissenschaften her die Auferstehung Christi interpretieren könne oder wie nach exakter Methode die Heiligen Schriften zu deuten seien und ihre bleibenden Aussagen erhoben werden könnten. So darf man fragen.

Doch vor einem solchen Text des Propheten ist es wohl noch wichtiger, etwas davon zu verstehen, was Menschen, die sich einmal geliebt haben, zu trennen vermag und was es ihnen ermöglicht, nach der Entzweiung wieder zueinander zu finden und ganz neu zu beginnen. Denn solche Aussöhnung und solchen Neubeginn sieht der Prophet als Bild für das erlösende Handeln Gottes, von dem im Licht der Osterkerze gesungen wird.

Die Auferstehung Jesu macht das Wunder sichtbar, das die Liebe zu vollbringen vermag, die bedingungslose, grundlose Liebe Gottes, der nicht von dem lassen kann, was er erschaffen und in sein Herz geschlossen hat. Diese Liebe ist kein irrationaler Trieb, wie wir ihn beim Menschen kennen, der leidenschaftlich sein mag, immer aber auch unzuverlässig und brüchig ist.

Männer und Frauen scheitern aneinander, obwohl sie sich doch lieben wollten. Aus dem Paar werden zwei unglückliche Einzelne, und ein Neuanfang, die Rückkehr zur Liebe der Jugend, scheint oft illusorisch. Bei Gott ist die ewige Liebe keine Utopie, denn seine immer größere Liebe heißt Barmherzigkeit und hört nie auf.

Der Tod Jesu hat das bezeugt: Selbst als er ganz und gar verkannt, abgelehnt und tödlich getroffen wurde, blieb er seiner Liebe treu. Als der tödliche Hass der Sünde den Sohn Gottes auslöschen wollte, blieb Gottes Liebe. Der Schöpfer ist in seiner Liebe größer, als die Geschöpfe in ihrem Hass sein können.

Weil in Jesus Christus diese göttliche Liebe ist, konnte er nicht im Tod bleiben, sondern nur in die Herrlichkeit Gottes eingehen. Das bekennen wir, wenn wir das Oster-Halleluja singen: Christus ist von den Toten auferstanden. Und dass der Auferstandene mit seiner Kraft unter uns wirksam ist, können wir auch erkennen.

Etwa dort, wo einer fest an die Auferstehung glaubt und deshalb auch dann nicht verzweifelt, wenn „alles zum Verzweifeln“ ist, sondern seine Dunkelheit auf die eigene Blindheit zurückführt und weiter auf Gott vertraut. Oder dort, wo Menschen in Ehrfurcht und Vergebungsbereitschaft aufeinander zugehen, wo sie bereit sind, die Last der anderen zur eigenen Last zu machen oder den Neuanfang wagen.

Der 1. Johannesbrief sagt: „Dass wir aus der Finsternis ins Licht gekommen sind, erkennen wir daran, dass wir die Schwestern und Brüder lieben.“ Seit jenem ersten Ostern der Weltgeschichte gilt nicht mehr, dass jeder sich selbst der Nächste sei. Auch jeder, der zum Glauben findet und sich taufen lässt, ist ein Zeichen für die Nähe des Auferstandenen unter uns.

Wer die Nacht der Auferstehung feiert, erfährt: Am Ende unseres Lebens, zu guter Letzt, erhalten wir Gottes Unendlichkeit geschenkt.

Und das entspricht auch menschlicher Erfahrung: Alle wesentlichen Dinge im Leben sind geschenkt. Liebe kann man sich weder erkaufen noch durch Attraktivität erzwingen. Hoffnung kann man sich nicht einreden, man muss sie sich schenken lassen, nur dann reißt sie aus der Verzweiflung heraus. Das Leben selbst ist Geschenk. Wir sind von Gott gewollt, wie immer wir sein mögen, ob „komischer Vogel“ oder „graue Maus“.

Geschenkt ist uns auch Ostern: Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen, seit Jesus Christus auferstanden ist. Zeichen dieser Auferstehung gibt es auch in unserem Leben. Um sie zu entdecken, wünsche ich Ihnen Augen, die weitsichtig und hellsichtig genug sind: „Osteraugen“, die im Tod bis zum Leben, in der Entzweiung bis zum Neuanfang, vom Menschen bis zu Gott und seiner Liebe sehen können.


© 2007 www.kath.net