Austritt aus der Kirchgemeinde ist nicht Glaubensabfall

18. Juni 2007 in Schweiz


Ein Kommentar von Martin Meier-Schnüringer zum Schweizer Staatskirchentum und der Diskussion über den Austritt aus der Kirchgemeinde, nicht aber aus der Kirche.


Bern (www.kath.net)
Das schweizerische Staatskirchensystem, das der römisch-katholischen Kirche zwar ein finanziell komfortables Leben garantiert, sie dafür aber mit eisernen Fesseln bindet, ist seit langer Zeit heftig umstritten.

Immer mehr treu katholische Gläubige können es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, via Kirchensteuern ein System zu unterstützen, das der Kirche in ihrem Auftrag, die frohe Botschaft zu verkünden, eher Steine in den Weg legt als sie zu unterstützen. So sind sie denn da und dort dazu übergegangen, den Austritt aus ihrer Kirchgemeinde – jedoch nicht aus der katholischen Kirche! – zu erklären.

Diese Austritte haben zu wütenden Reaktionen der Vertreter der staatskirchlichen Organisationen geführt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass, würde das Beispiel Schule machen, das Schweizer Staatskirchentum in seinem Lebensnerv getroffen würde.

So wurde denn grobes Geschütz aufgefahren und die potentiell austrittswilligen Gläubigen mit der Drohung eingeschüchtert, ein Austritt aus einer Kirchgemeinde sei unabdingbar mit dem Austritt aus der katholischen Kirche gekoppelt, bedeute also nichts weniger als Abfall vom Glauben.

Die Schweizer Bischöfe hielten sich in dieser Frage bedeckt, denn wenn sie auch die Fesseln, die das Staatskirchentum der Kirche auferlegt, immer öfter am eigenen Leib zu spüren bekommen – namentlich bei der Besetzung seelsorgerlicher Stellen -, so trennen sie sich ungern von den Fleischtöpfen Ägyptens, enthebt sie doch das herrschende System der Aufgabe, selbst für die Finanzierung der Kirche sorgen zu müssen. So wagten sie es höchstens hinter vorgehaltener Hand, leise Kritik an der Schweizer Praxis zu üben.

Damit war und ist natürlich jenen Gläubigen wenig geholfen, die den Austritt aus ihrer Kirchgemeinde vollzogen haben. Nun aber dürfen sie aufatmen, denn von höchster kirchlicher Stelle wird ihnen bestätigt, dass sie keine Apostaten oder gar Häretiker sind, wenn sie ihre Kirchgemeinde verlassen.

Papst Benedikt XVI. hat das inzwischen bekannte Schreiben des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte zum so genannten „Kirchenaustritt“ als Formalakt approbiert und in den „Communicationes 38 (2006), S. 175-177“ bekannt gemacht, KATH.NET hat berichtet.. Damit wurde die Bedeutung des Schreibens weiter erhöht. In diesem Schreiben heisst es unter anderem:

„Das Verlassen der Kirche oder die Trennung von ihr muss sich, um gültig (...) zu werden, in folgenden Elementen konkretisieren:

- Die innere Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen. Der Inhalt des formalen Aktes muss der Bruch jener Bande der Gemeinschaft - Glaube, Sakramente, pastorale Leitung - sein, die dem Gläubigen den Empfang des Lebens der Gnade im Inneren der Kirche möglich machen.

Das bedeutet, daß ein solcher Formalakt des Abfalls nicht nur einen juristisch-administrativen Charakter hat (der Austritt aus der Kirche im melderechtlichen Sinne mit den entsprechenden zivilen Wirkungen), sondern sich als wirkliche Trennung von den konstitutiven Elementen der Kirche darstellt: Er setzt daher einen Akt der Apostasie, der Häresie oder des Schismas voraus.

- Direkte Annahme dieser Entscheidung seitens der zuständigen kirchlichen Autorität. Es ist erforderlich, daß der Akt durch den Betroffenen persönlich vor der zuständigen kirchlichen Autorität (eigener Ordinarius oder Pfarrer) kundgetan wird, der allein es zusteht zu beurteilen, ob ein Willensakt gegeben ist, und ihn mit Unterschrift zu bestätigen.“

Der Wortlaut lässt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig: Nur wer den Willen bekundet, aus Glaubensgründen aus der Kirche auszutreten, verlässt die Kirche wirklich. Jene Gläubigen jedoch, die, gerade weil sie die Kirche lieben, aus ihrer Kirchgemeinde austreten, begehen keinen Akt der Apostasie oder der Häresie.

Höchstens könnte ein Akt des Schismas vorliegen, aber auch das ist nicht anzunehmen, verlassen sie doch nicht die hierarchisch verfasste römisch-katholische Kirche, auf Gemeindeebene als Pfarrei konstituiert, sondern nur ein staatskirchenrechtliches Gebilde, das im kanonischen Recht und in den meisten Ländern der Welt nicht existiert.

Auch ist es – gemäss dem päpstlichen Schreiben – nicht Sache der staatskirchlichen Behörden, zu entscheiden, ob jemand wirklich aus der Kirche ausgetreten ist. Dieser Entscheid obliegt einzig der zuständigen kirchlichen Autorität, im konkreten Fall also dem Ortspfarrer.

Die Argumentation der Verfechter des Staatskirchentums steht aber schon aus gesundem Menschenverstand auf wackeligen Füssen: Fällt beispielsweise ein Schweizer Katholik vom Glauben ab, wenn er nach Italien umzieht, wo es keine Kirchgemeinden gibt?
Sicher nicht!

Der österreichische Kirchenrechtler Alexander Pytlik betonte in einer Stellungnahme gegenüber KATH.NET, dass mit der Veröffentlichung „nicht wenige sogenannte ‚ausgetretene’ Katholiken weiterhin volle Glieder der Kirche“ sind.

Pytlik verwies unabhängig von dem Schreiben darauf, dass das unauslöschliche Siegel der heiligen Taufe und gegebenenfalls der heiligen Firmung sowie der höheren Weihen für immer auf der unsterblichen Einzelseele verbleibt und somit ein sogenannter Austritt rein theologisch betrachtet gar nicht möglich ist.

„Paradoxerweise scheinen derzeit einige deutschsprachige Diözesen in ihrer partikularen Gesetzgebung strenger zu sein als Rom. Denn von dieser verbindlichen päpstlichen Information her ist es kaum mehr möglich, beispielsweise einem ‚ausgetretenen' Christgläubigen ohne Vorliegen einer den Glauben betreffenden Straftat oder ohne als öffentlicher Sünder zu gelten, das kirchliche Begräbnis zu verweigern.“

Mehrwissen:
Kathpedia zur Kirchensteuer

Mehrwissen:
Kathpedia zum Schweizer Staatskirchentum

Der Beitrag erschien in der Katholischen Wochenzeitung.


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