,Maria hat viele Gesichter’

23. November 2007 in Interview


Ein im Jahr 2000 veröffentlichtes Gespräch für das PUR-Magazin mit dem Publizisten Alan Posener über seine Marienmonographie im Rowohlt-Verlag. Von Bernhard Müller.


Kisslegg (www.kath.net / pur-magazin)
Im Dezember 2000 veröffentlichte das PUR-Magazin ein Interview mit dem Publizisten Alan Posener, in dem er über seine Marienmonographie sprach. Aus aktuellem Anlass dokumentieren wir im Folgenden das Interview und den einleitenden Text von Bernhard Müller.

Interview mit Alan Posener / PUR-Magazin 12/2000

Dass Alan Posener zuletzt bei Maria landen, für die Mutter Jesu zärtliche Gefühle und echte Verehrung empfinden würde, war kaum zu erwarten. Poseners spannender Lebensweg: Geboren 1949 in London, Kindheit in Kuala Lumpur, Internatsjahre in Ipswich. Als der Vater, ein deutscher Jude, der vor Hitler fliehen konnte, in seine Geburtsstadt Berlin zurückkehrt, kommt auch der Teenager, der noch kein Wort deutsch spricht, mit.

In seiner Studentenzeit wird er Atheist, danach wird aus dem langhaarigen Libertären ein autoritätsgläubiger Maoist. Nach seinem Bruch mit dem Marxismus-Leninismus erklimmt er die schulische Karriereleiter. Als Studiendirektor lässt er es bleiben. Schreibt Schulbücher für den Klett-Verlag und Biographien für Rowohlt: über sein Jugendidol John Lennon, über die Pop-Ikone Elvis Presley, über John und Jackie Kennedy, über Roosevelt und Stalin, über Shakespeare und zuletzt über die Gottesmutter.

Heute ist Posener Redakteur im Feuilleton der Tageszeitung DIE WELT. Und wer sein Büro im Berliner Axel-Springer-Haus an der Kochstrasse betritt, entdeckt ziemlich bald an der Wand zwei Marienbilder: Die Madonna von Guadelupe und eine Marienikone aus der Haga Sophia in Konstantinopel. Posener ist zwar bis heute nicht katholisch, aber sein Buch über die Muttergottes ist von einer Ehrfrucht und Zuneigung geschrieben, die überrascht. Grund genug Posener in Berlin zu besuchen und mit ihm über sein neuestes Werk zu sprechen.

PUR: Wie kommt man als Autor von Biographien über Musiker wie John Lennon und Elvis Presley oder über Politiker wie Roosevelt, Kennedy und Stalin dazu, ein Buch über die Gottesmutter Maria zu schreiben?

Alan Posener: Als ich eine Biographie über Wilhelm Shakespeare machte, stellte ich fest, dass man die Zeit Shakespeares und damit auch sein Werk nicht verstehen kann, ohne Maria zu verstehen und den Verlust zu begreifen, den es für Europa bedeutet hat, Maria, die die Leitfigur der Kultur des gesamten Mittelalters gewesen war, plötzlich aus dem Himmel zu verstoßen und ihre Standbilder und Statuen aus den Kirchen verschwinden zu lassen. Bei meiner Arbeit über Shakespeare wurde ich von der Figur der Maria fasziniert.

PUR: Was reizte Sie noch an der Mariengestalt?

Alan Posener: All die Figuren, die ich bis dahin als Biograph behandelt hatte, waren eigentlich zugleich lebende Gestalten. Überlebensgroße Gestalten freilich, wenn man so will sogar Mythen. Bei der Muttergottes ist es so, dass es zunächst einmal diese sehr junge Frau, die in Palästina lebte, wirklich gegeben hat.

Gleichzeitig ist ihr außergewöhnliches Leben eine Glaubenswahrheit für Katholiken, aber auch für jene, die die marianischen Dogmen nicht akzeptieren können oder areligiös sind, ist sie ein Mythos von solcher Kraft, wogegen andere Mythen wie etwa Elvis Presley oder Madonna einfach verblassen. Sie ist der Ur-Mythos. Und schon allein das wäre ein Reiz für mich gewesen, mich mit ihr zu befassen, auch wenn ich sonst keinen Bezug zu ihr gehabt hätte.

PUR: Sie haben das Thema Maria nicht theologisch, sondern historisch und phänomenologisch angepackt. Sind sie beim Schreiben des Buches in Konflikt geraten mit theologischen Dogmen und kirchlichen Aussagen über Maria?

Alan Posener: Nur in einem Fall, der Aussage „semper virgo“ - „immerwährende Jungfräulichkeit“, was ja ausschließen würde, dass es Brüder und Schwestern Jesu gegeben hätte. Hier habe ich ein Problem mit der Aussage der katholischen Kirche. Doch kann ich mich sogar auf eine frühe Schrift von Kardinal Ratzinger beziehen, in der er sinngemäß sagt, dies sei für das theologische Verständnis von Jesus und Maria nicht wesentlich. Also wie gesagt, in diesem Punkt habe ich ein Problem mit der Lehre der Kirche, weil ich die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens metaphorisch auffasse.

Es ist aber auch nicht so, dass ich sie für völlig ausgeschlossen halte. Wir wissen nicht, wer die „Brüder und Schwestern“ Jesu sind, von denen in der Bibel die Rede ist. Die katholische Kirche interpretiert das im Katechismus so, dass das entfernte Verwandte oder Kinder Josefs aus der ersten Ehe sind - und das ist immerhin möglich. Ich habe zum Glück sonst keine Punkte gefunden, in denen ich in Konflikt komme mit der Theologie.

PUR: Sie tun sich also mit den anderen kirchlichen Aussagen über Maria und der Marienverehrung nicht besonders schwer.

Alan Posener: Überhaupt nicht. Die Marienverehrung beginnt sozusagen bei den ersten Christen. Und Maria wird in der Bibel ja vielfach genannt. Wenn Sie nicht wichtig wäre, würde nicht so ausführlich über sie berichtet. Es ist doch ganz klar: Wenn man akzeptiert, dass Jesus der Sohn Gottes war, dann ist die Frau, durch die Gott selbst geboren wurde, von großer Bedeutung.

Ich verstehe mein Buch nicht als eine Erklärung der Dogmen, so dass man an sie glauben müsste, sondern als Erklärung der Dogmen, so dass ihre innere Konsistenz klar wird - auch für den Nichtgläubigen. Also warum man von Voraussetzung A zu Folgerung B kommt. Warum die Frau, in der Gott seine Wohnung nahm, um es einmal so auszudrücken wie es die frühen Kirchenväter taten, etwas Besonderes sein musste.

Warum es einen Sinn macht, sich vorzustellen, dass die Kette der Erbsünde unterbrochen wurde für sie; warum daraus folgt, dass ihr Körper nicht der Verwesung anheim fallen kann, weil nicht sündig. Der Tod ist der Sünde Lohn. Warum das alles eine innere Konsistenz und eine innere Schönheit hat, auch für denjenigen, dem die Gnade des Glaubens nicht gegeben ist.

Es gibt heute eine gewisse hämische Art über die Dogmen der katholischen Kirche herzuziehen. Aber ich glaube, man muss zunächst einmal ihre Schönheit und Folgerichtigkeit begreifen, bevor man sagt - gut das glaube ich oder glaube ich nicht.

PUR: Sie selber sind aber nicht katholisch.

Alan Posener: Nein.

PUR: Das heißt für Sie selber gelten letztlich diese Dogmen nicht, obwohl Sie in ihrem Buch nahezu eine Liebeserklärung an die marianischen Glaubenssätze verfasst haben.

Alan Posener: Ich bin der Sohn eines deutschen Juden und einer englischen Anglikanerin. Ich war als Kind eher protestantisch veranlagt, wurde dann rabiater Atheist und Marxist in der Studentenbewegung. Eine Haltung, die ihre eigene Würde hat, die mir aber zunehmend unhaltbar vorkommt. Es gibt von Bob Dylan, den ich sehr verehre, eine grundsätzliche Aussage zum Thema Glauben: „Wer nicht an Wunder und an Gott glaubt, hat seine Augen nicht aufgetan.“ Und das stimmt.

Die Welt, wie sie um uns ist, ist einfach ein Wunder. Die Sonne geht täglich nach Gesetzen auf und unter. Aber dass sie das tut, ist ein Wunder. Insofern habe ich meine frühere atheistische Position revidiert. Und die Beschäftigung mit der Figur Maria, die ursprünglich nur aus Interesse geschah, führte in der Tat dazu, dass ich immer zärtlichere Gefühle für sie hegte. Ich habe so etwas wie eine Liebesbeziehung zu ihr. Je länger ich an diesem Buch schrieb, desto klarer wurde mir, warum die Menschen des Mittelalters so an ihr hingen.

PUR: Heute dagegen ist die Marienfrömmigkeit eher verpönt als etwas für Naivgläubige und alte Betfrauen. Dass ein moderner Feuilleton-Redakteur einer führenden deutschsprachigen Tageszeitung sich deshalb so offen zur eigenen Marienfrömmigkeit bekennt, erwartet man eher nicht.

Alan Posener: Moderne Menschen sind zum Beispiel Menschen, die begreifen, wie wichtig Frauen sind. Ich halte es daher für einen Anachronismus, wenn eine christliche Glaubensrichtung die Frau aus ihrer herausragenden Stellung, die sie in der Gestalt der Maria in der Kirche hatte, hinausdrängt. In dem ich den Gedanken an eine besonders herausragende, besonders von Gott geliebte und hervorgehobene Frau pflege, indem ich diese Frau verehre, zärtliche Gefühle für sie habe, färbt das sozusagen auf alle Frauen ab und ich erkenne bestimmte weibliche Anteile in mir selber wieder.

Gott schuf die Menschen nach seinem Bilde, er schuf sie als Mann und Frau. So gehört es sich, dass an dem Heilsgeschehen nicht nur der neue Adam, sondern auch die neue Eva beteiligt ist. Das ist jetzt theologisch ausgedrückt. Modern würde man sagen: zu den wichtigsten Personen des Neuen Testaments muss für die Kirche eine weibliche Leitfigur gehören. Und das ist Maria, deren Antwort an den Engel lautete: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Das ist der Gehorsam, der von allen Christen verlangt wird - und diese große Frau macht es vor.

PUR: Haben Sie auch eine persönliche gläubige Beziehung zu Maria? Können Sie zu ihr beten, sie als Fürbitterin und als Helferin anrufen?

Alan Posener: Ja, denken und meditieren über Maria tue ich. Ich habe auch schon gebetet, als in den letzten Monaten einige mir nahestehende Menschen todkrank wurden und ich nichts tun konnte: „Liebe Maria, gib diesen Menschen Kraft.“ Das kann ich tun, auch wenn ich noch nicht alles über Maria so glauben kann, wie es der katholische Katechismus ausdrückt.

Ich betrachte sie aber als große Hilfe auf dem Weg. Sie ist die erste Person an die ich denke, wenn ich ein Problem habe, das über das hinausgeht, was man lösen kann. Sie ist auch die erste Person nach deren Bild ich suche, wenn ich in einer Kirche bin. Sie ist der Weg. Sie ist kein Ersatz für Christus oder Gott, weil sie uns beständig auf ihn hinweist.

PUR: Meinen Sie, dass die katholische Kirche in Deutschland die Marienverehrung noch genügend fördert? Oder scheut man sich hierzulande als Handikap für die Ökumene davor?

Alan Posener: Es gibt eine ganze Generation von Priestern, die nach dem II. Vatikanum ausgebildet wurden, als man die „marianischen Exzesse“ kritisierte. Diese Priester nehmen Abstand von der Marienverehrung und tun so, als sei der Katholizismus eine Art Protestantismus. Marienverehrung und auch Heiligenverehrung wird von ihnen als Ballast empfunden. Aber in der Marienverehrung ein Hindernis für die Ökumene zu sehen, ist einfach Unsinn.

Maria ist der Garant dafür, dass Jesus Mensch und Jude ist. Die Nazis und die „deutschen Christen“, Protestanten, die die Nazis unterstützten, sagten, Jesus sei kein Jude, weil sein Vater Gott sei und Gott sei kein Jude. Aber Jesus ist Sohn einer jüdischen Mutter, eindeutiger kann man gar nicht Jude sein. Maria schafft damit den Bezug des Christentums zum Judentum. Und zum zweiten schafft sie den Bezug zum Islam, denn auch dort wird sie geehrt. Sie ist dort eine jungfräulich Empfangende und Gebärende und ihr Sohn ist nach Mohammed der nächsthöchste Prophet.

Maria ist die wichtigste Frau im Koran, als eine Frau, die Gottes Willen tut. Und in den christlichen Ostkirchen ist die Marienverehrung mindestens so ausgeprägt, wie in der katholischen Kirche. Wenn man Ökumene nicht nur als Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten versteht, kann Marienverehrung gar kein Hindernis sein. Wenn ich höre, dass die evangelische Bischöfin Jepsen eine kleine Isis-Statue in ihrem Zimmer hat und Gepräche mit dieser Isis führt, weil sie eine weibliche Repräsentantin der Gottheit braucht, dann muss ich sagen, sie hätte es mit Maria näher haben können.

PUR: Wie nahe ist Maria Gott?

Alan Posener: Dante sagt: Marias Gesicht ist das Gesicht, welches dem von Jesus am ähnlichsten ist. Was Jesus an Menschlichem hatte, hatte er von ihr. In Marias Gesicht sehen wir Jesu Gesicht. Natürlich wird es immer Leute geben, die in ihrer Begeisterung für Maria vergessen, dass sie nur Teil eines größeren Zusammenhangs ist. Aber ein Übermaß an Liebe ist nicht so sehr zu kritisieren, wie ein Fehlen von Liebe.

Diese Figur ist liebenswert und sie provoziert - manchmal auch einen Überschuss an Liebe. Als ich für die WELT in Marpingen war, um über die dortigen angeblichen Marienerscheinungen zu berichten, sah ich, dass die Marienverehrung ein echtes Bedürfnis für die Menschen ist. Ich traf dort übrigens sehr, sehr viele Vietnamesen und Sinti und Roma. Auch hier böte sich für die Kirche über Maria eine Integrationsmöglichkeit. Nein, ich glaube wirklich nicht, dass Marienverehrung etwas mit altmodischen Zöpfen zu tun hat. Ich halte Maria für ganz modern.

PUR: Wurden Sie von Verwandten und Freunden belächelt, als sie ein Marienbuch schrieben?

Alan Posener: Als ich sagte, ich würde das Buch schreiben, stieß ich überall auf großes Interesse. Auch die Aufnahme des Buches war danach ausnehmend positiv. Ich habe nur ganz wenige Freunde, die stark protestantisch empfinden und das Buch eher belächeln. Die, die gar keine Beziehung zur Religion haben, das finde ich interessant, sagten mir immer wieder, sie würden das Buch verschenken an Onkel sowieso und Tante sowieso, weil sie es so interessant finden. Wer also nicht von vorneherein eine religiös motivierte Abwehr hat, scheint mir von dem Buch begeistert zu sein.

PUR: Ist das Buch auch ein Zugang zu Maria für Leute, die diesen Zugang durch die Kirche nicht finden?

Alan Posener: Ganz genau. Obwohl ich glaube, dass auch Katholiken, die in der Kirche sind und die Maria nur im Rahmen der Liturgie, des Kirchenjahres und des Dogmas kennen, etwas daraus gewinnen können.

PUR: Alan Posener, heute ein Marienfreund, wo er doch früher mal ein Sozialist war …

.Alan Posener: … Marxist, Leninist, sagen Sie' s ruhig …

PUR: … der gesellschaftliche Strukturen radikal verändern wollte. Kann man Ihnen heute nicht vorwerfen, so wie andere ihrer Weggefährten der Esoterik ins Netz gegangen sind, hätten Sie sich ins Katholisch-spirituelle geflüchtet?

Alan Posener: Ich stehe mitten im Leben und schwebe nicht im siebten Himmel. Als Journalist bin ich vor allem mit handfesten Alltagssachen befasst und nicht mit irgendwelchen Wolkenkuckucksheimen. Ich bin ja nicht über Nacht vom Atheisten zum Katholiken geworden, ganz abgesehen davon, dass ich ja noch gar nicht katholisch bin, obwohl ich mir wünschte, katholisch werden zu können. Ich habe schon 1977 mit dem Marxismus gebrochen und habe 20 Jahre lang die Würde des Atheismus ebenso wie die Würde der Religion vertreten.

PUR: Worin zeigt sich für Sie die religiöse Würde?

Alan Posener: Als ich mit dem Marxismus brach, las ich Alexander Solschenizyns Archipel Gulag, was ich mir vorher verbeten hatte. Solschenizyn schildert darin, dass diejenigen, die in den Gulag-Lagern nicht zerbrachen, vor allem die Christen waren. Die, die keine metaphysische Rechtfertigung für ihre Leiden hatten, die keinen Sinnzusammenhang sahen, die darin nur ein reines Unglück sehen konnten, sind zerbrochen. Solschenizyn fragt sich auch: „Warum ich?“ Aber später gibt er die Antwort: „Nein, ich bin nicht schuldig im Sinne der Anklage. Aber ich bin schuldig.“

Er nimmt die Strafe sozusagen für eine andere Schuld an, als die, die ihm seine Peiniger vorwerfen. Er nimmt sie an, dafür, dass er solange geschwiegen hat gegenüber diesem terroristischen Regime. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt. Das ist eine ganz wichtige Lehre: dass Schuld existiert und dass man diese Schuld annehmen muss. Das ist eine religiöse Haltung. Und wenn man sie annimmt, dann muss man wissen, wem gegenüber man diese Schuld zu verantworten hat. Das geht eigentlich nur, wenn man an Gott glaubt.

PUR: Also ist Maria nicht einfach als Ersatz für die Partei in Ihr Leben getreten.

Alan Posener: Nein, es war ein langsamer Ablösungsprozess. Übrigens hält Maria auch nicht vom Handeln ab. Ich will hier gar nicht auf die Befreiungstheologie eingehen, weil ich sie für problematisch halte. Aber sie ist sehr stark auf Maria bezogen. Auch die Bauernkriege und ihre Vorläufer waren oft mit Marienerscheinungen verbunden.

Maria ist durch das Magnifikat und weil sie eine Frau aus dem Volke ist, die gesellschaftlich verstoßen war wegen ihrer Schwangerschaft, jemand, mit dem sich die unterdrückten Menschen identifizieren können und sollen. Allerdings ist sie demütig, trotz des Magnifikats. Als man ihren Sohn kreuzigt, ruft sie nicht zur Rache, sondern zum stillen Gebet auf.

PUR: Kann Maria als Vorbild auch in gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Diskussionen dienen?

Alan Posener: Bei den rechten Ausschreitungen würde ich mir stärkere Worte der Kirche wünschen. Ich hätte es wunderbar gefunden, wenn es zum 9. November ein Wort der deutschen Bischöfe von allen Kanzeln gegeben hätte. Und sie hätten sich dabei auf Maria beziehen können. Sie hätten sagen können, dass mütterliche Fürsorge für unsere Mitmenschen das ist, was uns in der Bundesrepublik gut ansteht. Das was einem gegeben wird, das was kommt, ob es nun ein Kind ist oder eben ein Einwanderer, das mütterlich aufnehmen, da ist Maria das große Vorbild. Hätten die Bischöfe das gesagt, das hätte gut getan!

PUR: Glauben Sie an eine religiöse Renaissance unserer deutschen Gesellschaft.

Alan Posener: Ich glaube, dass der Papst mit seiner konsequenten Haltung unheimlich viel bewegt hat. Es wird zwar über kaum einen Papst soviel geschimpft wie über ihn, aber ich glaube, dass er gerade außerhalb der katholischen Kirche ein großes Ansehen genießt, unter den Freischwebenden - und das ist die Mehrheit.

PUR: Noch mehr als das Christentum scheint aber die New-Age-Bewegung Anklang zu finden.

Alan Posener: Die ganze New-Age-Bewegung ist Ausdruck eines Gefühls von religiösem Mangel. Das sind geistige Fast-Food-Angebote. Man meint, man habe schon alle Erkenntnisse, während man sich an den Lehren und Paradoxien der christlichen Kirchen ein Leben lang abarbeiten muss. Aber ich glaube am Ende ist für die meisten Menschen ein verwässerter Buddhismus, ein „Du bist o.k. - Ich bin o.k. -Spiritualismus“ nicht ausreichend.

In dem Maße wie sich Menschen wieder ihrer Wurzeln versichern wollen, was auch mit dem Lebensalter zu tun hat, wird das Christentum wieder gefragter. Jetzt kommt die größte Nachkriegsgeneration, nämlich die meine, in die Jahre, wo man ein bisschen reflektiert - und das ist auch die meinungsbildende Schicht. Der Kanzler gehört dazu, der Außenminister und viele andere die das Sagen haben - bis hinunter zu den Lehrern.

PUR: Ein langsamer Umdenkungsprozess.

Alan Posener: Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Es ist nicht so, dass man eine Art Saulus-Paulus-Erfahrung macht (glücklich wer das hat!). Ich glaube eher, dass man sich annähern kann über Bilder und Geschichten aber auch über die moralische Autorität der Kirche. Wenn die Kirche den Weg weitergeht, den ihr der jetzige Papst vorgezeichnet hat und nicht einem oberflächlichen Modernismus nachgibt, dann glaube ich, dass sie wirklich viele Anhänger gewinnen wird.

PUR: Könnte das richtige Verständnis von Maria der Kirche hier helfen?

Alan Posener: Ja. Ich sehe in ihr einen wichtigen Weg, persönlich glaube ich sogar den wichtigsten Weg zu Gott. Sie muss nicht verkitscht werden - aber sie verträgt auch das. Ich habe kein Problem mit Plastik-Marienstatuen und kleinen Bildchen. Aber das muss nicht sein. Maria hat viele Gesichter. „Ich sehe dich in tausend Bildern“ heißt es bei Novalis. Und die braucht man auch. Wenn die Kirche das wieder zulässt, wird das eine große Hilfe sein. Denn in jedem Bild der Muttergottes steht fast die gesamte Bibel.

PUR: Wir danken für das Gespräch.

Foto: (c) Paul Badde


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