Wenn Psychiater über Religion stolpern

26. August 2008 in Chronik


Mit dem Kongress "Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie" hat sich der Psychiater Raphael Bonelli in die Schusslinie gebracht. Von Stephan Baier/Die Tagespost.


Graz (kath.net/Die Tagespost) Zum erfolgreichen Wissenschaftler gehört beides: Fleiß und Begabung. Dem österreichischen Psychiater, Neurologen und Psychotherapeuten Raphael Bonelli kann man beides schwer absprechen. Habilitierter doppelter Facharzt, anerkannter Hirnforscher, Huntington-Experte, Leiter einer psychiatrischen Frauenstation und der neuropsychiatrischen Ambulanz der Universitätsklinik für Psychiatrie in Graz. Die Liste seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen wuchs Jahr um Jahr.

Doch dann organisierte Bonelli im Oktober vergangenen Jahres in Graz einen großen Kongress „Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie“ („Die Tagespost“ berichtete). Damit geriet der wissenschaftliche Senkrechtstarter ins Visier – mancher Organisationen, mancher Medien und mancher Kollegen.

Medialer Sturm und klinikinterne Intrigen

Knapp 1200 Mediziner, Psychologen, im psychosozialen Bereich Tätige, Philosophen, Theologen und Seelsorger nahmen an dem Kongress teil, der sich, wie Bonelli selbst formuliert hatte, dem „letzten Tabu in der Psychiatrie“ – nämlich der Religiosität – stellte. Möglicherweise lief der Kongress manchen zu erfolgreich. Möglicherweise war der Tabubruch zu schmerzlich.

Jedenfalls empörten sich Homosexuellen-Lobbyisten über einen angeblichen „Schwulenheiler“, der gar nicht auftrat, ereiferte sich ein Magazin über eine Kontroverse zur Frage „Gibt es Besessenheit jenseits der Psychose?“ Für den Kongress waren dies von Anfang an Randthemen – für seine Gegner nicht.

Mit dem medialen Sturm setzten auch die klinikinternen Intrigen gegen Bonelli ein. Vorwürfe, er sei im Dienst nicht in der Klinik oder ohne Urlaubsschein auf Urlaub, konnten im Frühjahr 2008 rasch widerlegt werden.

Die große Überraschung erlebte Bonelli am 27. Juni, als er aus dem Urlaub zurückkam. Er wurde zum ärztlichen Direktor bestellt, mit zwölf Vorwürfen gegen sein ärztliches und wissenschaftliches Vorgehen konfrontiert und sofort vom Dienst freigestellt. Weder wurde ihm damals eine Anklageschrift ausgehändigt noch die Möglichkeit zu vorbereiteter Rechtfertigung gegeben.

Ein Verfahren, über das der ehemalige Rektor der Universität Graz und frühere Dekan ihrer medizinischen Fakultät, Thomas Kenner, nur den Kopf schütteln kann. Er protestierte brieflich gegen „die überfallsartige Suspendierung des international bekannten Kollegen“, zeigte sich „bestürzt und entrüstet“.

Kenner in seinem Schreiben an den ärztlichen Direktor des Landeskrankenhauses (LKH): „Die Strafmaßnahme mit erniedrigender Beschlagnahme von Unterlagen und Eigentum erfolgte ohne klare Auskunft über angeblich gravierende Vorwürfe und mittels Maßnahmen, wie sie gegen Schwerverbrecher eingesetzt werden.“

Im Gespräch mit dieser Zeitung übt Kenner Kritik an Bonellis Vorgesetztem, dem Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie Graz, Hans-Peter Kapfhammer: „Ein normaler Chef ruft den Kollegen zu sich und kritisiert, was ihm nicht passt.“ Das Verfahren sei „unmöglich“. Kenner wörtlich: „So kann man es unter Kollegen nicht machen.“

Lange vor dem Beschuldigten erfuhr das Magazin „Profil“, welcher Vorwurf vor der Untersuchungskommission Gewicht haben sollte: Zwei Assistenzärzte (Namen der Redaktion bekannt) hatten für wissenschaftliche Studien Patienten mit deren Einverständnis erhöhte Mengen Blut abgenommen – allerdings ohne rechtzeitiges Votum der Ethikkommission. Haften soll dafür Bonelli als Stationsleiter.

Die Sache hat einen Schönheitsfehler: Laut Kenner soll Institutsvorstand Kapfhammer über die erhöhten Blutabnahmen „voll informiert“ gewesen sein – „darüber gibt es Unterlagen“. Kenner verweist auf die bis Mitte Juli sogar im Internet auffindbare Dokumentation der „Arbeitsgruppe für biologische Psychiatrie“. Er halte es für „völlig ausgeschlossen, dass Kapfhammer nichts davon wusste“.

„Die Tagespost“ versuchte, Professor Kapfhammer zu dem Fall zu interviewen, doch dieser lehnte ab: „Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich nach sechs Wochen höchsten Ärgers in der Angelegenheit von Herrn Bonelli nicht auch noch ein Bedürfnis verspüre, hierüber ein Interview abzugeben.“

Bedauerlich, denn Fragen hätte es viele gegeben: Etwa, ob es stimmt, dass Kapfhammer den von Bonelli organisierten Kongress, bei dem die von ihm geleitete Universitätsklinik für Psychiatrie als einer der Veranstalter auftrat, gegenüber Mitarbeitern als „größenwahnsinnig“ bezeichnete. Ob es stimmt, dass er Bonelli mehrfach eine Aussprache über Vorwürfe verweigerte. Wann er wieviel von den umstrittenen Blutabnahmen in seiner Klinik wusste.

Fragen, die nun möglicherweise unbeantwortet bleiben, denn die Untersuchungskommission befasst sich nicht mit einer denkbaren Mitverantwortung Kapfhammers, wie der ärztliche Direktor des LKH, Gernot Brunner, im Gespräch mit dieser Zeitung beteuerte: „Nein, es gibt keine Untersuchung gegen andere.“

Bonelli, mittlerweile nicht mehr suspendiert, sondern im Urlaub, hält die gegen ihn erhobenen Vorwürfe für „an den Haaren herbeigezogen“. Gegenüber der „Tagespost“ beteuert er: „Ich habe mir diesbezüglich nichts vorzuwerfen, allenfalls Gutgläubigkeit gegenüber Mitarbeitern.“

Während des laufenden Verfahrens der Untersuchungskommission will er zu Details nicht Stellung nehmen. Fragt man andere nach den Hintergründen jener dokumentierbaren Intrige gegen Bonelli, die zunächst zu seiner Dienstfreistellung und dann – gespeist von Insiderinformationen – zur medialen Skandalisierung führte, dann ist oft das Wort „Neid“ zu hören.

Als ehemaliger Universitäts-Rektor und Dekan der medizinischen Fakultät hat Thomas Kenner keine Bedenken, offen zu sprechen: „Bonelli hat unglaublich viele Projekte, hat mehr publiziert als irgendwer sonst an der Klinik. Das ruft natürlich auch Neid hervor.“ Er erwarte eine vollständige Rehabilitierung Bonellis.

„Es war an der Zeit, so etwas in Europa zu machen“

Ein Mitarbeiter der Klinik schildert eine Atmosphäre der wechselseitigen Vorwürfe, Unterstellungen und Diffamierungen. „Da steckt viel Neid dahinter, vielleicht auch Minderwertigkeitskomplexe“, so der Mitarbeiter, dessen Namen wir aus juristischen Gründen nicht nennen. Der eigentliche Grund für die Eskalation sei ein anderer: „Der Kongress ist der Stein des Anstoßes.“

Eine niedergelassene Psychiaterin, die aus Angst vor Repressionen ebenfalls ungenannt bleiben möchte, bestätigt im Gespräch mit der „Tagespost“: Die „Haupttriebfeder“ sei der Kollegen-Neid, doch sei das alles nur passiert, „weil einer einen Religionskongress macht“. Ungläubige Psychoanalytiker würden nun fürchten, „dass Religiöse ihnen das Wasser abgraben“, so die These.

Der ärztliche Direktor der größten Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mecklenburg-Vorpommern, Andreas Brooks, meint im Gespräch mit der „Tagespost“, das Thema Religiosität habe bei Amerikas Psychiatern Konjunktur und werde seit zehn Jahren diskutiert. „Es war an der Zeit, dass wir so etwas in Europa machen. Dass man daraus dem Veranstalter einen Strick dreht, da kann man nur den Kopf schütteln“, so Brooks.

Primarius Christian Spaemann, selbst Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in Braunau am Inn, schätzt Bonelli als „absolut seriösen Psychiater und Wissenschaftler“, der in mehreren Fachartikeln „auf die Grenzen zwischen methodengeleiteter Psychiatrie und Psychotherapie einerseits und religiöser, seelsorgerischer Begleitung andererseits hingewiesen“ habe.

Religion und wissenschaftliche Psychiatrie in ein niveauvolles Gespräch zu bringen, war das Anliegen des von Bonelli initiierten Kongresses. Diesen Dialog will er trotz beruflicher Turbulenzen weiterführen: Der zweite Kongress – nicht umstritten, aber umkämpft – wird im Oktober in Graz stattfinden.

UPDATE 02.11.2009: die Dienstfreistellung (von einem Boulevardblatt "Suspendierung "genannt) vom 27.06.2008 wurde bereits 2 Wochen später wieder aufgehoben und Bonelli war bis zu seinem Wechsel an die Medizinische Universität Salzburg weiter regulär für die Medizinische Universität Graz tätig http://www.bonelli.info/documents/schreiben_kages.pdf (). Am 02.11.2009 wurde bekannt, dass die eingesetzte akademische Untersuchungskommission Bonelli von allen Vorwürfen freisprach.


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Foto: © kath.net/privat


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