Abschied vom Hirntodkriterium?

8. September 2008 in Aktuelles


Eine "interessengeleitete" Todesdefinition verbietet sich, da sie der Würde des Menschen als Person widerspricht und zudem in theologischer Sicht dem 5. Gebot Gottes entgegen steht - Ein Kommentar von Prof. Josef Spindelböck


St. Pölten (kath.net)
Die überraschende und medial teilweise als Trendwende in der kirchlichen Bewertung des Todeszeitpunktes interpretierte Stellungnahme der Historikerin Lucetta Scaraffia zu möglichen „Zeichen des Todes“ (Il segni della morte) in der italienischen Ausgabe der offiziellen Tageszeitung des Vatikan „L’Osservatore Romano“ vom 3. September 2008 hat eine umgehende, klärende Stellungnahme des Direktors des vatikanischen Presseamtes, P. Federico Lombardi SJ veranlasst.

Bei dem Leitartikel, der das sog. Hirntod-Kriterium zur Todesbestimmung der menschlichen Person in Frage stellte, handle es sich weder um eine Aussage des Lehramtes noch um die Stellungnahme einer päpstlichen Institution. Es handle sich nur um einen von einer bestimmten Person gezeichneten Artikel des „Osservatore Romano“.

Die Frage als solche, wann denn der Tod des Menschen als mit Sicherheit eingetreten festgestellt werden kann, besitzt eine besondere ethische Problematik im Hinblick auf die von der katholischen Kirche grundsätzlich für sittlich annehmbar gehaltene Praxis der Organtransplantation: „Die Organverpflanzung entspricht dem sittlichen Gesetz, wenn die physischen und psychischen Gefahren und Risiken, die der Spender eingeht, dem Nutzen, der beim Empfänger zu erwarten ist, entsprechen. Die Organspende nach dem Tod ist eine edle und verdienstvolle Tat, sie soll als Ausdruck großherziger Solidarität gefördert werden. Sie ist sittlich unannehmbar, wenn der Spender oder die für ihn Verantwortlichen nicht ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben haben. Zudem ist es sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod anderer Menschen hinausgezögert würde.“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2296)

Ethisch nicht zulässig ist es also, jemanden zu töten, um ihm dann ein oder mehrere Organe entnehmen zu können, die wiederum anderen Menschen eingepflanzt werden (Verletzung der „dead donor rule“). Das Verbot der direkten Tötung Unschuldiger, welche der Sache nach als Mord zu bezeichnen ist, gilt auch dann, wenn der schwer kranke, aber noch lebende Mensch als potentieller Organspender medizinisch gesehen keine Heilungschancen mehr hat bzw. wenn er mit großer Wahrscheinlichkeit in Kürze ohnehin stirbt, und auf der anderen Seite vielleicht dringender Bedarf nach einem Organ besteht, das eben von diesem potentiellen Spender kommen könnte. Man darf keinen Sterbenden töten, um so schneller zu „lebendigen“ Organen zu gelangen, die auf andere Weise nicht oder nur unter Schwierigkeiten zu erhalten wären. Eine „interessengeleitete“ Todesdefinition verbietet sich, da sie der Würde des Menschen als Person widerspricht und zudem in theologischer Sicht dem 5. Gebot Gottes entgegen steht. Von daher erklärt sich die ethische Brisanz der Frage, ab wann der Tod eines bestimmten Menschen mit Sicherheit eingetreten ist!

Wenn nun bei der Feststellung des Todes unter intensivmedizinischen Voraussetzungen neben dem traditionellen Kriterium des endgültigen Aussetzens der Herz- und Kreislauftätigkeit auf das Kriterium des „Hirntodes“ zurückgegriffen wird, so hat sich die Kirche dieser Entwicklung gegenüber bisher offen gezeigt und für die exakte Todesfeststellung auf die Kompetenz der verantwortlichen Ärzte verwiesen.

Der verstorbene Papst Johannes Paul II. wies beim Internationalen Kongress für Organverpflanzung im „Palazzo dei Congressi“ in Rom am 29. August 2000 darauf hin, „dass das heute angewandte Kriterium zur Feststellung des Todes, nämlich das völlige und endgültige Aussetzen jeder Hirntätigkeit, nicht im Gegensatz zu den wesentlichen Elementen einer vernunftgemäßen Anthropologie steht, wenn es exakt Anwendung findet.“ Daher könne – so der Papst damals – „der für die Feststellung des Todes verantwortliche Arzt dieses Kriterium in jedem Einzelfall als Grundlage benutzen, um jenen Gewissheitsgrad in der ethischen Beurteilung zu erlangen, den die Morallehre als ‚moralische Gewissheit’ bezeichnet.“

Bei dieser päpstlichen Stellungnahme, die das nach exakten medizinischen Standards festgestellte definitive Aufhören der Gesamtfunktion des Gehirns als Tod der menschlichen Person interpretiert, handelt es sich um die bisher klarste Aussage der Kirche im Hinblick auf das Hirntodkriterium. Auch wenn es verschiedentlich Versuche gibt, die Relevanz dieser Aussage sowie ihre medizinische Begründung in Frage zu stellen, liegt hier eine Grenzmarke vor, die auch von weiteren päpstlichen Verlautbarungen kaum mehr unterschritten werden wird. Insofern wäre es wirklich überraschend, wenn die von der Historikerin Lucetta Scaraffia ohnehin nur mit ein paar Sätzen ausgedrückte und im „L’Osservatore Romano“ publizierte Position einer Infragestellung des Hirntod-Kriteriums in naher oder ferner Zukunft wirklich von der Lehrautorität der Kirche übernommen würde.

Freilich wird und muss die medizinische und ethische Diskussion über die Zuverlässigkeit der Kriterien zur Todesfeststellung weitergehen; es handelt sich aber gemäß heutigem Wissensstand beim Ganzhirntodkriterium nicht, wie die Autorin unterstellt, um eine willkürliche Definition, die allein von den Interessen der Organtransplanteure abhängig wäre. Vielmehr ist mit dem definitiven Ausfall aller Gehirnfunktionen die anthropologische Basis für die personale Einheit des Organismus zerstört, dessen restliche Lebensfunktionen ohne künstliche Aufrechterhaltung von Atmung und Kreislauf von selbst aufhören. Die Person ist damit in ihrer leib-seelischen Einheit tatsächlich durch den Tod betroffen.

Ein internationaler Kongress im Vatikan vom 6. bis 8. November 2008, an dem medizinische und ethische Experten aus aller Welt teilnehmen, wird sich genau mit diesen und anderen Fragen zu beschäftigen haben (“A gift for life. Considerations on organ donation“, www.agiftforlife2008.org).

Radio Vatikan: Wie tot ist hirntot? .

Josef Spindelböck: Organspende – eine Tat christlicher Nächstenliebe?

Dr. theol. habil. Josef Spindelböck ist Professor für Moraltheologie und Ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Diözese St. Pölten.


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