29. Oktober 2008 in Weltkirche
"Die Gesellschaft wird umso unmenschlicher, je mehr sie am Markt orientiert ist." Es werde nie Lebensqualität geben, indem man sich mit Dingen überhäuft und die spirituelle Dimension ausschließt, warnt Caritas-Chef Kardinal Maradiaga.
Wien (kath.net/PEW) Der Präsident der "Caritas Internationalis", Kardinal Oscar Andres Rodriguez Maradiaga, plädierte im Rahmen eines Festakts in Wien für eine "Globalisierung der Solidarität". Die derzeitige Globalisierung habe zu einer Welt "himmelschreiender Ungleichheit" geführt:
Anstatt in einer globalen Welt zu leben, befinden wir uns in einer Welt, die eine scharfe Trennlinie zieht zwischen denen, die die Chancen der Globalisierung nützen können, und jenen, die an den Rand gedrängt sind". Nur die Logik der Finanzmärkte sei globalisiert worden und der Absolutismus des Kapitals habe Verwüstung verursacht, kritisierte der Kardinal.
Rodriguez Maradiaga ist am Montagabend in Wien mit dem Ehrenpreis des "Viktor Frankl-Fonds" ausgezeichnet worden. Der Erzbischof von Tegucigalpa (Honduras) erhielt die Auszeichnung in Würdigung seines Lebenswerkes. Der Kardinal hat neben seinem Theologiestudium auch eine Ausbildung in klinischer Psychologie und Psychotherapie in Innsbruck absolviert und ist Mitglied in der Europäischen Gesellschaft für Verhaltenstherapie.
Als Bischof und Kardinal war er immer in vorderster Linie im Einsatz gegen die soziale Ungerechtigkeit. Nicht zuletzt deshalb wurde er im Juni 2007 auch zum Präsidenten der "Caritas Internationalis" gewählt, dem Netzwerk der Caritas-Organisationen in mehr als 200 Ländern.
Zunehmende Orientierungslosigkeit
Der Erzbischof von Tegucigalpa beklagte eine zunehmende Orientierungslosigkeit der Gesellschaft: "Mir kommt vor, dass gleichzeitig mit der Ideologie des unbeschränkten Marktes allmählich eine Veränderung in der Wertehierarchie zum Vorschein kommt. Die Gesellschaft wird desto unmenschlicher, je mehr sie am Markt orientiert ist".
Die Grenzen würden ohne Unterschied für den Warenverkehr geöffnet und für den Personenverkehr geschlossen. Die mangelnde Entwicklung in vielen Ländern führe zu Strömen von Wirtschaftsflüchtlingen, nannte der Kardinal eine der Konsequenzen. Rodriguez Maradiaga erinnerte daran, dass es in allen Teilen der Welt negative Entwicklungen gibt:
"Wir werden Zeugen der Globalisierung der Depression, der hohen Selbstmordraten und der existenziellen Leere. Die Welt, die wie nie zuvor die Orientierung des Verkehrs in der Luft, zu Wasser und auf der Erde mit Hilfe von Navigationssystemen entwickelt hat, lebt orientierungslos".
Lebensqualität sei ein Schlagwort der Gegenwart, aber die Globalisierung scheine sie nicht zu fördern. Es werde nie eine echte Lebensqualität geben, "wenn man sie nur sucht, in dem man sich mit Dingen überhäuft und die Dichte des Menschseins ausschließt", so der Kardinal wörtlich. Man könne auch nicht die spirituelle Dimension ausschließen, die das Besondere des Menschen sei.
Die von Viktor Frankl entwickelte Logotherapie betone deshalb die Qualität des wirklich gelebten Lebens. Dieses Leben werde bewertet und geschätzt, es gehe vom Prinzip aus, dass Zufriedenheit und Wohlergehen eintreten, wenn "das gelebte Leben mit Sinn erfüllt wird".
Er plädierte eindringlich dafür, die Globalisierung zu humanisieren und verwies u. a. auf die Achtung der Menschenrechte und die Notwendigkeit sozialer Stabilität. Solidarität ermutige dazu, jeder Gruppe den größtmöglichen Dienst zu leisten: "Dazu gehört das Bemühen, Arbeitsplätze zu erhalten, Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu tätigen, in der lokalen Gemeinde mitzuarbeiten, die Umwelt zu verbessern oder zu sozialen oder Bildungsinitiativen beizutragen". Es müsse alles vermieden werden, was zur Verschmutzung der Umwelt führt, das Vertrauen verletzt oder Korruption im Wirtschaftsleben fördert, so Rodriguez Maradiaga.
Vernehmbare Stimme der Kirche
Die Laudatio für Kardinal Rodriguez Maradiaga hielten der Linzer Diözesanbischof Ludwig Schwarz - wie der Erzbischof von Tegucigalpa ein Salesianer Don Bosco -, der österreichische Caritas-Präsident Franz Küberl und der italienische Salesianer und Frankl-Schüler Don Eugenio Fizzotti. Schwarz und Küberl nahmen im Anschluss auch an einer Podiumsdiskussion teil.
Küberl sagte, er hoffe auf eine baldige päpstliche Sozialenzyklika und einen neuen Wirtschaftshirtenbrief der amerikanischen Bischöfe. Solche massiven kirchlichen Anregungen seien in der derzeitigen globalen Debatte bitter nötig, so Küberl ganz in Übereinstimmung mit Kardinal Rodriguez Maradiaga.
Bischof Schwarz warf in die Diskussion die Überzeugung ein, dass jedes funktionierende demokratische System die ethische Bildung eines jeden einzelnen Bürgers voraussetze. Menschliche Reife und Verantwortung seien gefordert, so Schwarz, der hier ebenfalls eine wichtige Aufgabe der Kirche sah.
Caritas-Präsident Küberl forderte in diesem Zusammenhang auch mehr Zivilcourage und politisches Engagement der Bevölkerung. Als Beispiel nannte er die Forderung an die Regierung, endlich 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Diese Forderung werde von der Politik wohl erst dann erfüllt, so Küberl, "wenn die Verantwortlichen das Gefühl haben, dass dieses Thema vielen Menschen ein ernstes Anliegen ist".
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