Eine Messe für Galilei

20. Februar 2009 in Interview


Galilei, Luther und Williamson: WELT-Korrespondent Paul Badde sprach mit dem vatikanischen Chefhistoriker Walter Brandmüller über Irrtümer in Geschichte und Gegenwart.


Rom (www.kath.net / welt) Professor Walter Brandmüller ist Chefhistoriker des Vatikans. Anlässlich der Kritik an Seiner Heiligkeit wegen der Messe, die für einen vermeintlichen Häretiker gehalten wurde, gibt er zu bedenken, dass das Bild, was in der heutigen Zeit von Galileo Galilei und der Gesellschaft des 17. Jahrhunderts vorherrscht, nicht korrekt ist.

WELT ONLINE: In der Kirche Santa Maria degli Angeli in Rom fand eine Messe für Galileo Galilei statt. Soll er bald heilig gesprochen werden?

Prof. Walter Brandmüller: (lacht) Mir ist nicht bekannt, dass jemand einen Seligsprechungs-Prozess eingeleitet hätte.

WELT ONLINE: Aber wie kommt es zu dieser Messe für Galilei?

Brandmüller: Ich weiß es nicht, aber er war ein Christ und Sünder (wie wir alle) und hat es infolge dessen nötig, dass man für ihn betet.

WELT ONLINE: In seiner Predigt sagte Erzbischof Ravasi, Galilei habe Grenzen überschritten und neues Wissen erschlossen. Welche Grenzen waren das und welches Wissen?

Brandmüller: Die wissenschaftliche Bedeutung Galileis ist unbestritten groß. Sie hat aber weniger mit den astronomischen Beobachtungen zu tun, die er mit seinem Fernrohr gemacht und dann in seinem Sidereus Nuntius veröffentlicht hat, sondern vielmehr in seinem großen Werk über die Mechanik, das er nach seiner Verurteilung durch die Inquisition begonnen und vollendet hat.

WELT ONLINE: Heißt das, dass Galilei der Inquisition also eigentlich dankbar sein müsste, dass sie ihm mit ihrer Verurteilung diese Zeit und diesen Freiraum geschenkt hat?

Brandmüller: Nun, das ist reichlich zynisch gesagt. Dankbar wird er kaum dafür gewesen sein. Doch tatsächlich hat er erst nach der Verurteilung seines bekanntesten Werkes sein bedeutendstes geschrieben. Die eigentliche Bedeutung Galileis für die Wissenschaftsgeschichte besteht in seinem Spätwerk.

WELT ONLINE: Sollte sich die Kirche in diesem Jahr aber nicht doch ein wenig schämen?

Brandmüller: Ich wüsste nicht, wofür. Dafür, dass die Verantwortlichen in den Jahren 1616 und 1633 noch nicht erkannt hatten, dass zwischen Heliozentrismus und Bibel kein Widerspruch bestand? Dafür, dass sie damals nicht genauso gescheit waren wie wir heute?

WELT ONLINE: Nein, für die Verurteilung Galileis.

Brandmüller: Die war wohl begründet. Der formale juristische Grund bestand darin, dass er die Druckerlaubnis für seinen „Dialogo“ auf unlautere Weise erschlichen hat. Dadurch mussten die römischen Behörden sich an der Nase herum geführt fühlen. Und dann stand eben die Forderung des Heiligen Offiziums im Raum, Galilei möge doch seine Theorie über den Heliozentrismus als astronomische, physikalische Hypothese vertreten und eben nicht als exakte Beschreibung der kosmischen Realität.
Genau damit hat die Heilige Inquisition damals aber schon den wissenschaftstheoretischen Standpunkt vorweg genommen, den die modernste theoretische Physik heute einnimmt – und nicht Galilei. Das war der Kern des Streits. Es war wirklich ein Witz: in naturwissenschaftlicher Hinsicht war die Inquisition im Recht – und Galilei mit seiner Bibelerklärung!

WELT ONLINE: Wurde Galilei für seine Hartnäckigkeit exkommuniziert?

Brandmüller: Nein, er war natürlich nie exkommuniziert – und schon gar nicht, was man oft lesen kann, wegen Häresie!

WELT ONLINE: Was war er denn? Hatte er nicht zumindest den Glauben verloren?

Brandmüller: Keineswegs, er war zwar ein eitler, von seiner Bedeutung zutiefst überzeugter Gelehrter, der sein Konto manchmal überzogen hat und im Umgang mit Kollegen und Konkurrenten gewiss keine Bisshemmungen kannte – aber er war ein gläubiger Katholik.

WELT ONLINE: Galilei ein guter Katholik?

Brandmüller: Ein guter Katholik, was wollen sie darunter verstehen? Er war und lebte mit großer Selbstverständlichkeit in der Kirche, nicht neben ihr. Er hatte eine Reihe von Kardinälen, Bischöfen und Theologen als Freunde, als Förderer und Schüler. In das kirchliche Leben seiner Zeit war er vollkommen eingebunden. Und dass er seine religiösen Pflichten erfüllt hat, dass er Sonntags in die Kirche ging, dass er beichtete, zur Kommunion ging, all dies bis zum Schluss, das ist ja bekannt.

WELT ONLINE: Wie würden Sie den Unterschied zwischen Galileo Galilei und Dr. Martin Luther charakterisieren?

Brandmüller: Galilei war kein Rebell. Er hat die Autorität der Kirche fraglos anerkannt. Er hat allerdings mit den Organen der Kirche ein Katz und Maus-Spiel zu treiben versucht. Er hat sie in einem kaum noch erträglichen Maß heraus gefordert. Die Konflikte der beiden mit den Autoritäten spielten auf völlig verschiedene Ebenen ab.

WELT ONLINE: Gibt es denn – aus aktuellem Anlass - vielleicht Parallelen zwischen dem Fall Galilei und dem Fall Williamson?

Brandmüller: Nein, überhaupt nicht.

WELT ONLINE: Auch nicht, was ihre Rehabilitation betrifft? Williamson sei mit seiner Leugnung des Holocaust doch auch vom Papst rehabilitiert worden, war zuletzt immer wieder zu hören und zu lesen.


Brandmüller: Also erst einmal: Galilei bedurfte überhaupt keiner kanonischen Rehabilitation. Er hatte seine kanonische Strafe erhalten, die darin bestand, dass er sieben Bußpsalmen Woche für Woche rezitieren sollte (was dann aber seine Tochter, die eine Klosterfrau war, für ihn übernommen hat). Damit war der Fall erledigt. Eine Rehabilitation kam also gar nicht in Frage und musste nicht erfolgen. Und von einer Rehabilitation Williamsons ist ja einfach überhaupt kein Wort wahr. Erstens ist hier keine Rehabilitation erfolgt. Zweitens erst recht keine Rehabilitation eines Holocaustleugners. Es wurde nur die Exkommunikation wegen einer widerrechtlichen Bischofsweihe aufgehoben. Das sind wieder einmal vollkommen verschiedene Ebenen.

WELT ONLINE: Galileo war über seine Theorie der Planetenbewegung um die Sonne mit dem Lehramt in Konflikt geraten, heißt es, und musste diese These 1633 auf Druck der Inquisition widerrufen. Jetzt wird von Williamson verlangt, er solle seine Leugnung des Holocausts widerrufen? Ist dieses Verlangen nach Widerruf nicht zumindest vergleichbar?

Brandmüller: Nein, auch da gibt es keine Parallele. Der so genannte Holocaust ist eine historische Tatsache. Bei Galilei handelte es sich um eine astronomisch-physikalische Theorie. Wer eine Tatsache leugnet, disqualifiziert sich selbst. An einer fragwürdigen Theorie festzuhalten ist etwas völlig anderes.

WELT ONLINE: Nun soll Galilei der Legende nach bei seinem Widerruf gemurmelt haben: „Und sie bewegt sich doch“. Ist das Verlangen nach Widerruf nicht immer das Verlangen nach einem reinen Lippenbekenntnis ohne jeden Wert?

Brandmüller: So einfach ist das nicht! Denn es ging bei diesem Widerruf Galileis ja nicht um Astronomie. Sondern es ging um den Gehorsam eines Katholiken gegenüber dem kirchlichen Lehramt. Galilei konnte dem Spruch des Heiligen Offiziums innerlich nicht zustimmen und dennoch ein guter Katholik bleiben. Es handelte sich bei diesem Widerruf nur um einen Akt kirchlicher Loyalität, der von ihm ohne weitere Gewissenskonflikte zu leisten war.

WELT ONLINE: Wie ist er eigentlich gestorben?

Brandmüller: Als frommer Katholik. Was auch sonst? (lacht) Für das 17. Jahrhundert etwa einen Kirchenaustritt für möglich zu halten, ist einfach absurd.

WELT ONLINE: Warum wurde er denn in der Basilika Santa Croce in Florenz begraben? Musste es ausgerechnet eine Kirche sein?

Brandmüller: Nun, auch Michelangelo, Rossini und Machiavelli sind in Santa Croce begraben.

WELT ONLINE: Können Sie sich vorstellen, dass demnächst auch für Martin Luther noch einmal eine Messe in der Kirche S. Maria degli Angeli gelesen wird?

Brandmüller: Eine Messe für Luther? Das würde er sich selbst energisch verbeten haben.


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