Erdbeben richtete in Manoppello keinen Schaden an

8. April 2009 in Aktuelles


Junge Männer aus L'Aquila kommen jetzt nach Manoppello, um in der Basilika des "Heiligen Gesichts" unter Tränen für ihre Rettung zu danken - Von Paul Badde / Die Welt


Rom (kath.net/DieWelt) L'Aquila, die Unglücksstadt, das „Rom der Abruzzen“, war am 5. Juli 1294 für einen Tag schon einmal zum Jerusalem des Westens geworden. Pietro da Morrone ritt damals auf einem Esel in die Stadt ein, nachdem er zum Papst gewählt worden war und den Namen Coelestin V. angenommen hatte. Seine Anhänger waren außer sich über die Wahl des „Engelspapstes“, in dem sie einen Vorboten der Wiederkunft Christi erblicken wollten. „Wie soll ich die ganze Welt retten“, rief er selbst jedoch entsetzt, „wenn ich es nicht einmal bei mir selber schaffe?“

Ein halbes Jahr später trat er deshalb schon resigniert zurück, zwei Jahre später starb er. Seitdem liegt der „Feigling“, wie Dante ihn nannte, unversehrt wie Schneewittchen in einem Kristallsarg der Basilika Santa Maria di Collemaggio in L'Aquila begraben. Es ist das schönste Gotteshaus der Stadt, berühmter noch als die eingestürzte Kathedrale.

Die markante Fassade der Basilika zählt zum Weltkulturerbe, hinter der das Erdbeben nun auch eine Altarnische einstürzen ließ, nach Jahren der Renovierung. Die Ruinen der Einsiedelei hingegen, aus der der Papst wider Willen nach L'Aquila kam, liegen oberhalb Sulmonas, der Stadt Ovids, immer noch wie eh in Trümmern und wurden von dem Beben nicht weiter beschädigt. Doch unzählige andere Palazzi, Kirchen, Kapellen und Juwelen, von denen die Abruzzen so voll sind wie ein Granatapfel mit seinen Kernen, haben heillose Schäden erlitten.

Von L'Aquila bis Rom kam uns in der Nacht auf der Autobahn das Blaulichtgeflacker immer neuer Kolonnen entgegen, mit denen Italien der Region zu Hilfe eilt, die danieder liegt wie nach einem verheerenden Luftangriff, in diesem Fall jedoch von einer Attacke aus dem Erdinnern. Nur Stunden später kam es zu neuen Stößen, wieder mit dem grässlichen Geräusch aus der Tiefe, das den Menschen in den hastig errichteten Zeltstädten wieder das Blut in den Adern gefrieren ließ. Im Radio wurden derweil ständig die Zahlen der Opfer des schwersten Erdbebens in Italien seit 30 Jahren nach oben korrigiert. Die letzen Angaben sprechen von mehr als 200 Toten.

Die Namen der Orte in den Nachrichten klangen wie ein Who is Who unter den vielen Schönheiten der Abruzzen: Teramo, Tagliacozzo, Penne, Atri, oder Pescina am ehemaligen Fucino-See, wo 1915 bei einem Erdbeben 200.000 Menschen starben und die Stadt Avezzano dem Erdboden gleich gemacht hat. Jetzt wurde in Celano die Kirche Sant'Angelo beschädigt, die dort weit über die Ebene blickt und in Santo Stefanao di Sessanio – „auf der Höhe der Adler“ – im Gran Sasso Massiv, das für sein malerisches Profil ebenso berühmt ist wie für seine Linsengerichte mit Wurst, stürzte schon mit der ersten Erschütterung der Medici-Turm ein, an dem das Städtchen schon von weitem erkennbar war.

Vor der Küstenstadt Pescara wurden in Bussi große Partien des historischen Zentrums beschädigt, in Loreto Aprutino mit seinen weltberühmten Fresken des Jüngsten Gerichts knickte der Turm der San Francesco Kirche wie ein Streichholz. Auch in der Bistumsstadt Chieti auf dem Hügel über dem Meer muss die Franziskus-Kirche über den Treppen gesperrt werden und in Atri der herrliche romanische Dom, der nach Jahren der Renovierung in diesem Jahr wieder geöffnet werden sollte.

Die Suche nach Schuldigen ist angesichts der Opfer und Schäden ein ähnlich virtuelles Thema der Medien wie das Versprechen Premier Silvio Berlusconis in L'Aquila, dass die Stadt nach seinen Vorstellungen „nebenan“ ganz neu und modern wieder aufgebaut werden würde, und dann natürlich auch erdbebensicher. Tatsächlich hatten über 17.000 Menschen am frühen Montagmorgen ihre Wohnungen verloren. Das Schütteln der Erde ist darüber noch nicht ans Ende gekommen.

Eine 98-Jährige Verschüttete häkelt

Bis jetzt sind 280 Erdstöße gezählt worden. Die Überlebenden aber haben in der ganzen Region ihre Koffer gepackt für eine eventuell notwendige Flucht aus dem Haus schon in der nächsten Nacht. In Via Campo in Fossa wurde eine Mutter mit zwei Kindern im Arm unter den Trümmern gefunden.

In dem zertrümmerten San Gregorio vor L'Aquila wurde eine tote Mutter gefunden, die noch im Sterben ihr zweijähriges Kind mit ihrem Körper beschützt hatte, das mit dem Hubschrauber ins nächste intakte Krankenhaus geflogen wurde.

Eine 24-jährige Studentin hatte in L'Aquila 23 Stunden in den Trümmern eines Hauses verbracht, ehe sie nach fünfstündiger Arbeit der Hilfskräfte geborgen werden konnte. Die Balken um sie herum waren so sensibel verhakt wie in einem Mikado-Spiel, wo jede unbedachte Bewegung einen letzten Zusammenbruch hätte auslösen können.

Maria D'Antuono, eine 98-jährige Dame, wurde nach 30 Stunden aus einem winzigen geschützten Winkel geborgen, wo sie sich die pechschwarze Schreckenszeit mit stoischem Häkeln vertrieben hatte. „Ich habe gearbeitet“, sagte sie den verblüfften Helfern.

So viel Glück war Gemma Antonucci, der Äbtissin des Klarissenkonvents von Paganica, nicht beschieden, die mit einer weiteren Ordensfrau erschlagen wurde. Neben den Totenklagen branden in diesen Stunden also auch immer noch Freudenschreie und Applaus in L'Aquila und den Orten der Umgebung auf, wenn wieder ein Opfer lebend aus den Trümmern geborgen werden kann. Die Menschen der Abruzzen wie überhaupt ganz Italienshaben sich in diesen Tagen in beispielloser Solidarität um die Opfer geschart.

Welche Schäden bleiben werden und was an diesem verborgenen Schatzhaus Italiens repariert und gerettet werden kann, lässt sich noch nicht bestimmen. Gewiss scheint nur, dass diese außergewöhnliche Kulturregion durch die Katastrophe erstmals in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit katapultiert wurde. Denn bis zum Bau der Autobahn von Rom nach L'Aquila und Pescara in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts mussten die Abruzzen als der unbekannte Teil Italiens gelten, der für viele Fremde immer im Schatten der Toskanas, Umbrien, der Campagna oder der Inseln Italiens verborgen geblieben war. Die ebenso selbstgenügsamen wie selbstbewussten Abruzzeser hatte es zwischen den Gipfeln des Appenin und der Küste der Adria nie wirklich gestört.

Oft hatten sich viele der ehemaligen Bauern, Hirten und Bergbauern zwar Arbeit im Ausland gesucht – in merkwürdig großer Solidarität untereinander auch in der Fremde, wie in manchen Bergbaugebieten Belgiens – doch inzwischen sind viele in die zeitweise verlassenen Orte zurück gekehrt, wie nach Capistrano, einem noblen Ort der Renaissance, dem heute auch trotz des Erdbebens sicher noch so viel Zukunft bevorsteht, wie es an ruhmreicher Vergangenheit hinter sich hat.

Diese Orte zehren von Ressourcen der Geschichte Italiens, die unversiegbar scheint. Vor Manoppello, wo auf einem Hügel vor dem Städtchen eine Kapuzinerkirche die Fassade der Basilika Santa Maria di Collemaggio von L'Aquila in einem stolzen Zitat aufgenommen hat, kam es außer dem Schrecken zu keinem wirklichen Schaden durch die donnernden Schläge unter der Erdkruste. Im Gegenteil. Junge Männer aus L'Aquila kommen hierhin, um in der Basilika des „Heiligen Gesichts“ unter Tränen für ihre Rettung zu danken.

Es ist der gleiche Ort, den Papst Benedikt XVI. weltweit bekannt gemacht hat wie keinen anderen Namen der Abruzzen, als er 2006 auf der ersten selbst gewählten Reise seines Pontifikats hier den Schleier mit dem „Wahren Bild“ Christi verehrte, den vor ihm schon über 400 Jahre kein Papst mehr gesehen hatte. Dieser allergrößte Schatz der Abruzzen hat in dem grausamen Beben keinen Kratzer abbekommen.



Foto: (c) Paul Badde / Die Welt


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