‚Merkel weiß nicht, was die katholische Soziallehre bedeutet‘

2. September 2009 in Deutschland


Wolfgang Ockenfels, Dominikanerpater, Sozialwissenschaftler und CDU-Mitglied, kritisiert Bundeskanzlerin Merkel und die CDU mit scharfen Worten.



Trier (kath.net/domradio) Professor Wolfgang Ockenfels, Dominikanerpater und Sozialwissenschaftler an der Universität Trier hat mit scharfen Worten das christliche Profil der CDU hinterfragt und der Bundeskanzlerin „Dummheiten“ vorgeworfen . Nur zwei Tage nach den deutlichen Verlusten gerade auch bei den christlichen Wählerstimmen von CDU-Ministerpräsident Althaus in Thüringen, der selbst in der katholischen Hochburg Eichsfeld fast ein Drittel der Stimmen verlor, beklagte Ockenfels im domradio-Interview besonders den gegenwärtigen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel.

Die CDU habe unter der Parteivorsitzenden die katholische Soziallehre vernachlässigt. Das CDU-Mitglied Ockenfels wirft Angela Merkel vor, sie habe "eine Menge Dummheiten begangen", die gerade für katholische Wähler anstößig seien. So habe die CDU, dem Zeitgeist folgend, den Lebensschutz so gut wie aufgegeben: "Uns fehlen heute genau die Millionen Kinder, die wir straffrei abtreiben ließen. Und daran war auch die CDU ganz erheblich beteiligt", so Ockenfels wörtlich.

Angela Merkel habe als "besonders gestrenge Gouvernante" eine Menge "aufrechter Katholiken" wie Friedrich Merz und Paul Kirchhof weggebissen, so Ockenfels weiter. Sie habe ein gespanntes Verhältnis zur katholischen Kirche und man merke ihr, bedingt durch eine langjährige DDR-Erziehung, eine gewisse Millieuschädigung an, so Ockenfels. "Angela Merkel hat die Tradition der vor allem westdeutsch und rheinisch geprägten CDU nie begriffen und weiß auch nicht, was katholische Soziallehre bedeutet." Die Familienpolitik der Christdemokraten bezeichnete der Sozialwissenschaftler als "Krippenpolitik, die auf eine Verstaatlichung der Familie" hinauslaufe.


Insgesamt sei die Partei diskussionsmüde und theorieverdrossen. "Sie muss wieder auf Trab gebracht werden und vielleicht wird eine Oppositionszeit die Partei wieder zur Besinnung bringen."

Mit scharfen Worten griff Ockenfels auch die katholischen Verbände an: "Man muss feststellen, dass viele Verbände sehr schlafmützig und sehr resigniert sind, anstatt sich in der CDU zu engagieren."

domradio: Herr Prof. Ockenfels, denken Sie bereits über einen Parteiaustritt nach?

Prof. Ockenfels: So weit bin ich noch nicht. Aber ich bin schon etwas im Zweifel, welche Partei ich nun wählen soll bei der Bundestagswahl, ich war noch nie so unsicher. Früher hieß es immer „Augen zu, CDU“, aber im Moment ist es so, dass gerade das „C“, also die eigentliche Identität dieser Partei, immer mehr verschwommen ist.

Frau Merkel hat eine ganze Menge Dummheiten begangen, die gerade für Katholiken, sagen wir mal, anstößig sind. Kein Wunder, dass bei den letzten Landtagswahlen besonders hohe Verluste für die CDU gerade bei Katholiken eingetreten sind. Aber es gibt auch eine Reihe von Protestanten, die sagen, die Partei sei nicht mehr am C erkennbar.

domradio: Was meinen Sie mit Dummheiten?

Ockenfels: Es sind programmatische Defizite. Das sogenannte christliche Menschenbild ist immer mehr zu einer Phrase, zur bloßen Rhetorik geworden. Die christlichen Werte werden zwar beschworen und das ist auch eigentlich begrüßenswert, aber die konkreten Konsequenzen daraus werden nicht gezogen.

Man sollte nicht nur über christliche Werte reden, sondern auch von Menschenrechten, etwa die der Ungeborenen. Hier hat die CDU, einem Zeitgeist folgend, den Lebensschutz so gut wie aufgegeben. Die Rechte der Ungeborenen werden viel weniger betont, als etwas Naturschutz oder Tierrechte. Eine sehr unbefriedigende Lage, was das Leben von Anfang bis zum Ende betrifft, gerade das der Menschen. Es ist wichtig Menschenschutz zu betreiben, gerade auch unter demografischen Perspektiven. Uns fehlen heute genau die Millionen Kinder, die wir straffrei abtreiben ließen. Das ist eine Sache, an der auch die CDU ganz erheblich beteiligt war.

domradio: Liegt es denn vor allem an Frau Merkel?

Ockenfels: Nein, natürlich nicht. Aber Frau Merkel ist eine besonders strenge Gouvernante, die ja gerade in ihrer Umgebung eine ganze Menge aufrechter Katholiken weggebissen hat. Etwa Herrn Merz, Christoph Böhr oder auch Herrn Kirchhof. Sie hat ein sehr gespanntes inneres Verhältnis zur katholischen Kirche. Sie versucht das in letzter Zeit ja etwas glatt zu bügeln, aber man merkt doch schon eine gewisse Milieuschädigung durch eine langjährige DDR-Erziehung, da kann sie natürlich nichts dafür. Und dann auch noch aus einem knallroten evangelischen Pfarrhaus zu stammen, hat vielleicht auch Spuren derart hinterlassen, dass sie die Tradition der vor allem westdeutschen und rheinisch geprägten CDU nie begriffen hat und auch nicht weiß, was katholische Soziallehre bedeutet.

Sie ist auch in sozialpolitischer und sozialstaatlicher Hinsicht zurückgeblieben. Da sollte sie sie einmal einen Kurs besuchen und sich mal kundig machen, was die Tradition ihrer eigenen Partei betrifft. Das würde der Partei selber gut bekommen. Allerdings ist sie nicht alleine in der Partei, sie hat sich ja mit entsprechenden Leuten umgeben, wie etwas Frau Schavan oder Frau von der Leyen. Die betreiben die entsprechende Politik, wie etwa eine Forschungspolitik, in der der Embryonenschutz ziemlich aufgegeben worden ist und eine Familienpolitik als Krippenpolitik, die auf eine Verstaatlichung der Familien hinausläuft.

domradio: Wie könnte die Partei wieder ein christliches Profil bekommen?

Ockenfels: Das liegt natürlich an den Christen selber. Leider sind sehr viele katholische Verbände sehr schlafmützig und resigniert, statt sich in der CDU und den Arbeitskreisen der Partei zu engagieren, die ja doch noch christlich akzentuiert sind, wie z.B. die Christdemokraten für das Leben. Die CDL ist eine interessante Gruppierung innerhalb der CDU. Auch bei der Senioren-Union, die ja die am stärksten wachsende Gruppe innerhalb der CDU darstellt, so dass die Alten die eigentliche Zukunft der CDU bedeuten, regt sich ein gewisser Widerstand. Hier betont man und klagt man ein, dass das das Christliche wieder stärker in der Partei zur Geltung kommt. Auch in der Jungen Union melden sich zunehmend Leute, die es auch mal wagen, innerparteiliche Kritik an Frau Merkels Kurs zu richten. Diese Partei ist ja sonst ziemlich diskussionsmüde und theorieverdrossen. Sie muss wieder etwas auf Trab gebracht werden und vielleicht würde eine Oppositionszeit die Partei wieder zur Besinnung bringen.

Hinweis: Das Interview führt Susanne Becker-Huberti. Das Buch „Das hohe C“ von Wolfgang Ockenfels ist im Sankt Ulrich Verlag Augsburg erschienen.


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