Die Macht des Nichts

15. September 2009 in Deutschland


TV-Duell: Das System Merkel im Hohlraum des Seins – oder warum jetzt alle Fragen beantwortet sind - Ein kath.net-Kommentar von Martin Lohmann


Köln (kath.net)
Das große TV-Duell Merkel-Steinmeier war für viele Beobachter ein großer Offenbarungseid. Jedenfalls von der Frau, die da als CDU-Vorsitzende stand und sich mit fast schon faszinierender Konsequenz jedem Versuch einer inhaltlichen Profilierung widersetzte. Nicht ein einziges Mal rutschten ihr Begriffe wie „christlich“ oder auch nur „christdemokratisch“ raus. „Werte“, „Familie“, „Ethik“ „Menschenwürde“ und „Lebensschutz“ – nicht aus dem Mund dieser Frau. Nichts, aber auch gar nichts kam ihr im Blick auf die Stammwähler der Union über ihre Lippen. Wenn sie das durchhält, wenn sie diese Konsequenz der Abstinenz vom C bis zum Wahlabend konserviert, dann könnte die Abstinenz der ehemaligen Stammwähler eines Tages zu einem richtigen Problem für sie werden. Mehr aber noch für die Partei, der sie vorsteht.

Die Stammwähler interessieren sie nicht wirklich. Sie meint, die habe sie sowieso, und ein eventueller Wählerverlust werde an anderer Stelle ohnehin mehr als ausgeglichen.

Angela Merkel ist für viele der beste Grund, CDU zu wählen. Mag sein. Tatsächlich sind für viele heute Merkel und Union Austauschbegriffe. Viele wählen die Union, weil es Merkel gibt. Aber umgekehrt gilt das auch: Viele wählen nicht mehr Union, weil es Merkel gibt. Mehr noch: Weil das „System Merkel“ das Profil dieser „ihrer“ Partei regelrecht verspeist, auffrisst.

Fragen melden sich: Kommen der CDU-Chefin, die vor allem gerne Kanzlerin ist, die mit dem C verbundenen Begriffe nicht mehr über die Lippen, weil sie sie nicht in Herz oder Seele hat? Nach dem Schmuseduell einer angelernten Christdemokratin mit Hang zur inhaltlichen Profilphobie ist die Frage fast schon beantwortet: Wofür steht Angela Merkel? Was verbindet sie mit dem C der CDU? Mehr als ein Nichts?

Merkel kann man als „gelernte“ Christdemokratin bezeichnen. Dabei weiß sie zwar um die tradierten Werte dieser Partei, doch es fehlen ihr die inneren Bezüge. Auch deshalb hat die mächtigste Frau der Welt in ihrer Partei keine eigene Hausmacht.

Sie ersetzt diesen Mangel durch Misstrauen und knallharte Taktik. Große Visionen werden ihr nicht nachgesagt. Große Durchsetzungskraft hingegen schon. Innerhalb der Partei herrscht bis hinunter in die Ortsverbände eine Atmosphäre des Duckens und auch der Ängstlichkeit. Selbst gestandene Volksvertreter im Deutschen Bundestag sagen mit fast schon trotziger Bewunderung geradezu selbstenthauptend: „Mutti kritisiert man nicht.“ Das System Merkel ist – solange sie wie in diesen Monaten in Umfragewerten oben ist und weiter Kanzlerin bleiben kann – stabil.

Doch die zumeist konservativen Stammwähler verabschieden sich leise. Das mag man unterschätzen – weil man es halt leicht überhören kann. Übersehen sollte man es dennoch nicht. Das Problem, das die teflonbeschichtete Bundesmanagerin als Vorsitzende der Partei Adenauers eben dieser ins Nest legt, ist größer als zunächst erkannt. Spätestens am Tag Eins nach Merkel wird man sich fragen, worin denn der Mehrwert dieser Partei noch liegen könnte, wenn das kantenfrei abgeschmirgelte Austauschprofil dieser Partei mit dem Ende des Systems Merkel sich als strategisches Nullsummenspiel erweisen sollte. Und irgendwann wird es diesen Tag Eins geben.

Garantiert. Wenn bis dahin aber das Karrieremodell M das Mehrwertmodell C zur Unkenntlichkeit degradiert hat, wird diese einst wichtige und einzigartige Partei in ein großes Loch fallen. Das Enttäuschungspotenzial bei denen, die ihr wegen ihrer klaren Überzeugung nicht besonders nahe am Herzen liegen, sollte auch Frau Merkel nicht leichtsinnig unterschätzen.

Sie mag eine beeindruckende Kanzlerin sein, diese zur mächtigsten Frau ausgerufene Deutsche mit exzellentem Machtinstinkt. Aber ist sie auf Dauer auch die richtige Vorsitzende einer Partei, deren Einzigartigkeit sie inhaltlich weder repräsentiert noch offenbar selber erkannt hat? Sie, die machtvolle Defizite im Kern-Verständnis der „eigenen“ Partei offenbart, ist vor allem Kanzlerin. Dabei nützt ihr, aber letztlich auch nur ihr, eine Partei, die mittel- und langfristig mehr zu bieten haben muss als eine Bundesmoderatorin.

Schön und gut, wenn sie jetzt, nachdem es immer wieder Kritik an ihr gab und gibt, gelegentlich Christliches beschreibt. Wenn sie jetzt – im Wahlkampf – allerdings nur vor entsprechendem Publikum das C betont, dann schleicht sich fast schon automatisch der Verdacht ein, auf den netten und schönen Worten stehe ein Verfallsdatum: 27. September 2009, 18:01 Uhr. Man sollte ihn ihr – auch und gerade wegen der Zukunft der Partei, deren Vorsitz sie innehat – wirklich von Herzen wünschen: den Mut zu einem belastbaren C-Profil!

Seit dem TV-Duell sind einige Fragen gar nicht mehr so offen, weil ihre Beantwortung zu sehen und zu hören war. Wofür steht Angela Merkel – außer für sich selbst? Was verbindet die C-Chefin mit dem C? Welche Grundsätze hat sie wirklich? Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Union soll und darf keine katholische Partei werden oder sein. Aber auch eine ostdeutsche protestantische Pfarrerstochter sollte wissen, dass sie eine christliche Partei war, ist und – wenn möglich – bleibt. Und dort sollte man wenigstens gelegentlich spüren, dass es in ihr Christen gibt, die sich an mehr orientieren können als an opportunistischen Relativismen und tiefgangfreien Taktiken.

Vermutlich wird Merkel wieder Kanzlerin, was für Deutschland nicht schlecht sein muss. Wenn das so ist, werden manche dieser Fragen in den Hintergrund treten. Zunächst. Nicht auf Dauer. Denn irgendwann werden diese Fragen wieder da sein, weil es die CDU auch nach einer Angela Merkel geben wird und geben sollte. Und bis dahin hat sie, von der man gelegentlich den Eindruck haben kann, sie lebe beherrscht und konsequent in einem Überzeugungsnirwana, selbst die Chance, der inhaltlichen Entleerung entgegenzuwirken und den lange vorhandenen Mehrwert einer einzigartigen politischen Partei nicht zu verspielen.

Diese Klugheit ist ihr zu wünschen. Sie zu zeigen, wäre übrigens noch vor der Wahl möglich. Aber dazu müsste man sie erst einmal wollen – und wissen, dass das C neben all den anderen Profilen mehr als eine Ergänzung sein kann und keine Diskussion zu fürchten braucht. Mit dem C wird und bleibt die Union eine breite Volkspartei. Ohne das C, das die Vorsitzende vielleicht – aus Gründen des Opportunismus? – ein wenig zu fürchten scheint, wird sie austauschbar und verliert ihren starken Kern. Der aber hat – um der Menschen willen – mehr Lebenszeit verdient als ein System, das ausschließlich einer bemerkenswerten politischen Figur verhaftet ist und so oder so nicht von Dauer sein kann. Denn Macht ist und kann kein Selbstzweck sein. Macht braucht Inhalt. Dann hat auch Inhalt Macht.

Der Autor ist katholischer Publizist und Journalist. Er gilt als kritischer CDU-Kenner. Vor kurzem erschienen ist sein Buch „Das Kreuz mit dem C. Wie christlich ist die Union?“ (Butzon & Bercker, Kevelaer, 14€90)


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