4. November 2009 in Aktuelles
Das Kruzifix-Verbot für Italiens Schulklassen löste zahlreiche Proteste aus. Reaktionen aus dem Vatikan, der italienischen Politik und von Bischöfen aus Deutschland und dem Orient.
Rom (kath.net/KNA) Das Kruzifix-Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs sorgt in Italien und im Vatikan für Proteste und Diskussionen. Der Vatikan nahm den Spruch aus Straßburg «mit Erstaunen und Bedauern» zur Kenntnis. Vatikansprecher Federico Lombardi erklärte, das Gericht verkenne die Rolle des Christentums für die Formung der europäischen Identität.
Die Nummer zwei des Vatikan, Kardinalstaatsekretär Tarcisio Bertone, sagte am Mittwoch vor Journalisten: «Dieses Europa des dritten Jahrtausends lässt uns nur die Kürbisköpfe und nimmt uns die wertvollsten Symbole». Nun gelte es, «mit allen Kräften die Zeichen unseres Glaubens zu bewahren».
Lombardi kritisierte, die Straßburger Richter betrachteten das Kreuz als ein «Zeichen der Trennung, des Ausschlusses oder der Freiheitsbeschränkung». Dabei sei es «immer ein Zeichen des Angebots der Liebe Gottes und der Einheit und Offenheit für die ganze Menschheit», so der Vatikansprecher. Die Bischofskonferenz Italiens äußerte «Bitterkeit und Verblüffung».
Der Menschenrechtsgerichtshof hatte am Dienstag einer Klägerin Recht gegeben, die sich in Italien vergeblich gegen das Kreuz in öffentlichen Schulen gewandt hatte. Italiens Regierung teilte mit, sie habe umgehend Berufung gegen das Straßburger Urteil eingelegt. Bildungsministerin Mariastella Gelmini warf den Straßburger Richtern eine ideologisch verengte Sichtweise des Kreuzes vor. Es sei keineswegs nur ein religiöses Symbol, sondern ein Symbol der italienischen Kultur, so die Politikerin in der Tageszeitung «La Stampa». Wer das Kreuz entferne, beseitige einen Teil der italienischen Identität.
Die stellvertretende Senatspräsidentin und frühere EU-Kommissarin Emma Bonino, eine Sozialistin, würdigte hingegen das Straßburger Urteil als «Loblied» auf eine individuelle Religiosität. Die Religion müsse in den Herzen der Menschen verankert sein und sich in ihrem Handeln zeigen und nicht an Mauern, sagte sie der Tageszeitung «Il Messaggero».
Nach dem Einspruch Italiens müsste sich nun eine mit 17 Richtern besetzte Große Kammer des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes mit dem Thema befassen. Mit ihrer Entscheidung ist der Rechtsweg dann definitiv beendet.
Als «einseitig» und eine «große Enttäuschung» wertet die Deutsche Bischofskonferenz das Urteil. «Das Kreuz ist ja nicht nur religiöses Symbol, sondern auch kulturelles Zeichen», sagte der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, am Mittwoch in Bonn. Das Urteil ignoriere die Bedeutung des Kreuzes in der italienischen Gesellschaft.
«So werden die Bischofskonferenzen in Europa immer wieder darauf hinzuweisen haben, dass Religionsfreiheit nicht 'Frei-sein von Religion' bedeutet und die negative Religionsfreiheit nicht zu einem allgemeinen Religionsverhinderungsrecht mutieren darf», sagte Langendörfer.
Der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Perisset, erklärte am Dienstagabend in Augsburg, Europa scheine seine christlichen Wurzeln zu vergessen.
Auf die Situation in Deutschland habe die Entscheidung des Gerichtshofs keine Auswirkungen, betonte Langendörfer. Er verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 1995 die in Bayern vorgeschriebene Anbringung von Kreuzen in Grundschulklassen untersagte.
Dort kam Kritik aus der Politik. Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) bezeichnete das Urteil als «unglücklich». Bayerns Europaministerin Emilia Müller (CSU) warf den Straßburger Richtern vor, sie hätten mit ihrem Spruch dem Menschenrechtsgedanken einen Bärendienst erwiesen.
Die EU-Kommission erklärte unterdessen, der Umgang mit religiösen Symbolen sei Sache der einzelnen Mitgliedstaaten. Der Menschenrechtsgerichtshof als Organ des Europarates sei strikt von der EU und ihren Institutionen getrennt, erinnerte Kommissionssprecher Michele Cercone am Mittwoch in Brüssel. Die EU habe in dieser Frage keine Zuständigkeit.
Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper kritisierte den Straßburger Richterspruch als ideologisch und sprach von einem «aggressiven Säkularismus». «Das Kreuz entfernen zu wollen, ist intolerant», sagte der Präsident des Rates für die Einheit der Christen im Interview des «Corriere della Sera». Es könne nicht angehen, dass sich die Mehrheit nach einer Minderheit richten müsse. Die christlichen Politiker rief Kasper auf, Farbe zu bekennen.
Auch katholische Kirchenführer aus dem Orient reagierten verärgert. Die Entscheidung der Straßburger Richter schwäche die Position der christlichen Minderheiten im Nahen Osten, sagte der Patriarchalvikar von Bagdad, Schlemon Warduni. Er bezweifelte, dass Christen im Irak eine große Hilfe von Europäern erwarten könnten, die von sich aus die Symbole ihrer historischen und religiösen Tradition entfernten.
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