27. November 2009 in Interview
"Unverkennbar gibt es heute in Teilen der Kirche ein Pharisäertum wie zur Zeit Jesu" - Kath.Net-Interview mit Peter Seewald über seine soeben erschienene Jesus-Biografie, die Kritik von Klaus Berger an seinem Buch und die Eitelkeit der Theologen
München (kath.net)
Kath.Net: Herr Seewald, es gibt eine heftige Debatte um Ihre Jesus-Biografie. Der Theologieprofessor Klaus Berger macht sich lustig und rückt sie gar in die Nähe der Esoteriker.
Seewald: Ich schreibe, um es mit C.S. Lewis zu sagen, für Laien, weil ich selbst ein Laie bin. Und ich hoffe und glaube, dass ich mit meinen Büchern noch keinen einzigen Menschen von Glaube und Kirche weggeführt habe. Das Große liegt ja nicht unbedingt im Komplizierten und Verschraubten, sondern eher im Einfachen. Wer heute Erneuerung will, der braucht Vereinfachung und Öffnung. Die Arbeit der Theologen ist unverzichtbar. Abwegig aber wird es, wenn sie in Eitelkeit und Alleinvertretungsanspruch das Evangelium mit einem Vorhängeschloss versehen. Aufschrift: Unbefugten betreten verboten. Da lob ich mir meinen alten Stadtpfarrer. Jedes Mal, wenn er unter die Leute ging, und das tat er oft, verbeugte er sich vor einer Marienfigur in seinem Büro und nahm ihr im Geiste das Jesuskind ab, das sie auf dem Arm trug: Dich nehm ich jetzt mit zu den Menschen, sagte er dabei, das Wort Gottes.
Kath.Net: Wie erklären Sie sich die Heftigkeit des Angriffes?
Seewald: Ein Jesus-Buch für unsere Zeit muss sich gegen den Staub, die Müdigkeit und die Verfälschungen stellen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten angesammelt haben. Anders hat es keinen Wert. Na ja, solche Bücher provozieren dann nicht nur den Zeitgeist, sondern auch Experten, die die Angewohnheit haben, jeden vom Hof zu jagen oder zumindest streng zu belehren, der sich unerlaubt auf ihr Terrain gewagt hat. Unverkennbar gibt es heute in Teilen der Kirche ein Pharisäertum wie zur Zeit Jesu. Wie damals denken viele Schriftgelehrte, das Wort Gottes mag für andere gelten, als Exeget hingegen stehe ich ohnehin weit über der Schrift. Sie studieren ein Leben lang die Bibel, lassen sich aber im Grunde nicht davon berühren oder gar verwandeln. Nicht von ungefähr warnte der Papst unlängst die Professoren der kirchlichen Fakultäten davor, das Studium der göttlichen Geheimnisse könne zu einer sinnlosen intellektuellen Übung werden.
Kath.Net: Sie haben mit Benedikt XVI., als er noch Präfekt der Glaubenskongregation war, zwei Weltbestseller geschrieben. Hat der Papst Ihr neues Werk gelesen? Was sagt er dazu?
Seewald: Er hat sich persönlich bedankt und es kommentiert mit den Worten: Ein großes Buch über Jesus Christus.
Kath.Net: Was war Ihnen bei Ihrer Arbeit wichtig?
Seewald: Wir tun heute vielfach so, als hätte die Offenbarung Jesu für uns, den modernen Menschen, keine Bedeutung mehr. Als sei das etwas von gestern, und als würde der historische Jesus nicht auch der Jesus von heute sein, dessen Vorbild und Worte, Lehren und Mahnungen unverändert Gültigkeit haben. Dies zu verkennen ist das Drama unserer Zeit. Ich bin überzeugt, dass die Krise der Gesellschaft ihren Grund hat in einer Krise des Christentums und nicht umgekehrt. Wohin es gehen kann, wenn das Christentum versagt, wurde uns in den dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte vor Augen geführt. Der Krise des Christentums aber liegt die Missachtung Christi und seiner Vermächtnisse zugrunde. Um Gott zu schauen, muss man Christus kennen, sagt der Papst. Das heißt im Umkehrschluss doch dann auch, dass die Gottferne unserer Zeit mit der Ferne von Christus zu tun hat.
Kath.Net: Was heißt das in der Konsequenz?
Seewald: Das heißt, wir müssen wieder die Fenster öffnen, einen freien, unverbauten und unverkrampften Blick auf Christus gewinnen, und ihn nicht nur intellektuell, sondern auch emotional begreifen, ihn gerade auch in seiner ganzen transzendenten Offenbarungsgröße zu sehen lernen, die für jeden einzelnen und für alle zusammen von ungeheurer Relevanz ist. Es geht hier nicht um neue Entdeckungen und Enthüllungen. Niemand muss die Geschichte Jesu umschreiben oder gar neu schreiben. Aber wir müssen lernen, die Heilige Schrift wieder als Geheimnis zu betrachten, sie inspiriert und ganzheitlich zu lesen und sie vor allen Dingen ernst nehmen. Wer Christ sein will, muss Christus wieder beim Wort nehmen.
Kath.Net: Und das widerspiegelt sich in Ihrem Buch?
Seewald: Es war mit der größte Sieg der Gegner Christi, durchzusetzen, man könne das Leben Jesu nicht erzählen, weil die Quellen das nicht hergäben. Heute sind unsere Brunnen ausgetrocknet. Wir haben einen großen Teil des Grundwissens und der Grundwahrheiten verloren, mit denen das Christentum unsere Zivilisation gespeist hat. Aber wenn Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, dann ist das kein Poem, sondern ein Appell. Nämlich sich diesen Weg, diese Wahrheit und dieses Leben immer wieder zu vergegenwärtigen. Das Evangelium ist nicht von ungefähr als Reisegeschichte angelegt. Es bedarf des Unterwegsseins, des Mitgehens mit Jesus, um ihn kennen zu lernen. Dieses Mitgehen dauert. Das ist keine Fünf-Minuten-Terrine. Aber die Mühen werden sich lohnen. Es ist spannend, erfrischend, geistig anregend und seelisch heilend. Man steigt in ungekannte Höhen, und am Ende lässt sich von hier aus sehen, dass wir von jemanden sprechen, der immer war und immer ist; auf den wir zählen können aber auch, mit dem wir rechnen müssen.
Kath.Net: Sie sind den Spuren Jesu gefolgt, sind Menschen begegnet und haben neben den neuen Erkenntnissen der Wissenschaft auch das Wissen aus der Tradition eingebracht. Ist das nicht ein zu konservativer Ansatz?
Seewald: Ganz im Gegenteil. Darin liegt eine ungeheure Modernität und letztlich die einzige Möglichkeit, verlorenes Wissen und verlorene Erkenntnis wiederzufinden und lebendig zu machen. Wichtig war mir, auf dem Weg der Bibel zu bleiben und mit den Aposteln, den Vätern der Kirche und mit modernen spirituellen Meistern wie eben einen Joseph Ratzinger dieser Geschichte nachzugehen. Das beißt sich nicht mit einem kritischen Hinterfragen. Archäologen, Historiker, Papyrologen und Paläografen mussten bestätigen, dass die Mitteilung des Evangeliums echt und zutreffend ist, auch wenn viele das noch immer nicht wahrhaben wollen. Aber der springende Punkt ist: Erst wenn ich die Dinge nicht nur von außen betrachte, sondern mich in sie hineinbegebe, erfahre ich auch ihr Innerstes, ihr Geheimnis. Deshalb kommen so viele Exegeten und Kritiker ja auch auf keinen grünen Zweig. Um aus einer Verirrung herauszukommen, brauch es heute nicht zwei, drei, oder zehn Bücher über Jesus, wie etwa auch das Werk von Michael Hesemann, sondern fünfzig und hundert und mehr, die wieder neu schürfen und eröffnen können, weil sie von einem neuen Geist getragen sind. Das Jesus-Buch des Papstes fährt uns dabei voran wie das Schiff Christi. Weit wichtiger noch als Bücher sind freilich Menschen, die das Evangelium dann auch zu ihrem Projekt machen.
Kath.Net: Wie haben Sie angefangen?
Seewald: Ich war irgendwann, nachdem ich längst den Auftrag für dieses Buch bekommen hatte, auch persönlich an einem Punkt angelangt, an dem es plötzlich nicht mehr weiterging. Die Frage nach der Wahrheit Christi war zu einer Frage meines Lebens geworden, aber ich wollte mir darin so sicher sein wie es irgendwie ging. Der Ansatz war: Was können wir überhaupt von Jesus Christus wissen? Wie konnte in den vergangenen Jahrzehnten eine Verunsicherung um sich greifen, dass selbst Gläubige nicht mehr so recht wissen, ob sie dem Evangelium vertrauen sollen. Haben wir Jesus nicht auch allzu sehr unseren bürgerlichen Maßstäben angepasst? Man muss deutlich festhalten, Christentum beruht nicht auf Mythen, sondern auf den Fakt der Erscheinung Jesu; den Fakt, dass er eine Botschaft überbrachte; den Fakt, dass diese Botschaft eine ungeheure Wirkkraft entwickelt hat. Aber haben uns die so eng gewordenen Begriffe von Realität möglicherweise in einen Raum eingesperrt, den das Licht nicht mehr erreichen kann?
Und wenn wir dann, alles zusammengenommen, sagen können: Ja, Jesus ist wirklich das Wort Gottes, dann ist er in der Tat existentiell für uns alle. Wenn wir uns gegen dieses Wort verschließen, kann das logischerweise nicht ohne Folgen bleiben. Und wir sehen ja in dieser Epoche, wie eine ganze Gesellschaft zunehmend an Halt verliert, wie sie ihre Urteilsfähigkeit, ihre Wertmaßstäbe einbüßt und sich verliert in Beliebigkeit und Entfremdung. Wie letzten Endes auch immer weniger funktioniert und ganze Systeme zusammenkrachen. Der Zug fährt in rasender Geschwindigkeit direkt auf einen Abhang zu, in das gesellschaftliche Burnout. Die Menschen spüren das. Und sie spüren auch, das wir uns aus eigener Kraft eigentlich gar nicht mehr retten können.
Kath.Net: Was haben Sie gelernt?
Seewald: Wer seine Freiheit in Christus gefunden hat, wird sich immer wieder daran erinnern können, dass es mehr gibt als Erfolg, Arbeit, Ehrgeiz; mehr als nur die sichtbare Welt und mehr als nur dieses eine Leben. Er hat die Chance, die Kraft zu finden, sich nicht hinunterziehen zu lassen von falschen Gewichten, von dem vielen Unsinn und dem Müll, der uns belastet. Gerade Weihnachten gibt uns die Gelegenheit hierfür. Lassen wir uns nicht vereinnahmen durch das Billige und den heidnischen Klimbim, durch den ein heilige Fest kaputt gemacht werden soll. In der Einfachheit ist es ein Fest unendlicher Freude: Das Unfassbare war geschehen, und es geschieht eigentlich immer noch: Gott kommt durch einen gläubigen Menschen auf die Welt. Er kommt, um ein rettendes Angebot zu bringen, eine Botschaft von Liebe, Frieden und von ewigem Leben. Wir haben der Liebe geglaubt, konnten die ersten Christen in ihrer Freude sagen, und sie wurden bekanntlich nicht enttäuscht darin.
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Foto: (c) Paul Badde
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