1. Dezember 2009 in Interview
Kath.Net-Interview mit Bestseller-Autorin Christa Meves zum Amtsantritt der neuen Familienministerin Kristina Köhler, den Irrwegen deutscher Familienpolitik und den wirklichen Bedürfnissen der Kinder.
Uelzen (kath.net)
Zwei Generationen christlicher Eltern haben ihre Kinder nach den Ratgebern von Christa Meves erzogen. Die vielfach ausgezeichnete Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche hat bereits seit Jahrzehnten wesentliche Fehlentwicklungen der Familienpolitik vorhergesagt. Michael Ragg sprach exklusiv für Kath.net mit der Autorin, deren Vorträge gerade in den letzten Monaten besonders großes Interesse und Zustimmung des Publikums hervorrufen.
Kath.net: Die neue Familienministerin Kristina Köhler möchte die erste Frau sein, die Ehe, Kinder und Karriere unter einen Hut bringt, ohne dass irgendein Teil darunter leidet. Ist das ein realistisches Ziel?
Meves: Die Vorstellung der Vereinbarkeit von Ehe, Kindern und Karriere, ist ein 40-jähriger Wunschtraum der Feministinnen. Aber die vielen Langzeitbemühungen sind erschreckend negativ: Ein Boom seelischer Erkrankungen schon bei Kindern im Vorschulalter und einer geminderten Leistungsfähigkeit im Schulalter sind das Resultat. Allein die enorme Zunahme des Aufmerksamkeits-Defizit-Syndroms (ADHS) spricht eine traurige Sprache. Der Grundsatz auch für die moderne Frau muss heißen: Alles zu seiner Zeit! Zumindest in den ersten drei Lebensjahren, während der Konstituierung des Gehirns, ist die anwesende Mutter für das Kind unentbehrlich.
Kath.net: Sollte eine ledige und kinderlose Frau Familienministerin werden?
Meves: Auch eine ledige Frau könnte gewiss heilsame Maßnahmen als Familienministerin erwirken; denn dieser Sektor ist durch den Geburtenschwund und das Boomen der seelischen Erkrankungen, die später Frührentner produzieren, zu einem existenziellen Bereich geworden. Aber sie müsste sich in die Wissenschaften vom Kind, in Entwicklungspsychologie, Hirnforschung und Psychotherapie, intensiv einarbeiten, und sich nicht von Ideologen instrumentalisieren lassen.
Kath.net: Kristina Köhler zeigt sich von der Politik ihrer Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen begeistert. Ist sie da auf dem richtigen Weg?
Meves: Ursula von der Leyen's Familienpolitik hat sich beim Hauptproblem, dem Kinderschwund, als erfolglos erwiesen. Der von ihr prognostizierte Kinderboom durch Ausweitung der Kinderbetreuung ist ausgeblieben.
Kath.net: Ganz auf der Linie Ihrer Amtsvorgängerin will sich Frau Köhler zunächst dem Ausbau der Kinderbetreuung widmen. Ist es das, was die Familien am dringendsten brauchen?
Meves: Die Fremdbetreuung von Kindern entspricht nicht den zentralen Sorgen, die den Familien heute auf den Nägeln brennen. Im Zeitalter der Familienplanung ist ein Großteil der Kinder ohnehin als Wunschkind auf die Welt gekommen. Diese Eltern haben ein großes Interesse daran, ihre Kinder vorrangig bestmöglich selbst zu erziehen. Sie fürchten aber neuerdings zurecht, dass der Staat schon im Bezug auf den häuslichen Umgang mit den Babys und den Kleinkindern eingreift. Diese Eltern - quer durch alle Schichten - bejahen ihre Kinder und haben große Liebe für sie. Sie sind auch bereit, für sie erhebliche Opfer zu bringen.
Viele Eltern haben sich auch darüber orientiert, dass diese ihre Vorstellung neuen wissenschaftlichen Ergebnissen, besonders in der Hirn- und Hormonforschung, voll entspricht. Gebildet wird nur ein Mensch, der in seiner ersten Lebenszeit, während der Konstituierung seines Gehirns, in sehr persönlichem Kontakt zu seinen nahen Angehörigen steht; ein Mensch also, der die Zeitfenster für Konzentrations- und Bindungsfähigkeit, vor allem bei seiner Mutter hat erleben können. Lebenslängliche Beeinträchtigungen und geminderte Leistungsfähigkeit schon im Schulalter können sich durch häufige frühe Trennungen von der Familie einschleifen. Das beweist international eine Fülle von Studien.
Kath.net: Dem Betreuungsgeld für Eltern, die keine Kinderkrippe in Anspruch nehmen wollen, steht Kristina Köhler skeptisch gegenüber und möchte stattdessen allenfalls Gutscheine ausgeben, aber kein Bargeld an Familien zahlen. Nach Ihrer Ansicht scheint dieses grundsätzliche Misstrauen gegenüber Familien nicht berechtigt zu sein ...
Meves: Die dahinter stehende Vorstellung, dass Familien ein Betreuungsgeld des Staates für sich selbst verbrauchen würden, trifft in den meisten Fällen nicht zu. Familien brauchen keine Gutscheine. Was sie hingegen quält, ist die Frage, ob sie sich im Zeitalter der Teuerung eine lange Karenzzeit für die Kindererziehung finanziell leisten können. Sie wollen doch die Zukunft ihrer Kinder, die durch den Geburtenschwund infrage gestellt ist; aber sie fürchten, sich keinen Nachwuchs mehr leisten zu können. Sie brauchen finanzielle Unterstützung durch den Staat. Um die geringe Zahl erziehungsunfähiger Eltern hat unser Sozialstaat sich immer gekümmert und muss das selbstverständlich auch weiterhin tun.
Kath.net: Im Gespräch mit der FAZ kündigte Christina Köhler an, sie wolle sich um junge Väter kümmern und dafür sorgen, "dass sie ein anderes Verständnis für ihre Rolle in der Familie bekommen". Sind junge Väter immer noch nicht genug für ihre Familien da?
Meves: Bereits jetzt stelle ich das neue, intensive Bemühen vieler Väter fest, sich für die Familie auch unmittelbar zuhause einzusetzen. Kinder sind aber nun einmal in ihrer ersten Lebenszeit vor allem auf die anwesende Mutter angewiesen, um grundlegende Bildungsvoraussetzungen zu erwerben. Die Politik sollte also die grundsätzliche Ausrichtung der Väter auf die Arbeitswelt nicht zu sehr infrage stellen. Auch der finanzielle Bestand der Familie muss ja gesichert werden.
Kath.net: Für die neue Familienministerin besteht Familie immer dann, wenn in Partnerschaften oder zwischen Kindern und Eltern gegenseitig Verantwortung füreinander übernommen wird. Von Ehe spricht sie nicht. Inwieweit entspricht das noch einem christlichen Familienbild?
Meves: Die Vorstellung, dass Familie allein durch die Verantwortung für die Kinder definiert wird, weicht den eigentlichen Familienbegriff auf. Leibliche Eltern werden sogar hormonell auf Elternschaft hin geradezu programmiert! Das lässt sich nicht ohne Minderung der Qualität willkürlich abändern. Die christliche Vorstellung, dass Kinder am besten gedeihen, die durch ihre Kindheit hindurch in eine sorgsam bemühte Familie mit leiblichen Eltern eingebettet sind, entspricht international den vielfältigen Studien und Erfahrungen auf diesem Sektor.
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