Jedes Detail in der Weihnachtsgeschichte ist von tiefer Symbolik

23. Dezember 2009 in Interview


Interview mit Christa Meves zur Weihnachtsgeschichte


München (kath.net/Zenit) Christa Meves gehört mit mehr als fünf Millionen verkauften Büchern zu den meistgelesenen christlichen Autoren im deutschen Sprachraum. Mit ihren Büchern und Tausenden von Vorträgen, vor allem zu Fragen der Kindesentwicklung und -erziehung, hat sie zwei Generationen christlicher Familien geprägt. Die langjährige Mitherausgeberin des Rheinischen Merkurs und Synodalin der EKD konvertierte 1987 zum katholischen Glauben. Mit ihrem Verein "Verantwortung für die Familie" , bei dem man kostenlos Mitglied werden kann, unterstützt sie Familien bei der Erziehungsarbeit.

Für ZENIT sprach Michael Ragg, katholischer Radio- und Fernsehmoderator und Geschäftsführer der Domspatz-Agentur für Öffentlichkeitsarbeit, mit Christa Meves über die überzeitlichen Wahrheiten der Weihnachtsgeschichte, ihre Symbole und die Verantwortung der Hirten sowie das Vorbild der Heiligen Familie für die Menschen von heute.

ZENIT: Die Weihnachtsgeschichte gilt heute vielen als frommes Märchen. Zu Recht?

Christa Meves: Die Weihnachtsgeschichte symbolisiert eine übermächtige zeitlose Wahrheit. Das ist schon daran erkennbar, dass es selbst Atheisten nicht gelingt, davon nicht angerührt zu werden. Weihnachten schlägt durch! Nicht einmal die finstersten Diktatoren konnten es verbieten, selbst in Kriegen brachte dieses Fest oft wenigstens für kurze Zeit die Waffen zum Schweigen.

ZENIT: Wenn Gott kommt, sollte eigentlich die Welt erzittern. Stattdessen bieten uns die Christen allen Ernstes ein hilfloses Kind als Erlöser an. Kann die Tiefenpsychologin darin einen Sinn erkennen?

Christa Meves: Die Gestalt des Kindes am Beginn der Erlösungsgeschichte kennzeichnet, dass der Gott der Christen auf gar keinen Fall ein Beherrschender sein will. Er zeigt sich den Menschen als ein Gott, der unvoreingenommen liebt und sich dadurch so unmittelbar an die Menschen ausliefert wie ein neugeborenes Kind. Er zeigt sich den Menschen dieser Welt dadurch in rückhaltloser Nacktheit und Offenheit.

ZENIT: Maria und Josef legten Jesus, so berichtet der Evangelist Lukas, in eine Futterkrippe. Kann man darin mehr sehen, als dass es das Baby eben warm haben sollte?

Christa Meves: Jedes Detail in der Weihnachtsgeschichte ist von tiefer, überzeitlicher Symbolik. Im letzten Abendmahl von Jesus Christus mit seinen Jüngern wird deutlich, dass Christus eine Nähe zu jedem Einzelnen der Gläubigen sucht, die so unmittelbar ist, wie unsere Nahrungsaufnahme. Wie die Tiere in der Futterkrippe Nahrung zum Überwintern finden, so will Christus für uns das Brot des Lebens sein.

Ein besonders eindrückliches Detail: Die Krippe besteht aus je zwei zusammengenagelten Holzbalken. Die Krippe des Jesuskindes ist Ausdruck dafür, dass die Befriedung des Menschen von geistigem Hunger und Leid ihre Voraussetzung im Kreuz hat, ja, in das Kreuz geradezu eingebettet ist: Aus dem Opfertod Gottes gebiert sich jene geistliche Nahrung, die zum ewigen Leben des Gläubigen führt.

ZENIT: Von Ochs und Esel ist in der Weihnachtsgeschichte nicht die Rede. Passen sie dennoch ins Bild?

Christa Meves: In Ochs und Esel ist ein Stück von uns Menschen verkörpert. Heute hat uns die Wissenschaft gelehrt, dass der Mensch zu 98 Prozent tierhaft ist, dass er wie die Tiere den Naturgesetzen unterworfen und in vielem Verhalten den Säugetieren höchst ähnlich ist.

Dass in Bethlehems Stall zwei domestizierte Zugtiere anwesend sind, spiegelt unsere grundsätzliche Situation als Mensch wider: Die Fron des „Arbeitstieres" Mensch zwischen Dornen und Disteln, seine unumgängliche Gebeugtheit zwecks mühseliger Erwerbstätigkeit ist in diesen beiden Lasttieren ausgedrückt.

Aber die Nähe zum Mensch-gewordenen Gott löst sogar die Demütigung der traurigen Versklavtheit des Malochen-Müssens auf: Wenn warme Nähe das göttliche Kind umgibt, mag sie auch noch so „tierisch" sein, so bedeutet das erhabener Lebenssinn und lässt sogar das Tier in uns ruhig werden. So lassen sich diese Tiersymbolen deuten.

ZENIT: Ausdrücklich erwähnt wird eine andere Spezies der Stalltiere, die von Hirten gehüteten Schafe. Die Bibel braucht sie ja öfters als Symbol für den Menschen und manche machen sich über treue Kirchenmitglieder als „Schäfchen" lustig. Geht uns emanzipierten Menschen dieses Bild nicht gegen den Strich?

Christa Meves: Selbst Christus hat in mehreren Gleichnissen das Schaf als Symbol für den Menschen gesehen. Und wie wahr ist das! Wie bei den Rudeltieren, entspricht vieles am Verhalten von uns Menschen einer Schafsnatur, das heißt: Wir haben ein starkes Bedürfnis, uns an die anderen anzupassen, gewissermaßen mit ihnen auf dem gleichen Ton zu blöken. Das Mitlaufen mit den vielen, mit der Masse, bietet uns unbewusst Schutz vor Ausgestoßensein und Isolation.

So auch in der Weihnachtsgeschichte. Die Herdennatur von uns Menschen ist deshalb des Hirten bedürftig, der die Richtung vorgibt. Das Wort Pastor heißt ja sogar übersetzt „der Hirte". Im Gegensatz zum Massenmenschen und dessen Schafsnatur, hat der Hirt kraft seiner ausgereiften hellhörigen Individualität eine Führungsaufgabe: Er steht in der Verantwortung, seine „Herde" auf den Weg zu Christus zu bringen.

ZENIT: Jesus wurde mitten in der Nacht geboren. Wäre die Morgendämmerung nicht ein positiveres Bild gewesen?

Christa Meves: Bedeutsame Vorgänge kommen besonders eindringlich durch höchstmögliche Gegensätze zur Wirkung. Christus ist das Licht, wie er selbst von sich gesagt hat. Das heißt, er erwirkt eine geistige Erhellung, über die hinaus es keine Steigerung gibt. Diese Gegebenheit kann sich nur in einer entsprechend mächtigen Antipode ausdrücken: eben als schwärzeste Nacht: im Hinblick auf den Tag also als Mitternacht, im Hinblick auf die Jahreszeit als Ereignis im dunkelsten Monat.

Gleichzeitig ist so aber auch der erbärmlichste, der schwärzeste Zustand der Gesellschaft ausgedrückt, und das meint den sündhaften Zustand der israelischen Gesellschaft zu Herodes Zeiten ebenso wie jeden nächtigen Zustand der Gottesferne, in welcher Zeit auch immer. Für uns heute gilt diese durchschlagende Wahrheit ganz gewiss ebenfalls.


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