25. Jänner 2010 in Weltkirche
Ganz Äthiopien glaubt fest daran, dass die Gesetzestafeln des Moses mit den Zehn Geboten Gottes in Axum liegen. Eine Reise zum Urtext der jüdischchristlichen Welt - Von Guido Horst / Vatican-Magazin
Rom (kath.net/vatican magazin)
Die Sonne ging schon unter, als wir im Schatten der heiligen Kapelle dem Wächter begegneten. Nur ein Eisengitter trennte uns, durch das uns der gelb gekleidete Mönch bequem sein Kreuz zum Kuss reichen konnte. Jedem fuhr er vorher an den Hals, um mit seinen Fingern das Kreuz zu ertasten, mir sogar unter den oberen Saum des TShirts aber ich trage keins. Wer kein Kreuz trägt, ist doch kein Christ, meinte er misstrauisch zu unserem Übersetzer und hielt mir sein Handkreuz eher widerwillig hin. Sollte ich ihm jetzt erklären, dass das Kreuz in Europa zum Modeschmuck verkommen ist und es zwar die Mädchen in der Disko, in der Regel aber nicht die gläubigen Christen tragen? Wir hatten eigentlich ganz andere Fragen.
Da stand ich nun im heiligen Kirchenbezirk in der alten Königsstadt Axum vor dem Mann, dessen Selbstverständnis und Lebensinhalt nur noch darauf ausgerichtet ist, bis zum Ende seiner Tage die Bundes lade des Alten Testaments zu bewachen. Erst wenn er tot ist, wird man den Mönch aus dem kleinen Areal, das von hohen Eisengittern geschützt aus der Kapelle sowie einem Vorplatz, einer Terrasse und einem kleinen Hof besteht, zu seiner letzten Ruhestätte tragen.
Der englische Reiseschriftsteller Graham Hancock, der über den Weg der Lade mit den Zehn Geboten Gottes von Jerusalem nach Äthiopien das aufschlussreiche Buch Die Wächter des heiligen Siegels geschrieben hat (zuletzt Marix Verlag, Wiesbaden 2004), war früher schon mit zwei Mönchen zusammengetroffen, die diesen Dienst versehen. Es müssen Vorgänger unseres Wächters gewesen sein. Der erste, es war im Jahr 1983, hatte Hancock erzählt, es sei seine Aufgabe, die Bundeslade in dicke Tücher zu schlagen. Warum verbergen Sie Lade?, hatte der Engländer gefragt. Um die Menschen vor ihr zu schützen. Die Lade ist mächtig, antwortete der Mönch. Der zweite Wächter, dem Hancock am 17. Januar 1991 begegnete, hieß Gebra Mikail und war wenig gesprächig. Die Lade, so sein fast einziger Satz, vollbringt Wunder. Und sie ist selbst ein Wunder. Sie ist ein Wunder, das Wirklichkeit geworden ist. Mehr sage ich nicht.
Unser Wächter des Jahres 2008 heißt Abba Tekulu und hat die längsten Schneidezähne, die ich je bei einem Menschen gesehen habe. ob ich ihn fotografieren dürfe, frage ich ihn. nein, sagt er schnell und schaut mich wieder sehr misstrauisch an. Hätte ich doch ein Kreuz um den Hals gehabt! Also schleiche ich mich zwanzig Meter nach hinten und mache von einer Terrasse Fotos aus sicherer Entfernung. Der Wächter, meine Mitreisenden, ein Diener des Wächters, unser Führer und eine junge Äthiopierin im Stuhl. Im Hintergrund die heilige Kapelle, im osmanischen Stil erbaut, auf die das Licht der untergehenden Sonne scheint. Immer wieder drücke ich auf den Auslöser. Das also soll der ort sein, wo in einer Truhe die beiden Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten ruhen, die Gott dem Moses auf dem Berg Sinai gab?
Für sie machte Bezalel, heißt es im Buch Exodus, die Lade aus Akazienholz, zweieinhalb Ellen lang, anderthalb Ellen hoch. Er überzog sie innen und außen mit purem Gold und brachte daran ringsherum eine Goldleiste an. Es goss für sie vier Goldringe und befestigte sie an ihren vier Füßen, zwei Ringe an der einen Seite und zwei Ringe an der anderen Seite. Er fertigte Stangen aus Akazienholz an und überzog sie mit Gold. Er steckte die Stangen durch die Ringe an den Seiten der Lade, so dass man damit die Lade tragen konnte.
Verschollen sei die Bundeslade mit den Gesetzestafeln des Moses, dem Urdokument des Judentums. Das glauben viele. Doch nicht nur der Wächter ist vollkommen sicher, dass die Lade in dieser heiligen Kapelle steht. Es ist der feste Glaube von achtzig Millionen Äthiopiern. Es liegt kein Schimmern in der Luft, von der Kapelle gehen keine Strahlen aus. Wir sind am Ende unserer Reise durch das Hochland im norden Äthiopiens, in der Provinz Tigray angelangt und stehen hier, im heiligen Kirchengebiet von Axum, vielleicht vor dem größten Rätsel, auf dessen Enthüllung die Welt noch zu warten hat.
Begonnen hatte alles bei einem Treffen mit Prinz AsfaWossen Asserate. Im August vergangenen Jahres saßen wir in Frankfurt zusammen, weil der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie I. und Sohn des ermordeten Vizekönigs AsrateMaryam Kasa kurz zuvor ein leidenschaftliches Plädoyer für die Christen seiner Heimat veröffentlicht hatte, für den Sieg des Löwen von Juda, für den in Äthiopien tief verwurzelten Glauben, dass die Bundeslade des Alten Testaments in Axum steht. Unser Gespräch im Frankfurter Hof kam nicht so richtig in Gang vielleicht aus meinem republikanischen Respekt heraus vor einem leibhaftigen Mitglied des äthiopischen Herrscherhauses, den die Revolution unter Mengistu in Deutschland festgesetzt und dort zum erfolgreichen Buchautor gemacht hat.
Jedenfalls hat er mir zwei Dinge mit auf den Rückweg nach Rom gegeben: Lesen Sie das Buch von Graham Hancock über die Bundeslade. Und fahren Sie selbst nach Äthiopien. Mit Raimund Stehmann, dessen Vater Lehrer an der Deutschen Schule in Addis Abeba war. Auch Asserate ließ nicht den geringsten Zweifel daran zu, dass die Bundeslade in Axum ist. Und so meldete ich mich noch schnell bei Raimund Stehmann für eine der nächsten Reisen nach Äthiopien an, die der Studiendirektor im Eifelstädtchen Niederprüm regelmäßig mit Freunden und Bekannten nach Äthiopien unternimmt. Aber der Vorsatz, das Buch von Graham Hancock zu lesen, ging schon bald unter im Trubel des römischen Lebens.
Äthiopien ist ein geheimnisvolles Land, von vielen Legenden umgeben. Im Altertum entwickelte sich um die Königsstadt Axum in norden des Landes eine Hochkultur. Das Kebra nagast, eine alte Chronik, die in einer Handschrift aus dem drei zehnten Jahrhundert enthalten ist, erzählt den Gründungsmythos des äthiopischen Herrscherhauses. Zur Zeit Salomons des Weisen sei die axumitische Königin Saba nach Jerusalem gereist, habe eine Nacht mit dem König der Juden verbracht und, wieder zurück in Äthiopien, den Sohn Menelik zur Welt gebracht. Als junger Mann habe dieser seinen Vater Salomon in Jerusalem besucht. Auf dem Rückweg hätten ihn die erstgeborenen Söhne der Jerusalemer Ältesten begleitet und die Bundeslade mitgeführt, die sie aus dem Tempel entwendet hatten. Kaum habe Menelik den Raub entdeckt, sei er sofort überzeugt gewesen, dass dies eine göttliche Vorsehung sei. Denn die Bundeslade lasse nur das mit sich geschehen, was Gott auch zulassen wolle. Soweit die Chronik über den Weg der Bundeslade nach Äthiopien und über den Stolz des Königshauses, die eigene Abstammung bis auf König Salomon zurückzuführen.
Das Judentum jedenfalls hat in Äthiopien kräftige Spuren hinterlassen. Das zeigt schon der Blick auf die Menschen. Vor allem die Amharen am TanaSee sehen oft aus wie braune Juden. Als sich im vierten Jahr hundert von Axum aus das Christentum im Land auszubreiten begann, übernahm es viele jüdische Elemente, die das Leben der orthodoxen Kirche noch heute prägen. Am achten Tag werden die Jungen beschnitten, der Samstag ist ähnlich wie der Sabbat neben dem Sonntag ein Feiertag. Man isst kein Schweinefleisch und achtet an den zahlreichen Fastentagen Speisevorschriften des Alten Testaments. Die Christen Äthiopiens sind zu einem guten Teil Judenchristen, sie kamen nicht wie sonst die Christen überall auf der Welt aus dem Heidentum.
Und es sind Christen, die in jeder der 37.000 Kirchen des Landes den Tabot verehren, eine Nachbildung der Bundeslade mit den beiden Gesetzestafeln. Bei der Errichtung eines Gotteshauses weiht der Bischof nicht die Kirche, sondern den Tabot, der im Maqdas, dem Allerheiligsten, vor den Blicken der Gläubigen verborgen wird. In den Rundkirchen stellt das Allerheiligste den innersten Raum dar, den nur die Priester betreten dürfen. Bei Prozessionen werden die Tabots in Brokattüchern verborgen, die Priester tragen sie unter bunten Sonnenschirmen auf dem Kopf. ohne die Verehrung der Bundeslade, die sich mit den vielen Nachbildungen in allen Kirchen über das ganze Land verteilt, wäre das äthiopische Christentum gar nicht zu verstehen.
Jetzt stehen wir in Axum vor dem Urbild der Tabot. nur eine Wand trennt uns von dem Schrein, in dem die Äthiopier die jüdische Bundeslade verehren. nach dem abendlichen Gespräch mit Abba Tekulu, dem Wächter, empfängt uns am nächsten Morgen Nebruid Yohannes, in Axum eine sehr hoch gestellte Persönlichkeit. Der Nebruid hat den weltlichen Rang eines Fürsten, jedoch nicht über eine Provinz, sondern über die Stadt. Der Tradition folgend ist der Nebruid immer ein Geistlicher im Rang eines Erzbischofs, auch wenn die Provinz Tigray nochmals einen eigenen Erzbischof ebenfalls mit Sitz in Axum hat.
Im Vorzimmer schreibt eine Sekretärin auf einer elektrischen OlympiaSchreibmaschine, so wie ich sie hatte, als ich vor über zwanzig Jahren als Redakteur begann. In seinem schlichten Büro fragen wir den Nebruid, warum man die Menschen vor der Bundeslade schützen muss. Es gibt keine Zweifel an der Kraft der Lade, meint Yohannes. Schon die Bibel berichtet über die mächtige Kraft, die von ihr ausgeht und die Feinde Israels vernichtet hat. Die Juden waren das auserwählte Volk Gottes. ob diese Auserwählung, so wollen wir von ihm wissen, mit der Bundeslade jetzt auf das Volk der Äthiopier übergangen sei? Gott gab die Lade dem äthiopischen Volk, weil er es dafür bestimmt hat. nun ist Äthiopien auserwählt, die Bundeslade zu besitzen, erklärt der Nebruid mit aller Selbstverständlichkeit, und insbesondere die Stadt Axum, weil die Lade ihr gegeben wurde.
Dass die Legende von Menelik, der die Bundeslade nach Äthiopien brachte, einen historischen Kern haben könnte, hat Graham Hancock dargestellt. Raimund Stehmann hatte das Buch im Reisegepäck, in rüttelnden Kleinbussen auf Schotterstraßen und während der Flüge zwischen Lalibela, Gondar und Axum hatte ich es inzwischen gelesen.
Auf den fünfhundert Seiten neigt Hancock auch zu Spekulationen. Aber ob Wolfram von Eschenbach mit dem Gral in seinem Parzival in Wirklichkeit die Bundeslade meint oder ob die Tempelritter in Äthiopien waren, weil sie in Jerusalem von dem heiligen Schatz erfahren hatten, und in Lalibela am Bau der Felsenkirchen mit wirkten, ist zweitrangig. Auch wenn der Autor davon ausgeht, dass Moses die Bundeslade wie eine Maschine gebaut hat und dabei über Geheimwissen aus dem untergegangenen Atlantis verfügte, klingt das ziemlich zusammen gereimt. Jedoch ist es Hancock gelungen, eine schlüssige Chronologie und Reiseroute vorzulegen, die die Zehn Gebote von Jerusalem nach Axum geführt haben soll.
Für die Zeit ab dem siebten Jahrhundert vor Christus wird die Bundeslade in den Schriften des Alten Testamentes nicht mehr erwähnt. Es ist die Zeit, als König Manasse den schrecklichen Frevel beging, im Allerheiligsten des Tempels von Jerusalem ein riesiges Bild der heidnischen Fruchtbarkeitsgöttin Aschera aufzustellen. Damals, so vermutet Hancock, hätten die Priester die Bundeslade an einen sicheren ort geschafft, um sie vor der Verunehrung zu schützen.
Ebenfalls im siebten Jahrhundert vor Christus errichteten Priester auf der Insel Elephantine im Oberlauf des Nils auf der Höhe von Assuan einen zweiten jüdischen Tempel. Ein solches Gotteshaus hatten die Juden bis dahin aber nur gebaut, um die Bundeslade aufzubewahren. Sollte der Tempel auf Elephantine den gleichen Zweck erfüllt haben? Die Archäologen, mit denen Hancock am ort der Ausgrabung dieses Heiligtums sprach, bestätigten ihm nicht nur, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit jüdische Priester, die vor König Manasse geflohen waren, den Tempel um 650 vor Christus errichtet hatten, sondern auch, dass er im Zuge heftiger Auseinandersetzungen der Ägypter mit den jüdischen Einwanderern zweihundert Jahre später, im fünften Jahrhundert vor Christus, wieder zerstört worden sei.
Genau zu dieser Zeit, so behaupten die orthodoxen Mönche auf Tana Kirkos im TanaSee, sei die Bundeslade auf ihre Insel gekommen, wo sie achthundert Jahre blieb. Von Assuan aus führen der Nil und dann der Blaue Nil bis zum TanaSee in Äthiopien. War das der Weg, den die Lade auf ihrer zweiten Flucht genommen hat? nicht unter Menelik, sondern unter Kaiser Ezana (ca. 325355), als sich das Christentum in Äthiopien auszubreiten begann, ist die Lade Hancock zufolge schließlich in die Königsstadt Axum gebracht worden, wo sie in einer großen christlichen Basilika ihren Platz fand. Später nahm die unter König Fasilidas (16321667) errichtete Kathedrale die Bundeslade auf. Kaiser Haile Selassie ließ 1965 ein weiteres großes Gotteshaus in dem Kirchenbezirk errichten, sowie zwischen der alten und der neuen Kathedrale jene heilige Kapelle, in der unser Wächter Abba Tekulu nun Tag für Tag Weihrauch vor der in Tücher geschlagenen Bundeslade aufsteigen lässt.
Äthiopien glaubt an seine Lade. Aber warum hält man den Schatz fast geheim? Wer weiß schon, dass sich die Bundeslade mit den Zehn Geboten heute im Osten Afrikas befinden soll, wo einmal die Wiege der Menschheit war. Wir fragen den IkonenMaler Haile Mariam Zerue, der uns als Übersetzer zum Nebruid Yohannes begleitet hatte. ohne jeden Zweifel sei die Bundeslade hier in Axum. No doubt, no doubt, ruft er entschieden aus. Aber die Lade schaffe auch Probleme, fügt Haile Mariam nachdenklich an. Was würde geschehen, wenn die orthodoxen Juden wieder Anspruch auf die göttliche Reliquie erheben würden? Wer von neuem begreift, dass die Zehn Gebote Gottes, die Moses seinem Volk übergab, zum Urtext der jüdischchristlichen Welt geworden sind, zu einem göttlichen Gründungsdokument, kommt heute an Äthiopien nicht vorbei.
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