'Martyrium des Schweigens'

27. Jänner 2010 in Buchtipp


Die Kleinschrift "Das Schweigen Pius XII" von Markus Schmitt dient als Argumentationshilfe jenen, denen die Zeit zur Lektüre dickerer Wälzer fehlt - Eine Rezension von Monika Metternich


München (kath.net)
Die öffentlichen und privaten Debatten über das Seligsprechungsverfahren Pius XII. stellen viele Katholiken vor ein Problem: Gern würden sie substantiell den generalisierten Vorwürfen entgegentreten, Papst Pius XII. habe es vorgezogen, zur Judenvernichtung in Deutschland zu schweigen und damit schwere moralische Schuld auf sich und die ganze katholische Kirche geladen. Das Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth bestimmt aber nach wie vor weitgehend das Bild von Pius XII., auch wenn hervorragende Veröffentlichungen wie die von Michael Hesemann („Der Papst, der Hitler trotzte“) dieses nachhaltig entzerrt haben.
Die 2008 im Benedetto-Verlag erschienene kleine Schrift von Markus Schmitt „Das ‚Schweigen‘ Pius’ XII. zur Judenverfolgung im Spiegel von Selbstzeugnissen und Äußerungen seiner Mitarbeiter und Vertrauten“ könnte all jenen als Argumentationshilfe dienen, denen die Zeit zur Lektüre dickerer Wälzer fehlt. Das kompakte, nur 76 Seiten starke Buch ist – trotz des etwas sperrigen Titels – eine hervorragende, wissenschaftlich fundierte sowie stark quellenbelegte Darstellung des Gewissensdilemmas Pius’ XII.: „Vielleicht hätte mir ein feierlicher Protest das Lob der zivilisierten Welt eingetragen, aber er hätte den armen Juden eine noch unerbittlichere Verfolgung gebracht als die, die sie jetzt zu leiden haben“, zitiert der junge Autor eine Bemerkung Pius’ XII. gegenüber Pater Robert Leiber SJ, seinem Privatsekretär.

Bis Hochhuth seinen „Stellvertreter“ erdichtete, zollten viele jüdische Stimmen Pius XII. tiefen Respekt. Schmitt zitiert unter vielen anderen Elio Toaff, den Großrabbiner der jüdischen Gemeinde Roms, der 1951 „die Güte und Edelmütigkeit des Papstes während der Jahre der Verfolgung und des Schreckens […] in einer Zeit, da es schien, dass für uns keine andere Hoffnung mehr bestand“ hervorhob.

Markus Schmitt zeigt detailliert das eindrucksvolle Hilfswerk Pius’ XII für jüdische Verfolgte auf, dem er sein gesamtes privates Vermögen zur Verfügung stellte. Aber was war mit seinem Schweigen? 1941 stellte die New York Times anlässlich der Weihnachtsbotschaft Pius’ XII. fest: „Die Stimme von Pius XII. ist eine einsame Stimme im Schweigen und in der Dunkelheit (…) Er ist so ziemlich der einzige Regierende auf dem europäischen Kontinent, der es überhaupt wagt, seine Stimme zu erheben.“

Die Nationalsozialisten erzürnte sein Protest gegen ihre Rassenpolitik: „Der Papst sagt, dass Gott alle Völker und Rassen gleichwertig ansieht. Hier spricht er deutlich zugunsten der Juden“, heißt es empört im zitierten Bericht des NS-Sicherheitsdienstes.

Markus Schmitt entwickelt in gut lesbarer, spannender Qualität und mit weitgehend unbekannten Quellen unterlegt (es lohnt sich, jede einzelne Fußnote zu lesen!) die unterschiedlichen Stellungnahmen und Proteste Pius’ XII. zugunsten der Juden – aber auch deren Grenzen. Konnte Pius XII. zunächst noch erfolgreich in Ungarn gegen die Deportation der Juden intervenieren, so wird durch die Offenlegung diplomatischer und innerkirchlicher Korrespondenzen deutlich, dass der Papst bald zwischen Scylla und Charybdis agieren musste: „Für den Stellvertreter Christi wird der Pfad, den er gehen muss, um zwischen den sich widerstrebenden Forderungen seines Hirtenamtes den richtigen Ausgleich zu finden, immer verschlungener und dornenvoller“, zitiert Schmitt aus einem Schreiben Pius’ XII. an Bischof Preysing. Welchen Effekt offene Worte hatten, wie sie aus bequemer heutiger Perspektive als einzig angemessen betrachtet werden – dafür gab es ein entsetzliches Beispiel: Die holländischen Bischöfe hatten 1942 ein mutiges Protestschreiben gegen die Judendeportationen in Holland in einem Hirtenbrief veröffentlicht.

Der furchtbare Effekt dieses hörbaren Protestes: Alle Katholiken jüdischer Abstammung – damaligen Zeitungsberichten zufolge 40.000 – wurden unmittelbar verhaftet und deportiert, „als Gegenmaßnahme gegen den Hirtenbrief vom 26. Juli [1942]“, wie Reichskommissar Seyß-Inquart bemerkte. Das bekannteste Opfer dieser Aktion war Edith Stein.

Sachlich, fundiert und jenseits aller Polemik zeigt Markus Schmitt das qualvolle Dilemma Pius’ XII. auf. Der Vorwurf an ihn, seine Stimme nicht lauter erhoben zu haben gegen die Gräuel der Nationalsozialisten, findet eine dramatische Antwort: Pius XII. blieb bei seinem innigen Bestreben, möglichst vielen Juden das Leben zu retten, letztlich ein „Martyrium des Schweigens“, so die Konklusion Markus Schmitts. Eine wirklich empfehlenswerte, ausgezeichnet recherchierte und geschriebene Darstellung, die jedem Interessierten zur Lektüre empfohlen sei und der man weite Verbreitung wünscht.

Markus Schmitt: Das ‚Schweigen’ Pius’ XII. zur Judenverfolgung im Spiegel von Selbstzeugnissen und Äußerungen seiner Mitarbeiter und Vertrauten. Benedetto-Verlag 2008, ISBN 978-3-9523314-7-7 € 7,70

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