27. April 2010 in Aktuelles
Eine Fachtagung in Wien sieht Gefahr im Ansteigen von "Internet-Sexsucht" - Von Marie Czernin.
Wien (kath.net)
Was würde Sigmund Freud heute sagen, wenn wir ihn wieder zum Leben erwecken und ihn vor einem Computer mit Internet setzen könnten? Er würde eine Milliarde Webseiten zum Thema Sex finden, darunter allein 90 Millionen mit Hard Core Sex. Mit diesem durchaus phantasievollen Gedanken ging die bekannte Sexualtherapeutin und Krone-Kolumnistin Gerti Senger bei der Fachtagung zum Thema www.internetSEXsucht.at in Wien gleich in medias res. Damals, als Freud hier im Billrothhaus vor der Gesellschaft der Ärzte seine Studie über die Hysterie des Mannes vorstellte, konnte er gar nicht ahnen, was er damit für eine Büchse öffnete und was noch alles auf uns zukommen sollte. Seit der Erfindung des Computers und des Internets hat das Geschäft mit dem Sex einen neuen Absatzmarkt entdeckt, der nicht nur in besorgniserregend rasanter Weise gewachsen ist, sondern auch Psychiater und Psychotherapeuten mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert. Einer Studie zufolge seien es in Österreich allein 40.000 bis 50.000 Menschen, die einem suchthaften Gebrauch von Pornografie unterliegen. Dabei sei der Prozentanteil bei Männern um vieles höher als derjenige der Frauen.
Auch wenn die Referenten zu unterschiedlichen Lösungsansätzen mit dem Umgang dieses relativ neuen Phänomens tendierten, so waren sich doch alle soweit einig, dass der sogenannte Cyber-Sex nicht verharmlost werden dürfe. Während Senger im bekannten Krone-Jargon meinte, ein wenig Porno sei okay, so lange es eine (sexuelle) Beziehung dadurch am Leben hält, problematisch sei nur der exzessive Gebrauch davon, betrachteten die anderen Referenten den Bereich dieser Grauzone schon als höchst problematisch. Man stelle bereits vielerorts ein neues Suchtverhalten fest, doch ob man bereits per Definition von einer Internet Sexsucht sprechen könne, darin scheiden sich noch immer die Geister.
Seit langem wird darüber diskutiert, ob es sich tatsächlich um eine Sucht handelt, erläuterte der Rektor der Sigmund Freud Privatuniversität, Alfred Pritz, in seinen einleitenden Begrüßungsworten die derzeitige Situation der Wissenschaft. Er beschrieb dabei die Symptome, die mit einem exzessiven Genuss von Porno-Webseiten einhergehen: Schon bald stelle sich ein Leeregefühl ein, das weiter in eine Depression und in die Verzweiflung führe und mit einer dramatischen Einengung der sozialen Kontakte einhergehe. Pritz äußerte abschließend seine Überzeugung, das man inzwischen sehr wohl von Internet-Sexsucht sprechen könne. Die Sigmund Freud Privatuniversität war gemeinsam mit dem Institut für Religiösität in Psychatrie und Psychotherapie Mitveranstalter der wissenschaftlichen Tagung in Wien.
Raphael Bonelli, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, berief sich hingegen auf die Studien des bekannten Sexualforschers Volkmar Sigusch, der bis vor einigen Jahren noch ein Gegner des Konzepts von Sexsucht war und meinte, Sexsucht sei eine reine Erfindung der Medien. Es gibt inzwischen eine sexuelle Süchtigkeit, die mit den Darbietungen von sexuellen Darstellungen im Internet zu tun hat. Eine ganz neue Form der sexuellen Sucht, zitierte Bonelli Sigusch, der allmählich seine Meinung zu diesem Thema geändert hat. Die Medizin hatte die Theologie als Deutungsmacht abgelöst früher galt Sex als sündhaft, dann als krank, zitierte Bonelli den Sexualforscher weiter und erklärte, dass die Entkriminalisierung von Sittlichkeitsdelikten dazu führte, dass man sie pathologisiert habe. Auch heute noch befinde man sich in diesem Spannungsbereich. Jedoch sei Sexualität nicht prinzipiell pathologisch, sondern vielmehr ein Geschenk, mit dem man verantwortlich umzugehen habe. Auch sei ein Mangel an sexuellen Verlangen keine Krankheit in sich, sondern nur wenn man darunter leidet, meinte Bonelli und präzisierte in diesem Zusammenhang: Auch der Zölibat ist keine Krankheit. Allerdings sei der Voyeurismus bereits zu einer Volkskrankheit geworden: Wir sind eine voyeuristische Gesellschaft, stellte der Psychiater fest. Es habe in den 70er und 80er Jahren diverse Versuche gegeben, eine konsensuelle Pädophilie, die auf eine scheinbare Zustimmung des Opfers basierte, zu entkriminalisieren, indem man pädophiles Verhalten verharmloste. Jetzt schlage das Pendel hingegen wieder in die andere Richtung aus, so Bonelli, der damit kurz auf die derzeitige Diskussion rund um die Missbrauchsfälle in der Kirche und der Gesellschaft einging. Einer amerikanischen Studie zufolge, hätten im vergangenen Jahr 75% der Männer und 41 % der Frauen bereits willentlich Pornografie konsumiert und heruntergeladen und 2 % seien daraufhin süchtig geworden.
Phil Pöschl, der Obmann des Vereins Nackte Tatsachen, ein Selbsthilfe Portal, das Information, Prävention und Hilfestellung für Menschen anbietet, die unter einer Sexsucht leiden, sprach hingegen aus der Sicht des Betroffenen. Er erklärte, wie er es nach einem langen inneren Prozess geschafft hat, aus der Internet-Sexsucht herauszukommen. Damals hätte ich nicht zugegeben, dass ich süchtig nach Pornografie war. Aber wenn ich jetzt zurückschaue, dann muss ich zugeben, dass ich es durchaus war, bekannte der Vater von zwei Kindern. Seit gut zehn Jahren schaue ich mir keine Pornos mehr an. Ausschlaggebend war, dass mich eines Tages meine damalige Freundin und jetzige Frau beim Porno-gucken erwischte. Das war sehr peinlich für mich und verletzend für sie. Geholfen habe ihm schließlich, dass meine Frau bereit war, mit mir über das Thema zu reden und mit mir gemeinsam diese dunkle Phase meines Lebens zu meistern. Sie half mir dadurch, mein Problem in den Griff zu bekommen. .Mehr Infos unter: www.nacktetatsachen.at
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