29. April 2010 in Aktuelles
Pro & Contra: Ist jede Form körperlicher Züchtigung schon als Misshandlung anzusehen. Zwei gegensätzliche Meinungen von Rolf Trauernicht und Wolfgang Bühne
Augsburg (kath.net/idea)
In der Debatte um den katholischen Augsburger Bischof Walter Mixa, der zugab, als Stadtpfarrer Kindern die eine oder andere Watschn verpasst zu haben, stellt sich die Frage, ob jede Form körperlicher Züchtigung schon als Misshandlung anzusehen ist. Mixa hat inzwischen in einem Brief an den Papst seinen Rücktritt angeboten. Der Geschäftsführer des Fachverbandes für Sexualethik und Seelsorge, Rolf Trauernicht (Ahnatal bei Kassel), plädiert für eine Ächtung jeglicher Gewalt in der Erziehung, der Publizist und Evangelist Wolfgang Bühne (Meinerzhagen), Vater von sieben Kindern, will die Möglichkeit einer angemessenen, wohldosierten Form der Züchtigung nicht ausschließen.
Pro: Gewalt löst keine Probleme
Zugegeben, manche Menschen haben eine Ohrfeige oder einen Schlag mit einem Stock gut verkraftet, weil sie eine stabile psychische Struktur hatten oder in einem ansonsten liebevollen Umfeld aufgewachsen sind. In allen Schichten wird diese Erziehungsmethode angewandt und das wird mit Sätzen wie Das hat noch keinem Kind geschadet begründet.
Trotzdem sollten wir uns von Ohrfeigen und oft folgen daraus andere Formen der Gewalt aus folgenden Gründen verabschieden: Fast alle Menschen, die geohrfeigt wurden, haben sie als negative Erfahrung gespeichert. Sie dienten nicht dem Aufbau eines gesunden Selbstbewusstseins. Im Gegenteil: Sie wurden oft als Demütigung empfunden, die manchmal das ganze Leben die Beziehung zu den Erziehern beeinträchtigten. Wer mit Ohrfeigen erzogen und von Machtpositionen ausgenutzt wurde, lernte einen Erziehungsstil, den er wenn er sein Leben nicht reflektiert unbedacht an seine Kinder weitergibt. Aber Gewalt löst keine Probleme, sondern schafft neue. So kann etwas über Generationen als Erziehungsstil weitergegeben werden. Es gibt Untersuchungen darüber, dass Kinder, die mit Gewalt erzogen wurden, später mehr Gewalt ausgeübt haben. Das sind ungesund verarbeitete Aggressionen.
Ich sehe in dieser Erziehungsmethode ein Defizit in der Erziehungsfähigkeit. Es besteht eine Ohnmacht und es mangelt oft an Ideen, die Kinder altersgemäß und individuell zu erziehen. Ich gehe sogar so weit zu sagen, wer Ohrfeigen ausgeteilt hat, sollte seine Kinder um Verzeihung bitten.
Der Gesetzgeber der sich sonst aus privaten Dingen doch herauszuhalten pflegt hat dies als so wichtig erachtet, dass er mit § 1683 Abs. 2 BGB eine klare, sinnvolle Regelung geschaffen hat: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.
Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere seelische Verletzung und körperliche Gewalt, sind unzulässig. Schon allein aus Gehorsam gegenüber der Obrigkeit halte ich daher eine gewaltvolle Erziehung geistlich nicht für gerechtfertigt. Es gibt andere Möglichkeiten, Konflikte zu klären. Eltern brauchen viel Zeit und Ideen, wie sie ihre Kinder mit Gesprächen, dem Einsetzen von logischen Folgen für ihr Verhalten, durch Zuhören und Wertschätzung erziehen können. Sie sollten mit ihnen spielen, viel unternehmen und sie in ihren Begabungen fördern. Kinder in einer zärtlichen, wertschätzenden Atmosphäre einzubetten, ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, die mit nichts zu ersetzen ist.
Kontra: Die Empörung über Ohrfeigen ist manchmal heuchlerisch
Für Ohrfeigen bin ich nicht, aber für eine weise körperliche Züchtigung, wie sie die Bibel beschreibt. Denn in den meisten Fällen ist eine Ohrfeige eine spontane, unüberlegte, unbeherrschte und oft aus Aggression veranlasste Reaktion. Sie ist nicht zu rechtfertigen, auch wenn man in gewissen Situationen Verständnis dafür aufbringen mag. Ein Schlag ins Gesicht eines Menschen ist eine beleidigende, entwürdigende Handlung, ein Ausdruck von Verachtung und sicher auch ein Missbrauch von Autorität.
Als Jesus Christus vor dem religiösen Gericht (Joh. 18,22) und auch vor Pilatus (Joh. 19,3) ins Angesicht geschlagen wurde, war das ein Ausdruck größter Beleidigung!
Wenn Eltern oder Erzieher sich durch eine solch unbeherrschte Handlung hinreißen lassen, sollten sie sich dafür aufrichtig entschuldigen, denn eine Ohrfeige kann auch ein seelischer Schlag ins Gesicht sein. Das gilt ebenso für verbale Ohrfeigen, die oft noch schmerzlicher und folgenschwerer sein können, auch wenn sie bisher straffrei sind.
Wenn man sich aber über das Austeilen von Ohrfeigen empört und sich nicht ebenso darüber aufregt, dass Vernachlässigung, Gleichgültigkeit, Liebesentzug und Verhätschelung eine mindestens ebenso folgenschwere und oft noch schmerzlichere Misshandlung bedeutet, dann scheint das eine abgebrühte Heuchelei zu sein. Die wird auch darin deutlich, dass z. B. Abtreibung eine nun wirklich abscheuliche Misshandlung und außerdem Mord gesetzlich geschützt, eine Ohrfeige aber mit erheblichen rechtlichen Folgen angezeigt und geahndet werden kann. Die Bibel spricht eindeutig von der Notwendigkeit und Nützlichkeit von Zucht. In bestimmten Fällen von bewusst bösartigem Verhalten kann das auch körperliche Zucht beinhalten. Da aber Zucht etwas mit in die richtige Richtung ziehen zu tun hat, sollte sie niemals im Affekt, nie im Zorn, sondern mit Besonnenheit, aus echter Liebe, wohldosiert und angemessen an der Körperstelle vollzogen werden, die der Schöpfer besonders gut gepolstert hat.
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