'Von Newman her lernten wir den Primat des Papstes verstehen'

8. Mai 2010 in Spirituelles


Jeden Samstag im Mai auf kath.net: Exkluse Leseproben von "Apologia pro vita sua" von John Henry Kardinal Newman - Diesmal Worte von Kardinal Joseph Ratzinger


München (kath.net)
Die Apologia ist zweifellos einer der größten literarischen und spirituellen Klassiker. Der Autor berichtet über die Geschichte seiner Konversion, angefangen von den Erfahrungen in seiner Kindheit bis er schließlich - nach Jahren des Studiums und der Abwägung - mit Überzeugung der römisch-katholischen Kirche beitrat. Als anglikanischer Theologe an der Universität von Oxford kämpfte er zunächst gegen den beginnenden Liberalismus in seiner Kirche.

Durch sein Studium der Kirchenväter beginnt John Henry Newman, sich mit den Grundprinzipien des Glaubens zu beschäftigen. Er veröffentlichte Traktate, um den konservativen anglikanischen Glauben zu begründen, wurde aber deshalb von den Bischöfen stark angegriffen. Als Folge gab er sämtliche Ämter auf und zog sich nach Littlemore zurück.

In einem langen und tiefgründigem Denkprozess erkennt John Henry Newman, dass nur die römisch-katholische Kirche mit den Entwicklungen in der Lehrmeinung auf der Lehre der Urkirche basiert. Dies war der Beginn seiner Hinwendung zum katholischen Glauben. Er berichtet in einer dokumentarischen Darstellung von der ganzen Tragik seines Übertritts. Mit akribischer Sorgfalt lässt der Verfasser die Quellen sprechen. Dieses Werk lässt John Henry Newman als sensiblen und zurückhaltenden Menschen und großen Denker erkennen.

Kath.Net veröffentlicht jeden Samstag im Mai exklusive Leseproben aus der "Apologia pro vita sua" von John Henry Kardinal Newman, zu Beginn die einführenden Worte zum 3. Tag des Newman-Symposions am 28.04.1990,
Vortrag von Joseph Kardinal Ratzinger an der Päpstlichen Universität Urbaniana in Rom:

Der heutige dritte und abschließende Tag unseres Newman-Symposions ist dem Echo gewidmet, das Newmans Gestalt und Werk zunächst damals vor hundert Jahren und dann in der Theologie unserer Gegenwart gefunden hat. Ich fühle mich nicht kompetent, über das eine oder das andere zu sprechen, aber vielleicht ist es sinnvoll und dem Thema dieses Tages gemäß, wenn ich ein wenig über meinen eigenen Zugang zu Newman sage, in dem sich ja auch etwas von der Gegenwart dieses großen englischen Theologen im geistigen Ringen unserer Zeit widerspiegelt.

Als ich im Januar 1946 in dem nach den Kriegswirren endlich wiedereröffneten Freisinger Priesterseminar mein Studium der Theologie beginnen konnte, fügte es sich, dass unserer Gruppe ein älterer Student als Präfekt zugeteilt wurde, der noch vor Kriegsbeginn an einer Dissertation über Newmans Theologie des Gewissens zu arbeiten begonnen hatte. In all den Jahren seines Einsatzes im Krieg hatte er dieses Thema nicht aus den Augen verloren, das er nun mit neuer Begeisterung und Energie aufgriff.

Schon bald verband uns eine persönliche Freundschaft, die ganz um die großen Probleme der Philosophie und der Theologie kreiste. Dass Newman dabei immer gegenwärtig war, versteht sich von selbst. Alfred Läpple – er war der genannte Präfekt – hat dann 1952 seine Dissertation unter dem Titel „Der Einzelne in der Kirche“ veröffentlicht; leider ist der dort angekündigte zweite Band bisher ungedruckt geblieben.

Newmans Lehre vom Gewissen wurde für uns damals zu einer wichtigen Grundlegung des theologischen Personalismus, der uns alle in seinen Bann zog. Unser Menschenbild wie unser Bild von der Kirche wurde von diesem Ausgangspunkt her geprägt. Wir hatten den Anspruch einer totalitären Partei erlebt, die sich selbst als die Erfüllung der Geschichte verstand und das Gewissen des Einzelnen negierte; einer ihrer Führer hatte gesagt: „Ich habe kein Gewissen! Mein Gewissen ist Adolf Hitler.“ Die ungeheure Verwüstung des Menschen, die daraus folgte, stand uns vor Augen. So war es für uns befreiend und wesentlich zu wissen, dass das „Wir“ der Kirche nicht auf dem Auslöschen des Gewissens beruhte, sondern genau umgekehrt sich nur vom Gewissen her entwickeln kann. Gerade weil Newman die Existenz des Menschen vom Gewissen her, das heißt im Gegenüber von Gott und der Seele deutete, war aber auch klar, dass dieser Personalismus kein Individualismus ist und dass die Bindung an das Gewissen keine Freigabe in die Beliebigkeit hinein bedeutet – das Gegenteil ist der Fall.

Von Newman her lernten wir den Primat des Papstes verstehen: Gewissensfreiheit – so sagte uns Newman – ist nicht identisch mit dem Recht, „sich vom Gewissen zu dispensieren, einen Gesetzgeber und Richter zu ignorieren und von unsichtbaren Verpflichtungen unabhängig zu sein“. So ist Gewissen in seinem wahren Sinn Fundament der päpstlichen Autorität. Denn ihre Macht kommt aus der Offenbarung, die das nur unvollkommen erleuchtete natürliche Gewissen ergänzt, und „das Eintreten für das moralische Recht des Gewissens ist der Sinn seiner Existenz“.

Ich brauche wohl nicht eigens zu sagen, dass mir diese Gewissenslehre im Fortgang der Entwicklung von Kirche und Welt nur immer noch wichtiger geworden ist. Immer mehr sehe ich, wie sie sich im Zusammenhang mit der Biografie des Kardinals erst ganz erschließt, die wiederum nur zu verstehen ist im Kontext des geistigen Dramas seines Jahrhunderts und geradeso zu uns spricht. Newman war als Mann des Gewissens zum Konvertiten geworden; es war sein Gewissen, das ihn aus den alten Bindungen und Geborgenheiten herausführte in die für ihn schwierige und ungewohnte Welt des Katholizismus hinein. Aber gerade dieser Gewissensweg ist alles andere als ein Weg der sich selbst behauptenden Subjektivität: Er ist ein Weg des Gehorsams zur objektiven Wahrheit. Der zweite Schritt in Newmans lebenslangem Bekehrungsweg war ja die Überwindung der subjektiv-evangelikalen Position zugunsten einer auf der Objektivität des Dogmas gründenden Auffassung von Christentum. Ich finde in diesem Zusammenhang eine Formulierung aus einer seiner frühen Predigten immer noch und gerade heute höchst bedeutend. „Wahres Christentum ... erweist sich im Gehorsam und nicht durch einen Bewusstseinszustand.

So ist die ganze Pflicht und Arbeit eines Christen auf diesen beiden Teilen aufgebaut, auf Glaube und Gehorsam; ‚er sieht auf Jesus’ (Hebr 2,9) ... und handelt nach seinem Willen ... Wir sind, scheint mir, heute in der Gefahr, auf keines von beiden Gewicht zu legen, wie wir es sollten. Wir sehen jede wahre und sorgfältige Betrachtung des Glaubensinhalts als unfruchtbare Orthodoxie, technische Spitzfindigkeit ... an. Infolgedessen lassen wir ... den Beweis unserer Frömmigkeit in dem Besitz eines sogenannten geistlichen Gemütszustandes bestehen ...“

APOLOGIA PRO VITA SUA
Geschichte meiner religiösen Überzeugungen
John Henry Kardinal Newman
13,5 x 20,5 cm, gebunden, 448 Seiten
Euro 25,60

Mit einem Beitrag von Joseph Kardinal Ratzinger, Papst Benedikt XVI

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