Der Erfolg des liberalen Einflusses zerrieb mich innerlich

22. Mai 2010 in Spirituelles


Jeden Samstag im Mai auf kath.net: Exklusive Leseproben von "Apologia pro vita sua" von John Henry Kardinal Newman


Wien (kath.net)
Der Erfolg des liberalen Einflusses zerrieb mich innerlich. Ich wurde wütend über ihre Maßnahmen und ihre Kundgebungen. Ein französisches Kriegsschiff lag in Algier. Ich mochte nicht einmal seine Flagge ansehen. Obwohl ich auf meiner Rückreise gezwungen war, mich einen Tag in Paris aufzuhalten, blieb ich dort in meinem Zimmer und sah deshalb von der prächtigen Stadt auch nur das, was ich von der Diligence aus sah.

Der Bischof von London hatte sich schon nach mir umgehört, um mir eine der Predigerstellen in Whitehall anzubieten, die er eben damals neu organisiert hatte. Aber ich war empört über die Richtung, die er eingeschlagen hatte, und schrieb von meinem Dampfschiff aus einen Brief in die Heimat, worin ich das Amt ablehnte für den Fall, dass es mir angetragen würde.

Besonders verärgert war ich damals über Dr. Arnold, jedoch war dies nicht von Dauer und änderte sich wieder in den folgenden Jahren. Ich glaube, jemand hatte in Rom im Laufe einer Unterhaltung gefragt, ob eine bestimmte Auslegung der Schrift christlich sei, worauf die Antwort erfolgte, dass Dr. Arnold dies bejahe. Daraufhin machte ich die Bemerkung: „Aber ist er ein Christ?“ Den Vorfall hatte ich sofort vergessen. Als ich später damit konfrontiert wurde, konnte ich zur Erklärung nur vorbringen, ich hätte vermutlich einige freie Anschauungen Dr. Arnolds über das Alte Testament im Auge gehabt.

Wahrscheinlich wollte ich damit sagen: „Arnold bürgt für die Auslegung, aber wer bürgt für Arnold?“ In Rom begannen wir auch, die Lyra Apostolica zu veröffentlichen, die jeden Monat im British Magazine erschien. Das Motto zeigt, was Froude und ich zu jener Zeit empfanden. Wir liehen uns von Mr Bunsen einen Homer und Froude wählte die Worte, die Achilles bei der Rückkehr in den Kampf sprach: „Ihr sollt den Unterschied sehen, nun, da Achill wieder dabei ist.“

Besonders in einsamen Stunden überkam mich der Gedanke, dass ein Befreiungswerk nicht die Tat vieler, sondern Einzelner sei, dass es nicht von Gemeinschaften, sondern von Personen ausgehen müsse. Es muss um dieselbe Zeit gewesen sein, dass ich mir die seit meiner Schulzeit teuren Worte wiederholte: „Exoriare aliquis!“ – und Southeys schönes Gedicht Thalaba, für das ich eine große Vorliebe hatte, wollte mir nicht aus dem Sinne. Es erwachte in mir die Überzeugung, dass ich eine Mission zu erfüllen habe. Die Briefe an meine Freunde müssen Äußerungen dieser Art enthalten, falls sie nicht vernichtet sind.

Als wir von Monsignore Wiseman Abschied nahmen, äußerte er in höflichen Worten den Wunsch, wir möchten einen zweiten Besuch in Rom machen. Da antwortete ich mit großem Ernst: „Wir haben ein Werk in England zu vollbringen.“ Ich fuhr sofort nach Sizilien hinunter und das Empfinden wurde immer stärker. Als ich ins Innere der Insel vordrang, erkrankte ich in Leonforte und bekam Fieber. Mein Diener fürchtete, ich müsse sterben und erbat von mir die letzten Weisungen. Ich gab sie ihm seinem Wunsch gemäß, sagte aber: „Ich werde nicht sterben.“ Ich wiederholte: „Ich werde nicht sterben, denn ich habe nicht gegen das Licht gesündigt; ich habe nicht gegen das Licht gesündigt.“ Was ich damit meinte, konnte ich nie ganz erklären.

Ich ging nach Castro-Giovanni und war hier fast drei Wochen ans Bett gefesselt. Gegen Ende Mai brach ich nach Palermo auf, brauchte aber drei Tage für diese Reise. Ehe ich am Morgen des 26. oder 27. Mai meinen Gasthof verließ, setzte ich mich auf mein Bett und fing bitterlich zu weinen an. Mein Diener, der mich mit größter Sorgfalt gepflegt hatte, fragte mich, was mir fehle. Ich konnte nur antworten: „Ich habe ein Werk in England zu vollbringen.“

Schmerzlich sehnte ich mich nach der Heimat. Da jedoch kein Schiff fuhr, musste ich drei Wochen lang in Palermo warten. Ich fing an, die Kirchen zu besuchen. Sie wirkten beruhigend auf meine Ungeduld, obwohl ich nie einem Gottesdienst beiwohnte. Von der Gegenwart Christi im allerheiligsten Altarsakrament dort in der Kirche wusste ich nichts. Endlich reiste ich mit einem Orangenschiff, das nach Marseille bestimmt war, ab. Aber die Windstille hielt uns eine ganze Woche in der Straße von Bonifacio fest. Damals schrieb ich das kleine Gedicht: Lead, kindly light („Führe, liebes Licht“), das seitdem sehr bekannt geworden ist. Während der ganzen Zeit meiner Überfahrt schrieb ich Gedichte.

Endlich erreichte ich Marseille und trat von dort die Fahrt nach England an. Die Anstrengungen der Reise waren jedoch zu viel für mich und ich musste mehrere Tage krank in Lyon bleiben. Endlich vermochte ich weiterzureisen und eilte rastlos, Tag und Nacht, abgesehen von einem unfreiwilligen Aufenthalt in Paris, bis ich England und mein Elternhaus erreichte. Mein Bruder war einige Stunden vorher von Persien heimgekommen. Es war an einem Dienstag. Am folgenden Sonntag, 14. Juli, hielt Mr Keble in der Universitätskirche von der Kanzel die Sessionspredigt, die später unter dem Titel Nationale Apostasie veröffentlicht worden ist. Ich habe diesen Tag immer als den Ausgangspunkt der religiösen Bewegung des Jahres 1833 angesehen und in Ehren gehalten.

APOLOGIA PRO VITA SUA
Geschichte meiner religiösen Überzeugungen
John Henry Kardinal Newman
13,5 x 20,5 cm, gebunden, 448 Seiten
Euro 25,60
Mit einem Beitrag von Joseph Kardinal Ratzinger, Papst Benedikt XVI


Alle Bücher und Medien können direkt bei KATH.NET in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Christlicher Medienversand Christoph Hurnaus (Auslieferung Österreich und Deutschland) und dem RAPHAEL Buchversand (Auslieferung Schweiz) bestellt werden. Es werden die anteiligen Portokosten dazugerechnet. Die Bestellungen werden in den jeweiligen Ländern (A, D, CH) aufgegeben, dadurch entstehen nur Inlandsportokosten.

Für Bestellungen aus Österreich und Deutschland: [email protected]

Für Bestellungen aus der Schweiz: [email protected]


© 2010 www.kath.net