Wir brauchen heilige Priester!

3. Juni 2010 in Chronik


Ausgerechnet im Priesterjahr machen auch die unheiligsten Priester Schlagzeigen. Warum dies kein tragischer Zufall ist - Ein Kath.Net-Kommentar von Michael Hesemann


Köln (kath.net)
Das Priesterjahr, von Papst Benedikt XVI. zum 150. Todestag des hl. Pfarrers von Ars, Johannes Maria Vianney (1786-1859) ausgerufen, neigt sich dem Ende zu; sein Abschluss und Höhepunkt wird ein internationales Priestertreffen in Rom sein. Für den, der es von außen betrachtet, mag es wie ein Fiasko, wie ein Super-Gau erschienen sein, dass ausgerechnet in diesem Jahr, das dem Idealbild des heiligen Priester geweiht ist, die unheiligsten aller Priester für Schlagzeilen sorgten. Doch was auf den ersten Blick wie ein tragischer Zufall wirkt, passt sehr gut zum Pfarrer von Ars. Denn kaum ein Heiliger wurde zeitlebens so heftig von diabolischen Angriffen heimgesucht, aber auch Opfer übelster Verleumdungen, wie der hl. J. M. Vianney.

Als Benedikt XVI. das Priesterjahr ausrief, konnte er noch nicht wissen, was seit Anfang des Jahres 2010 auf ihn und die Kirche zukommen würde. Doch gerade das lässt dieses Jahr wie einen Wink der göttlichen Vorsehung erscheinen, so, als habe der Himmel selbst zur derzeitigen Krise bereits das Gegenmittel bereitgestellt.

Tatsächlich ist die Missbrauchskrise eine Chance. Sie zwingt die Kirche zu einer grundlegenden Reform, zu einer Neudefinition des Priesteramtes. Doch es wäre ein fataler Fehler, würde sie dabei auf populistische Forderungen eingehen, wie sie in den Medien, den Sprachrohren einer Kultur der Beliebigkeit, ihr Echo finden. Nein, die Antwort auf die Missbrauchskrise liegt nicht in der Aufhebung des Zölibats. Schließlich handelt es sich bei 90 % der Missbrauchsfälle um pädophile Übergriffe. Homosexuelle Pädophilie, also Unzucht mit Knaben, ist, auch wenn mancher das gerne bestreitet, eine Abart der Homosexualität. Homo- und bisexuelle Neigungen verschwinden nicht einfach durch eine Ehe. Über 95 % aller Fälle von Kindesmisshandlungen finden in den Familien statt. In fast allen übrigen Fällen sind die Täter nichtzölibatäre Männer, die beruflich Umgang mit Kindern haben und erfolgreich ein Doppelleben führen. Der Anteil zölibatärer Männer in der Täterstatistik ist verschwindend gering, was freilich wenig erstaunt: denn eigentlich führt der Zölibat zu einem entsexualisierten Lebensstil, zu einer Sublimierung der Sexualität. Daher macht er nicht mehr, sondern weniger anfällig für jede Form von Sexualdelikten.

Nein, die einzige Antwort auf diese Krise ist, das Übel an der Wurzel zu packen. Denn das, was die Missbrauchsfälle so abscheulich macht, ist nicht ihre Einzigartigkeit. Sexueller Missbrauch Minderjähriger ist, leider, kein seltenes Delikt. Zurecht empört aber ist die Öffentlichkeit, dass ausgerechnet Priester die Täter sind, eine gewiss verständliche Reaktion angesichts des hohen Anspruchs der Kirche gerade auch in Fragen der Sexualmoral. Dass dabei ausgerechnet jene am lautesten schreien, die bislang die freie Entfaltung der Sexualität zum Menschenrecht erklärten und jede noch so abartige Variante zu tolerieren bereit waren, steht auf einem anderen Blatt, auch wenn uns das einiges über die Scheinheiligkeit dieser Medien und Institutionen verrät. Das Empörende ist auch nicht der Versuch mancher Bischöfe, den Mantel der Scham und des Schweigens über diese Fälle auszubreiten. Einen Mitbruder im priesterlichen Amt bei der Staatsmacht anzuzeigen wäre vielleicht ehrenwert, aber nicht unbedingt christlich. Jedenfalls berichten die Evangelien von keinem einzigen Fall, in dem Jesus eine Ehebrecherin vor den Richter zerrte. Tatsächlich verzichtete er sogar darauf, eine solche ihrer nach dem Gesetz des Moses gerechten Strafe zuzuführen. Stattdessen ließ er sie einfach ziehen: „Geh, Frau, und sündige nicht mehr.“ Ganz ehrlich: Ich bin nicht allzu enttäuscht darüber, dass unsere Bischöfe ähnlich gehandelt haben. Was die Missbrauchsfälle so erschütternd macht, ist, dass sie auf tiefster Ebene Symptom einer Glaubenskrise sind. Sie werden begangen von Priestern, die offenbar jedes Verständnis von Sünde ebenso verloren haben wie den Glauben an die Heiligkeit ihres Amtes. Denn ein Priester, der in dem Bewusstsein lebt, dass er jeden Tag bei der Feier der Eucharistie den lebendigen Heiland in den Händen hält, der kann mit eben diesen Händen kein unschuldiges Kind zur Befriedigung seiner niedersten Triebe missbrauchen. Das eine ist einfach mit dem anderen unvereinbar und grenzte schon an Schizophrenie.

Jeder einzelne Fall eines Missbrauchs durch einen Priester ist daher vor allem anderen ein Indiz für innerliche Verwahrlosung, ja für einen Abfall vom Glauben. Das mag hart klingen, aber es ist leider so. Ein guter Priester strebt nach der Heiligung seines Lebens. Versuchungen waren selbst große Heilige ausgesetzt, vom heiligen Antonius bis Pater Pio, vom Pfarrer von Ars bis zu Mutter Theresa. Sie alle fanden Trost darin, dass Jesus selbst in der Wüste versucht wurde und den teuflischen Einflüsterungen widerstand. So antworteten sie auf die Versuchungen mit Bußübungen und der Abtötung eben jener leiblichen Begierden, die sie von Christus entfernten, zu dem ihre Seele sich so hingezogen fühlte. Ihr Glaubensleben sollte jedem Priester ein Vorbild sein, dann kann die Missbrauchskrise überwunden werden, dann findet die Kirche zu ihrer alten Glaubwürdigkeit zurück. Ja, wir brauchen wieder heilige Priester! So können wir Papst Benedikt nur danken, unserer Zeit ein so menschliches Beispiel wie den leidgeplagten Pfarrer von Ars in Erinnerung gerufen zu haben. Sein Leben und seine Botschaft, seine Versuchungen und Anfeindungen und sein Widerstehen durch Buße, Gottes- und Menschenliebe sind aktueller denn je.

Die Missbrauchskrise ist nur ein Produkt einer desorientierten Zeit. Denn viel größer als die Zahl der Priester, die moralischer Verfehlungen schuldig wurden, ist die Zahl derer, die an Glaubenszweifeln leiden. Umfragen haben gezeigt, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Klerus an fundamentalen Glaubenswahrheiten scheitert. Doch wie kann ein Priester, der nicht an die leibliche Auferstehung Jesu oder die Realpräsenz des Herrn in der Eucharistie glaubt, seine Gemeinde „im Glauben stärken“? Und, zunächst einmal: Wie wird überhaupt jemand Priester, der nicht jeden Satz im Apostolischen Glaubensbekenntnis mit seinem Herzensblut unterschreiben könnte? An den Privilegien des Priesterberufes wird es heute, im 21. Jahrhundert, gewiss nicht liegen. Schon deshalb ist davon auszugehen, dass der allergrößte Teil unserer Priester bei Seminareintritt eine genuine Berufung und Glaubensüberzeugung in sich getragen hat. Doch was hat dann diese innere Flamme gelöscht, statt sie zu nähren?

Ich denke, es ist eine Theologie, die längst vor dem Relativismus in die Knie gegangen ist. „Nach Rom gegangen, den Glauben verloren“, war mal ein böses Wort unter Spöttern, die den allzu barocken Lebensstil in der Ewigen Stadt anprangerten, der heute, zum Glück, weitgehendst der Vergangenheit angehört. Doch es ist längst ersetzt worden durch ein anderes Spottwort: „Theologie studiert, den Glauben verloren“! Es ist kein Geheimnis, dass die katholische Theologie seit rund einem halben Jahrhundert die protestantischen Kollegen der Bultmann-Schule quasi von links zu überholen versucht. Vom „Großen Haereticum“ sprechen irritierte und frustrierte Studenten, deren jugendlicher Glaubenseifer in formgeschichtlichen Spekulationen erstickt wird und zitieren dabei gerne einen Witz, der eigentlich ein Trauerspiel ist: „Haben Sie gehört, Herr Kollege, in Jerusalem hat man das Grab Jesu entdeckt. Sein Leichnam lag noch drin!“, meint ein Theologieprofessor „Das kann ich nicht glauben“, erwidert der Angesprochene, der dem Vernehmen nach seinen Lehrstuhl in Tübingen hat: „Das hieße ja, er hätte wirklich gelebt!“ Leider pointiert dieser vermeintliche Witz, was unter Mainstream-Theologen längst als abgemacht gilt: Dass die Evangelien „natürlich“ nur möglichst spät entstandene Gemeindetraditionen reflektieren, dass das Osterereignis symbolisch zu verstehen ist, dass wir es gewissermaßen mit einem Mythos zu tun haben, dessen historischer Kern allenfalls das Wirken eines jüdischen Wanderpredigers, aber gewiss nicht die Menschwerdung Gottes sei. Das führte längst zu der geradezu absurden Situation, dass Archäologen und Historiker, die immer wieder staunend mit der Exaktheit der neutestamentlichen Berichte konfrontiert werden und deshalb für deren Frühdatierung in die Zeit der Augenzeugen plädieren, auf den Widerstand von Theologen stoßen.

Ich denke, hier finden wir den Augiasstall des Unglaubens, der aufgeräumt werden muss! Eine Kirche, die ihre ureigenen Wurzeln und damit ihre Sendung infrage stellt, kann keine gesunden Triebe hervorbringen. Professoren, die konsequent das Übernatürliche leugnen und nicht an die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth zu glauben bereit sind, erziehen keine heiligen Priester sondern solche, die von Glaubenszweifeln geplagt werden und ohne moralische Direktive den eigenen Schwächen erliegen. Ja, die Kirche braucht Reformen. Sie muss wieder katholischer werden und sich selbstbewusst vor jeder Verwässerung ihrer heiligen Lehre schützen!

Der Pfarrer von Ars war kein Einserstudent der Theologie. Er war auch kein Intellektueller, kein brillanter Denker, im Gegenteil: Seine Professoren wollten ihn eigentlich bei der Abschlussprüfung durchfallen lassen. Als der Generalvikar, der die Diözese zu diesem Zeitpunkt leitete, davon erfuhr, stellte er den Prüfern drei Fragen: "Ist Vianney fromm? Verehrt er die Gottesmutter? Kann er den Rosenkranz beten?“ Die Professoren bejahten dies, erklärten, leicht genervt, er sei geradezu ein Vorbild an Frömmigkeit. „Gut, ich berufe ihn“, erwiderte der Generalvikar, „Die Gnade Gottes wird den Rest machen!" Er hatte genau erkannt, worauf es ankommt und was einen guten Priester ausmacht...

Michael Hesemann ist Autor des Buches Das Bluttuch Christi


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