Ich werde nicht am Zölibat rütteln

10. Juni 2010 in Deutschland


Essens Bischof Franz-Josef Overbeck im Interview mit der Tagespost: Den Priestermangel nüchtern sehen, das Selbstbewusstsein der Geistlichen stärken.


Essen (kath.net/Tagespost)
Seit Dezember 2009 leitet Bischof Franz-Josef Overbeck das Bistum Essen. Schlagzeilen machte der 45-Jährige, der 1989 von Joseph Kardinal Ratzinger in Rom zum Priester geweiht wurde, als er bei „Anne Will“ die katholische Morallehre zur Homosexualität verteidigte. Regina Einig und Clemens Mann befragten ihn zum ausklingenden Priesterjahr.

Die Tagespost: Das Priesterjahr geht zu Ende. Welche Bilanz ziehen Sie?

Bischof Overbeck: Das Ruhrgebiet ist ein sehr bodenständiges Bistum. Ich werde hier nicht mit dogmatischen Fragestellungen konfrontiert. Im Zusammenhang mit den Strukturreformen suchen viele Priester intensiv nach ihrer Rolle. Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele von ihnen im Bistum Essen im kirchenrechtlichen Sinn keine Pfarrer mehr sind, sondern Pastoren. Sie zu unterstützen, eine Identität zu finden, die sich primär von der Seelsorge her bestimmt, ist mir sehr wichtig. Während des Liudger-Jahres ist viel für die geschichtliche Aufarbeitung der Rolle der Priester getan worden. Das hat die Mitbrüder beschäftigt. Sie haben Fragen, die mit dem Priesterjahr zum Beispiel durch den Papst und Bischöfe wie andere aufgeworfen wurden, nicht als neue Fragen wahrgenommen. Wichtig erscheint mir auch eine nüchterne Sicht des Priestermangels. Betrachtet man ihn einmal unter dem Gesichtspunkt regelmäßiger Gottesdienstbesucher, dann haben wir eine annähernd gleiche Relation wie in der Vergangenheit zwischen jungen Priestern und jungen konstanten Messbesuchern.

Und die Missbrauchsdebatte?

Die Diskussion um den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche hat viele Priester und Gläubige nachhaltig in ihrer eigenen Identität berührt und zum Teil in krisenhafte Situationen geführt. Das ist gar nicht zu vergleichen mit der Stimmung des ersten Halbjahres des Priesterjahres. Es ist mir als Bischof wichtig, das Vertrauen und Selbstbewusstsein der Priester zu stärken. Es geht darum, den inneren theologischen und geistlichen Grund unseres Priesterseins zu verdeutlichen. Ich erlebe in unzähligen Gesprächen, dass Priester neu danach suchen. Sie werden auch von außen angefragt und hinterfragt. Gerade das selbstverständliche Mitgetragenwerden in der zölibatären Lebensform scheint geringer zu werden. Zum anderen sind die neuen Pfarreien im Ruhrgebiet ungewöhnlich groß. Das hat zur Folge, dass für viele der konkrete Lebensraum, in dem sie sich mitgetragen fühlten, unübersichtlicher geworden ist. Das hat Konsequenzen auch für das Lebensgefühl von Priestern. Das macht ihr Leben nicht einfacher. Ich sage als Bischof aber sehr klar: „Ich werde nicht am Zölibat rütteln“. Es ist die den Priestern angemessene Lebensform.

Stichwort Zölibat: Bischöfliche Mitbrüder bringen Änderungen öffentlich ins Gespräch.

Das kann die Meinung der betreffenden Mitbrüder sein – ich habe sie nicht und werde sie auch nicht teilen.

Ist die Rollensuche bei Priestern ein generationsspezifisches Phänomen?

Nein. Die Konzilsgeneration und die, die kurz vorher den Weg zum Priestertum gefunden haben, fragen sich heute oftmals kritisch, ob sie die richtigen Wege eingeschlagen haben. Und nicht wenige der Älteren fragen sehr befremdet, was die Jüngeren machen. Die Jüngeren leben eher eine in der Tradition verhaftete Form des Priesterseins. Das gilt zwar nicht für alle, aber doch für einen großen Teil. Das ist auch verständlich, denn die Jüngeren mussten sich immer gegen ganz viele andere durchsetzen, um überhaupt diesen Weg zu wählen und darin gleichzeitig Selbstbewusstsein und eine eigene Position zu finden, die ihnen Kraft gibt, heute diese Berufung zu leben. Das ist eine ganz andere biografische und innerliche Ausgangssituation, als sie die älteren Mitbrüder in den 50er und 60er Jahren hatten. Es gibt eine große Verunsicherung im Blick darauf, welcher Weg denn der richtige ist. Darin unterscheiden sich Priester nicht von anderen Menschen heute.

Welchen Impuls nehmen Sie persönlich aus dem Priesterjahr mit?

Angesichts dessen, was im zweiten Halbjahr geschehen ist, eine theologisch qualifizierte Frage: Wie müssen wir unser Gewissen erforschen? Zweitens die brennende Frage, die eine Existenzfrage für das Priestertum in Westeuropa und in Deutschland ist: Wie leben wir das, was wir versprochen haben? Ist es nicht die Verfügbarkeit für Gott und für die Menschen? Das fällt mir gerade bei den Strukturdebatten zu oft unter den Tisch. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Bischöfe, Priestern zu vertrauen und sie zu stärken. Das ist unser Potenzial, mit dem wir wirken können. Auch die Wertschätzung der Eucharistie muss noch mehr in die Mitte gerückt werden. Das braucht aber die Solidarität der Gläubigen, sonst ist das für die meisten Priester nicht zu leben.

Als einer der wenigen deutschen Bischöfe haben Sie in einer Talk-Show Stellung zu moralischen Reizthemen genommen. Würden Sie das jederzeit wieder tun?

Ja. Es gehört zu meinen Pflichten, das zu tun. Es muss eine öffentlich wahrnehmbare Diskussion geben. Dafür stehen wir als Bischöfe ein. Wir sind in diesem Sinne das Gesicht der Kirche. Darum gehören wir da hin. Wir müssen damit leben lernen, dass die Kirche und ihre Lehre nicht mehr unumstritten hingenommen werden. Und zwar gerade dann, wenn wir im moraltheologischen Sinne mit oftmals sperrigen, gerade lehramtlichen Äußerungen an die Öffentlichkeit treten, die von vielen nicht mehr mitvollzogen werden. Auch dazu müssen wir stehen. Es wäre sicherlich eindeutiger gewesen, wenn ich in der Sendung von Anne Will gesagt hätte: Homosexualität ist nicht Sünde im Sinne der Anlage, sondern im Sinne einer ausgelebten Homosexualität. Das steht auch so im Katechismus – aber das kann man in einer Sendung dieser Art, so schnell jedenfalls, nicht sagen.

Wie sehen Sie die Rolle der Institution Kirche, wenn man die Linien über die Missbrauchsdebatte hinweg auszieht?

Wir gehören zu den Institutionen, die in einem positiven Sinne die Menschenwürde um Gottes willen auch überall dort verteidigen, wo sie mit Füßen getreten wird. Die Grundbotschaft der Kirche muss klar bleiben. Das heißt: Sexualität, Partnerschaft und Liebe gehören zusammen.

Was ergibt sich daraus für die Verkündigung?

Verkündigung hängt eng mit Glaubwürdigkeit zusammen, ebenso mit der Bereitschaft, den Glauben offen und offensiv zu bezeugen. Darum müssen wir damit leben, kritisch hinterfragt zu werden. Aber wir dürfen auch keine Sekte werden. Da gilt erstens die Qualität des besseren Arguments und zweitens die Gnade Gottes. Ich würde meine Aufgabe als Bischof von Essen nicht richtig wahrnehmen, wenn ich nicht versuchen würde, Foren zu schaffen, in denen die Strittigkeit dieser Meinungen zum Thema gemacht werden kann. Wo ich selber stehe, mache ich immer wieder deutlich. Daran können sich die Leute ausrichten oder auch reiben. Ich möchte als Bischof Zeitgenosse sein und mich nicht in ein Ghetto zurückziehen. Redliche Glaubwürdigkeit stärkt den Glauben der Kirche.

Essen gilt als Multi-Kulti-Diözese. Erleichtert das den Einsatz von Priestern mit Migrationshintergrund in der ordentlichen Seelsorge?

Katholische Immigranten sind durch die sogenannten fremdsprachigen Gemeinden gut bei uns integriert. Eine gute Frucht der Strukturreform des Bistums Essen ist, dass fremdsprachige Gemeinden jetzt alle in Pfarreien eingebunden sind. Priester und Ordensleute mit Migrationshintergrund müssen bei uns mit den Gegebenheiten einer nach-aufgeklärten Gesellschaft zurechtkommen. Das fällt einigen schon schwer.

Wie äußern sich diese Schwierigkeiten?

Es ist zum Beispiel für indische Ordensleute und Priester ausgesprochen schwierig, in einer so hochindividualisierten Gesellschaft mit wenigen Kindern und vielen alten Menschen zu leben. In ihrem Lebensgefühl fehlen hier die „normalen“ Leute, die im Sinne der klassischen Volksfrömmigkeit einfach zum Priester gehen, bei ihm sind und selbstverständlich die Kirchen füllen. Bei afrikanischen Priestern und Ordensleuten spielen ganz andere Bilder von Vergesellschaftung eine Rolle, auch Naturreligionen.

Könnten Sie sich vorstellen, den Petrusbrüdern eine Pfarrei zu übertragen? Sie wirken ja schon in Ihrem Bistum.

Ich halte es für klug, weiter so vorzugehen wie bisher. In unserem Bistum sollen Gläubige, die im tridentinischen Ritus Eucharistie feiern wollen, Raum finden. Wir haben einen guten Kontakt zu den Priestern um Pater Gerstle der Petrusbruderschaft, der im Dom regelmäßig Beichte hört und selbstverständlich die Einheit mit mir als Bischof pflegt.

(c) Foto: Bistum Essen

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