Nur das Recht von Ärzten und Angehörigen wurde gestärkt

28. Juni 2010 in Deutschland


Zum Urteil des Bundesgerichtshofs zur Sterbehilfe - Von Klaus-Peter Grasse


Berlin (kath.net/idea)
Mit dem Urteil zur Sterbehilfe hat der Bundesgerichtshof das Selbstbestimmungsrecht von Patienten gestärkt. So haben viele Medien getitelt. Auch nach Ansicht der EKD hat das Gericht das Recht des Patienten auf die Umsetzung seines Willens gestärkt. Wenn es so wäre, dürfte es kaum Kritik geben. Doch wie wurde im konkreten Fall der Patientenwille ermittelt?

Den Ermittlungen des Gerichts zufolge hatte die Patientin, die seit Oktober 2002 in einem Wachkoma lag, einen Monat zuvor mündlich den Wunsch geäußert, dass sie in einem solchen Fall keine künstliche Ernährung wünsche, sondern in Würde sterben möchte.

Die Lebensrechtsorganisation Aktion Lebensrecht für Alle (AlfA) berichtet, dass sich die Tochter erst nach Jahren an den Wunsch der Mutter erinnerte und dann aktiv wurde. Offensichtlich gab es weder Zeugen noch eine schriftliche Verfügung der Patientin.

Dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet

Der Wunsch, nicht künstlich ernährt zu werden, ist ebenso nachvollziehbar wie der Wunsch einer Tochter, ihrer Mutter ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. Aber wie verbindlich ist solch ein Wunsch für Ärzte, Pflegekräfte und Heimleitungen? AlfA hält es zu Recht für „überaus problematisch“, „dass die nicht überprüfbare Behauptung eines einzelnen, ein inzwischen bewusstloser Patient habe ihm gegenüber mündlich erklärt, keine lebenserhaltende Maßnahmen zu wünschen, Ärzte verpflichten solle, medizinisch angebracht erscheinende Maßnahmen zu unterlassen. Damit wird dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.“

Mindestens zwei Richtungen sind denkbar: Für Angehörige kann es einfach lästig sein, sich um einen Menschen weiter kümmern zu sollen, mit dem man nicht mehr kommunizieren kann. Und es gibt auch Erben, die es nicht erwarten können, dass jemand stirbt.

Darf man über das Leben anderer entscheiden?

Deshalb ist auch der Forderung der Deutschen Hospiz Stiftung zuzustimmen, dass lebenserhaltende Maßnahmen nur eingestellt werden dürfen, „wenn der Betroffene früher glasklar gesagt hat, was er will und was nicht“. Ein beiläufiges Vieraugengespräch ohne Zeugen reiche nicht aus. „Mutmaßungen anderer über den tatsächlichen Willen des Betroffenen dürfen nicht tödlich sein.“ Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens seien mehrere, dem Patienten nahestehende Menschen zu befragen.

Aus den Aussagen, die sorgsam zu dokumentieren seien, müsse sich ein einheitliches Bild ergeben. In diesem Sinne sollte das Patientenverfügungsgesetz nachgebessert werden. Die Stiftung hat Recht. Der Bundesgerichtshof hat nicht das Selbstbestimmungsrecht von Patienten gestärkt, sondern das Recht von Angehörigen und Ärzten, über das Leben anderer zu entscheiden. Dadurch ist die Menschenwürde weitaus mehr bedroht als durch das fragwürdige Bemühen, Leben um jeden Preis zu verlängern.


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