3. September 2010 in Aktuelles
Angriff auf Ratzinger? Einige Anmerkungen von Dr. Armin Schwibach / Rom
Rom (kath.net/as)
Angriff auf Ratzinger Attacco a Ratzinger so lautet der Titel des Buches von Andrea Tornielli und Paolo Rodari (vgl. Guido Horst, Angriff auf Ratzinger, Die Tagespost vom 2.9.2010). Angesichts der verschiedenen Skandale und Probleme, die den Pontifikat Benedikts XVI. seit 2006 durchziehen, haben sich die Autoren, die zu den wichtigsten bestinformierten Vaticanisti Italiens gehören, daran gemacht, wesentliche Etappen des Angriffs und vor allem wesentliche Fehler nicht zuletzt der engsten Mitarbeiter der Papstes zusammenzustellen. Aus den Analysen und Rekonstruktionen der Autoren ergeben sich drei Fronten, von denen aus der Angriff auf Benedikt XVI. stattfindet.
Der Hauptfeind ist ein äußerer Feind. Dabei handelt es sich für die Autoren um die Main-stream-Denklinien der abendländischen liberal-demokratischen Kulturen sowie um die in ihnen agierenden verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Machtzentren. Der zweite Feind ist der Feind von Innen: jene Katholiken (Kardinäle, Bischöfe, Laiengläubige, eine gewisse katholische Intelligenzija, selbsternannte Kleinpäpste), die von vorneherein im ehemaligen Panzerkardinal auf dem Stuhl Petri das Haupthindernis für die von ihnen gewollte und gewaltvoll vorangetriebene Modernisierung der Kirche erkannten und versuchten (versuchen), jede Reformbewegung, die auf das Fundament der Kirche baut, zu ersticken oder abzuschwächen. Als Hauptbeispiel hierfür kann die fortlaufende Behinderung der Umsetzung des Willens des Papstes gesehen werden, wie er sich aus dem Motu proprio Summorum Pontificum zur Liberalisierung des Alten Ritus und aus dem beigefügten Schreiben ergibt, mit dem Benedikt XVI. seine Absichten erklärt hatte.
Der dritte Feind (logistischer Art) wird in jenen Mitarbeitern der Römischen Kurie ausgemacht, die sei es aus Unfähigkeit, Unverständnis oder innerer Opposition nicht in der Lage sind, dem Papst in angemessener Weise zu helfen, sein Amt als Nachfolger des Petrus und Stellvertreter Christi zu realisieren. Als eines der eklatantesten Beispiele hierfür analysieren die Autoren unter anderem eingehend den Skandal um Weihbischof Williamson.
Infolgedessen wurde im Zuge der Rücknahme der Exkommunikation der vier unrechtmäßig geweihten Bischöfe der Priesterbruderschaft St. Pius X. durch einen von Williamson vertretenen Negationismus großer Schaden angerichtet. Dieser hätte abgewendet werden können, wenn zumindest gewisse Informationskanäle innerhalb der Vatikans anders verlaufen wären.
Fazit: Johannes Paul II. hatte einen Ratzinger, der ihm als wichtigster Mitarbeiter mit seiner Intelligenz und Fähigkeit in derart unverzichtbarer Weise zur Seite stand, dass er sich dessen Hilfe nicht berauben wollte und mehrmals das Gesuch um Rücktritt abgelehnt hatte. Benedikt XVI. Papa Ratzinger, wie ihn die Italiener gerne nennen, hat keinen Ratzinger an seiner Seite: es fehlt der Ratzinger di Ratzinger.
Aber: stimmt das alles so? Oder ist es zu wenig? Zu verkürzt? Zwei weitere Aspekte verdienen es, bei derartigen Erwägungen mitgedacht zu werden (ohne die anderen, gleichfalls wichtigen und richtigen herabmindern zu wollen), zwei Aspekte, die ein wesentliches Licht auf die Auseinandersetzungen um einen Angriff werfen.
Zum ersten: Benedikt XVI. hat es nie gescheut, in Löwengruben zu steigen, und zweifellos wurde er nie davon überrascht, mit welchem Aggressionspotential gewisse Schichten der Gesellschaft und der Kirche auf sein Werk der Erneuerung des Glaubens, der Rückführung des christlichen Bewusstseins auf seinen Mutterboden, hinein in seine tiefsten Wurzeln reagierten und reagieren. Man denke allein an die Predigt Kardinal Ratzingers zur Heiligen Messe Pro eligendo Pontifice, mit der das Konklave 2005 seinen Anfang genommen hatte.
Der Angriff des Mannes, der dann als Benedikt XVI. aus jenem Konklave hervorgehen sollte, kristallisierte sich in einem Wort: Relativismus. Der künftige Papst ließ erkennen, dass es darum geht, in einer Welt zu kämpfen, die so lebt, als ob es Gott nicht gäbe, und in innerer Widersprüchlichkeit den Relativismus als absolute Wahrheit dogmatisch zur einzigen Denk- und Handlungsart erklärt.
Benedikt XVI. hat stets mutvoll angegriffen, auch wenn es schwer fällt, dieses kriegerische Wort mit dem gütigen und liebevollen Mann in Verbindung zu bringen, der von so vielen gerade auch ob der von ihm ausstrahlenden Milde geliebt wird. Aber dennoch: 2005 greift der Papst in der Weichnachtsansprache vor der Römischen Kurie die Missinterpretationen des II. Vatikanischen Konzils im Horizont einer Hermeneutik des Bruchs an.
2006 greift er in Regensburg die Sicherheit des modernistischen Weltbildes an, das Glaube und Vernunft auseinanderdividieren will und die alleinige Herrschaft über das als vernünftig Erklärte beansprucht; im selben Zug griff der Papst einen interreligiösen Dialog an, der sich auf Schulterklopfen beschränkt und die Auseinandersetzung mit der Wahrheit scheut.
Benedikt XVI. ist dann der Papst der nichtverhandelbaren Werte und greift ständig ein brüchiges relativistisches und irrationales Wertesystem an, indem er vor die Wahrheit des Menschen bringen will, der allein in Gott seine Erfüllung findet und Gott gegenüber für sich, die anderen und die Schöpfung verantwortlich ist. Viele weitere Beispiele könnten angeführt werden, aus denen hervorgeht: Benedikt XVI. ist ein revolutionärer Papst.
Nicht umsonst gehört das Wort Revolution, das ansonsten im katholischen Bereich einen eher negativen Beigeschmack hat, zu den Kernworten des Pontifikats: Es geht um die Revolution Gottes, es geht um alles Zerstörung und ewige Verdammnis oder Heil.
Tertium non datur. Die Menschheitsgeschichte ist unwiderruflich durch den Willen Gottes in die Geschichte Gottes mit der Welt eingelassen, mit allen Folgen. Aus diesem Grund ist die Kirche dazu verpflichtet, zu missionieren, alle, ohne Unterschied und Ausnahmen.
Ohne einen zweiten und wesentlichen Aspekt zu beachten, ist es jedoch unmöglich, die gelebte Lehre und Haltung Benedikts XVI. zu verstehen. Dieser Aspekt ist metaphysischer Natur. Für den Papst scheint es eindeutig zu sein, dass sich die Menschheit in einer entscheidenden Schlacht befindet, die der Widersacher gegen sie entfacht hat. Dies fällt dem großen Gegner umso leichter, weil es die Christenheit nicht unterlassen hat, sich ihres Prinzips und Fundaments zu berauben: der undiskutierten Anerkennung Christi als des einzigen Retters, als des einzigen Herrn.
In weiten Teilen der Kirche scheint das Salz schal geworden zu sein, was die Erstbedingung der Möglichkeit für das zerstörerische Wirken des Gegners ist. Der Papst und der mystische Leib Christi, die Kirche, stehen im Schussfeld dessen, der eine Möglichkeit erkannt hat, in diesem historischen Augenblick einen entscheidenden Schlag führen zu können. Wie sollte man sich da nicht an die Worte des Engels an die Gemeinde von Laodizea aus der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes erinnert fühlen? Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.
Du behauptest: Ich bin reich und wohlhabend und nichts fehlt mir. Du weißt aber nicht, dass gerade du elend und erbärmlich bist, arm, blind und nackt. Darum rate ich dir: Kaufe von mir Gold, das im Feuer geläutert ist, damit du reich wirst; und kaufe von mir weiße Kleider und zieh sie an, damit du nicht nackt dastehst und dich schämen musst; und kaufe Salbe für deine Augen, damit du sehen kannst. Wen ich liebe, den weise ich zurecht und nehme ihn in Zucht. Mach also Ernst und kehr um! (Offb 3,15-19)
So erklärte Benedikt XVI. in seiner Predigt zum Abschluss des Priesterjahres (11.6.) auf einem übervollen Petersplatz: Es war zu erwarten, dass dem bösen Feind dieses neue Leuchten des Priestertums nicht gefallen würde, das er lieber aussterben sehen möchte, damit letztlich Gott aus der Welt hinausgedrängt wird. So ist es geschehen, dass gerade in diesem Jahr der Freude über das Sakrament des Priestertums die Sünden von Priestern bekannt wurden vor allem der Missbrauch der Kleinen, in dem das Priestertum als Auftrag der Sorge Gottes um den Menschen in sein Gegenteil verkehrt wird.
Ein Einfalltor des Feindes ist die Korruption, der Verrat des Klerus, des Priesters, der seiner Berufung, ein alter Christus zu sein, entgegenhandelt und auf diese Weise den höchsten Gottesfrevel vollbringt. Das Gegenmittel? Umkehr, Buße, die Erkenntnis, dass der Widersacher sich der Hirten bedient, um die ganze Herde in den Abgrund zu führen.
Im Verlauf seiner Reise nach Portugal hatte es Benedikt XVI. dann nicht versäumt, sich auf das dritte Geheimnis von Fatima zu beziehen. Während seines Fluges erklärte er gegenüber den an Bord anwesenden Journalisten (11.5.2010): Der Herr hat uns gesagt, dass die Kirche auf verschiedene Weise immer leiden würde bis zum Ende der Welt.
Wichtig ist dabei, dass die Botschaft, die Antwort von Fatima im Wesentlichen nicht auf bestimmte Andachtsübungen abzielt, sondern auf die grundlegende Antwort, das heißt die ständige Umkehr, die Buße, das Gebet und die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe.
Die Botschaft von Fatima ist für Benedikt XVI. kein abgeschlossenes Kapitel der jüngsten Kirchengeschichte: Unter dem Neuen, das wir heute in dieser Botschaft entdecken können, ist auch die Tatsache, dass die Angriffe gegen den Papst und die Kirche nicht nur von außen kommen, sondern die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert. Benedikt XVI. scheut sich nicht, das schreckliche Wort auszusprechen: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche. Und darum ist es für die Kirche zutiefst notwendig, dass sie neu lernt, Buße zu tun, die Reinigung anzunehmen.
Buße, Reinigung, der Mut, sich in der Gemeinschaft der Kirche, genährt am eucharistischen Leib Christi, allen Widersachern von Innen und Außen entgegenzustellen: Dies ist der unumgängliche Weg der Reform, der Weg der treuen Christenschar, die sich dem Widersacher widersetzt und Benedikt XVI. folgt, der allen voran das Heereszeichen trägt, unter dem der Kampf geführt wird: das heilige Antlitz Christi, des göttlichen Logos, dem im wahren Gottesdienst zu folgen ist, in dem sich die Göttliche Liturgie des Himmels widerspiegelt.
Dr. Armin Schwibach ist seit 1. September 2010 Romkorrespondent von Kath.Net
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