Bischof Müller und die Vorgaben Roms zum Kirchenaustritt

13. September 2010 in Deutschland


In der aktuellen Debatte um den Zusammenhang von Kirchensteuer, Kirchenaustritt und Exkommunikation gibt es einen neuen Präzedenzfall - Anmerkungen zur jüngsten Erklärung des Bistums Regensburg - Ein Gastkommentar von Dr. Christian Spaemann


Regensburg (kath.net)
Die Diskussion rund um die Folgen und Nichtfolgen eines "Kirchenaustritts" in Deutschland geht weiter. Das Bistum Regensburg hat vergangene Woche auf das Schreiben von Erzbischof Coccopalmerio, dem Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, reagiert. Dieser hatte in einem Schreiben an einen deutschen Katholiken daran erinnert, dass das Vatikanschreiben über die (Nicht)folgen eines Kirchenaustritts aus dem Jahre 2006 universal gelte und eine Stellungnahme der Deutschen Bischöfe aus dem selben Jahr keine Rechtskraft hat. Kath.Net hat berichtet.

Kath.Net möchte die Diskussion fortsetzen und veröffentlicht heute an dieser Stelle einen Gastkommentar von Dr. Christian Spaemann:


In der aktuellen Debatte um den Zusammenhang von Kirchensteuer, Kirchenaustritt und Exkommunikation gibt es einen neuen Präzedenzfall. Aus Empörung über eine finanzielle Verstrickung der Caritas in einen Versicherungskonzern, mit dessen Vorgehensweise er persönlich konfrontiert wurde und dessen Aktivitäten offensichtlich mit den Zielen der Kirche nichts zu tun haben, trat Dr. Janker aus Altomünster in Bayern aus der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts vor dem Meldeamt seiner Heimatstadt aus.

Zugleich erklärte er dem zuständigen Regensburger Bischof Müller, dass er sich weiter zum Glauben und zur Kirche bekennen würde. Er berief sich dabei auf die inzwischen gut vier Jahre alten, von Papst Benedikt XVI. approbierten Normen des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, die in deutschen Landen immer noch ihrer Umsetzung harren.

Nach Ihnen dürfen Katholiken, die vor einer staatlichen Behörde aus der Kirche austreten, nicht automatisch als exkommuniziert, d. h. als nicht mehr zur sakramentalen Gemeinschaft der Gläubigen zugehörig betrachtet werden. Es muss nämlich zuvor bei jedem einzelnen durch eine kirchliche Autorität die Motivation für den Kirchenaustritt geprüft werden. Nur solche Motive, die den Abfall vom Glauben betreffen oder den Willen beinhalten, sich von der Gemeinschaft der Gläubigen zu trennen, werden nach den römischen Anordnungen vom 13. März 2006 als Exkommunikationsgrund akzeptiert.

Auf Anfrage erhielt Dr. Janker vor kurzem ein Schreiben von Erzbischof Francesco Coccopalmerio, Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, in dem die Geltung dieser Normen für die deutschen Bistümer ausdrücklich bestätigt wurde.

Dieses neuerliche Schreiben aus Rom scheint Bischof Müller wenig zu beeindrucken. Die jüngste, offensichtlich aus seiner Feder stammende Erklärung der Diözese Regensburg bemüht sich weiter, den deutschen Sonderweg in der Interpretation des Kirchenrechts zu rechtfertigen. Sie befindet sich hierbei ganz auf der Linie der deutschen Bischöfe, die bereits gut einen Monat nach Veröffentlichung der Normen in einer Erklärung vom 24. April 2006 behaupteten, dass das Schreiben aus Rom mit der deutschen Situation gar nichts zu tun habe.

Dies, obwohl das Schreiben gerade auf die Situation in den deutschsprachigen Ländern gemünzt war und durch die Anfrage eines deutschen Bischofs zum Eherecht veranlasst wurde.

Entgegen den Vorgaben aus Rom formulierten die deutschen Bischöfe damals, dass jeder, der aus der Kirche vor einer staatlichen Behörde austrete, automatisch exkommuniziert und sein Austritt im Taufbuch zu vermerken sei. Bis auf einige wenige Erklärungen, von denen die des Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller besonders hervorstachen, wurde in der Folge dieses Thema von Seiten der offiziellen Kirche totgeschwiegen und ein ehrlicher Diskurs in den kirchlich finanzierten Medien unterdrückt.

Die jüngste Erklärung der Diözese Regensburg muss auf dem Hintergrund der bisherigen Äußerungen Bischof Müllers zu diesem Thema verstanden werden. Bereits im Jahre 2006 antwortete der Bischof In einem Interview mit dem katholischen Nachrichtenportal Kath Net auf die Frage, wie die Haltung der deutschen Bischöfe mit dem Schreiben aus Rom zusammen passt, dass „… hier nicht gegen eine römische Entscheidung sondern in der richtigen Umsetzung“ gehandelt würde.

Der Kirchenaustritt sei eine „Erklärung …, dass man mit dem Glauben und der Kirche nichts mehr zu tun haben will.“ In einem ausführlichen Interview zu diesem Thema mit der Passauer Neuen Presse vom 10. Oktober 2009 greift dann Bischof Müller die Erklärung aus Rom direkt an. Sie müsse in einigen Punkten dogmatisch besser mit der sakramentalen Verfasstheit der Kirche in Einklang gebracht werden. Nach Müller bestünde eine Identität zwischen der Kirche als sakramental verfasster, sichtbarer Gemeinschaft und ihrem Status als Körperschaft öffentlichen Rechts.

Als eine Art Bindebegriff spricht er von der Kirche als einem „sichtbaren Gesellschaftskörper“, wobei der zivilrechtliche Kirchenaustritt bedeute, „…sich von der Kirche des lebendigen Gottes öffentlich loszusagen“.

Andere Motive, wie der Wunsch Geld zu sparen oder Ärger über kirchliche Amtsträger könnten hierfür kein Grund sein. Daher sei eine weitere Teilnahme an der sakramentalen Gemeinschaft mit Christus nicht möglich. Da der einzelne Katholik durch die Taufe der Kirche unlösbar angehöre, sei ein Kirchenaustritt theologisch gar nicht möglich. Daher sei „ein Kirchenaustritt, der zu seiner Gültigkeit der Erklärung gegenüber dem zuständigen Pfarrer bedürfe,… sowohl zivilrechtlich, als auch theologisch ein Nonsens.“

Im Folgenden sei auf die Argumente Bischof Müllers im Einzelnen eingegangen:

Die Behauptung, dass derjenige, der vor der staatlichen Einrichtung seinen Austritt erklärt damit zeigen würde, dass er mit dem Glauben und der Kirche nichts mehr zu tun haben will lässt die Frage aufkommen, auf welche seelsorgerischen Erfahrungen Bischof Müller seine Behauptung gründet.

Nach dem Freiburger Kirchenrechtler Gernot Bier reicht bereits ein einziger Fall, der eine andere Motivationslage zeigt, aus, um solch eine Auffassung empirisch zu widerlegen. Mir selber sind hierzu so viele Gegenbeispiele bekannt, dass ich damit ein ganzes Buch füllen könnte. Zahlreiche erfahrene Seelsorger haben mir diese Erfahrungen bestätigt. Der Mensch ist nicht so rational, wie sich das manch ein Theologe vorstellt.

Der Akt des Kirchenaustritts kommt sehr wohl häufig aus anderen Motivationen, als die des Bruchs mit den konstitutiven Elementen des kirchlichen Lebens. Stattdessen kann er sich nur auf einzelne Aspekte der Kirche beziehen, die für den Betroffenen im Vordergrund seines Bewusstseins stehen. Die Aussage von Bischof Müller, dass glaubensferne Motive kein Grund sein könnten, um sich öffentlich von der Kirche loszusagen, stellt mehr ein Apell, als eine Beschreibung der Tatsachen dar. Es kommt doch darauf an, wie die einzelnen Menschen, die aus der Kirche austreten, diesen Vorgang subjektiv sehen und welches Kirchenbild den Menschen durch die gegenwärtige starre Verbindung von Kirchensteuer und Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft vermittelt wird.

Der Behauptung Bischof Müllers, dass die Erklärung aus Rom dogmatisch fragwürdig sei und die sakramentale Verfassung der Kirche zu wenig berücksichtige ist entgegenzuhalten, dass hier genau das Gegenteil der Fall ist.

Indem die römischen Normen darauf besteht, dass der Abfall von der Glaubensgemeinschaft nicht anonym vor einer staatlichen Meldebehörde, sondern gegenüber einer kirchlichen Autorität erfolgen und von dieser geprüft werden muss, schützt es gerade diese sakramental-amtliche Verfassung der katholischen Kirche vor deren Aushöhlung.

Bischof Müller beschwört eine Identität zwischen der Kirche qua Körperschaft öffentlichen Rechts mit der sakramental verfassten Kirche als Leib Christi. Es gibt allerdings gute Gründe genau diese Identität in Frage zu stellen. Es ist die Ansicht jener Kanonisten zu berücksichtigen, nach welcher der Mensch durch die Taufe der universalen Kirche eingegliedert ist, deren Strukturen als solche keine Rechtsform in irgendeinem Staat präjudizieren.

Wie sollten sie auch? Die Kirche in Deutschland hat die Rechtsform einer Körperschaft ja nur angenommen, um als Teilkirche der universalen Kirche in diesem Land gesellschaftlich agieren zu können. Es ist daher schwer nachzuvollziehen, warum gerade dieser Körperschaftsstatus mit der sakramental verfassten sichtbaren Kirche zu identifizieren sei, wie dies Bischof Müller insinuiert.

Missverständlich sind in diesem Zusammenhang die Aussagen von Bischof Müller zum unlösbaren Band, das den Getauften mit der Kirche verbindet, weshalb „ein Kirchenaustritt, der zu seiner Gültigkeit der Erklärung gegenüber dem zuständigen Pfarrer bedürfe,… sowohl zivilrechtlich, als auch theologisch ein Nonsens“ sei.

Müller rückt hier das römische Schreiben in ein schiefes Licht, indem er die theologische Wahrheit von dem unlösbaren Band der Taufe mit der Frage nach den Kriterien für eine Exkommunikation vertauscht. Das Schreiben bezieht sich expressis verbis nur auf die Exkommunikation, also die bereits in apostolischer Zeit bezeugte Möglichkeit des Ausschlusses aus der Glaubensgemeinschaft auf Grund von Glaubensabfall oder schwerer sittlicher Verfehlungen (z.B. 1 Tim 1,19-20; 1 Kor 5,1-5) und nicht auf den sog. character indelebillis, das untilgbare „Prägemal“, welches besagt, dass bestimmte Sakramente die Person, die sie empfangen hat, unauslöschlich und unwiderruflich prägen und mit der Kirche verbinden.

Die jüngste Erklärung aus Regensburg stellt eine Fortsetzung der bisherigen Stellungnahmen Bischof Müllers dar, ohne diese inhaltlich zu erweitern. Entgegen den Anordnungen Roms und entgegen zahlreichen pastoralen Erfahrung wird durch die Behauptung, dass sich „der Austretende ... öffentlich und rechtlich von der Glaubensgemeinschaft lossagt“ weiterhin pauschal behauptet, dass mit jedem Kirchenaustritt vor der staatlichen Behörde ein schismatischer Akt intendiert sei und dadurch die Tatstrafe der Exkommunikation eintrete.

Die in der Regensburger Erklärung gemachte Feststellung, „dass Austretende weiterhin durch die Taufe mit der Kirche und mit Christus verbunden bleiben“ stellt in diesem Zusammenhang eine Irreführung dar.

Wieder wird hier der character indelebillis angesprochen um den es in diesem Zusammenhang gar nicht geht. Die Irreführung besteht auch darin, dass hier der Ernst des wirklichen Glaubensabfalls verharmlost wird, da man ja „mit der Kirche und mit Christus verbunden“ bleibt. Der character indelebillis ist hier missverständlich beschrieben.

Schließlich beschreibt dieser Begriff gerade nicht die glaubensmäßige Verbundenheit des einzelnen mit Christus und der Kirche, sondern ein „Prägemal“, das nach Auffassung der Kirche auch bei getauften Menschen, die ungläubig sind, ja bis in die Hölle hinein fortbesteht.

Mit dem Hinweis auf die vermeintliche weitere Verbundenheit mit Christus und der Kirche wird zugleich auch das Gewicht einer Exkommunikation heruntergespielt, offenbar in der Absicht, über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass die im Kirchenrecht klar definierte Exkommunikation für den Tatbestand des Nichtzahlens einer bestimmten Menge von Geld nicht in Frage kommt und eine unverhältnismäßig schwere Strafe darstellt für deren Folgen für das weitere Glaubensleben der Betroffenen Bischof Müller in seiner Diözese die Verantwortung trägt.

Eigentlich müsste einen Bischof die Frage umtreiben, wie er es vermeiden kann, dass Menschen aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen werden, obwohl sie der Kirche gegenüber nie ihren Abfall vom Glauben bekundet haben. Als oberster Hirte seiner Diözese müsste er eigentlich darum ringen, dass der automatische Zusammenhang von Körperschaftsaustritt vor einer staatlichen Behörde und vermeintlicher Exkommunikation gelöst und ein persönlicher Kontakt zu den Gläubigen hergestellt wird.

Während die Österreichischen und teilweise die Schweizer Bischöfe mit Erfolg dabei sind, die Normen aus Rom umzusetzen und neue Wege im Umgang mit denjenigen zu finden, die vor der staatlichen Behörde ihren Austritt erklären, scheinen sich die Bischöfe der Bundesrepublik immer noch schwer damit zu tun, eine innerkirchliche Diskussion über dieses Thema zu eröffnen und Wege zu finden, die für die Ziele der katholischen Kirche notwendigen Mittel ohne Exkommunikationsandrohungen zu erzielen. Aus pastoralen Gründen, aber auch zur Verhinderung eines Ansehens- und Autoritätsverlustes bei den Gläubigen und in der Öffentlichkeit, ist auf eine Kehrtwende in dieser Angelegenheit zu hoffen.

Vatican: ACTUS FORMALIS DEFECTIONIS
AB ECCLESIA CATHOLICA

Kath.Net: Bistum Regensburg: Austretende schaden der Einheit der Kirche

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