21. September 2010 in Aktuelles
Kardinal Zen Ze-kiun, emeritierter Bischof von Hongkong, kritisiert die chinesische Regierungspolitik, die die papsttreuen Katholiken in den Untergrund zwingt.
Hongkong (kath.net/KIN)
Die katholische Kirche in China wächst seit Jahren und befindet sich gegenüber der Regierung dennoch nach wie vor in der Defensive. Das betrifft sowohl die "offizielle" katholische Kirche unter dem Dach der von der chinesischen Regierung gesteuerten "Patriotischen Vereinigung" als auch die katholische "Untergrundkirche", die sich der Steuerung durch die Regierung entzieht. Grund für diese zweigleisige Realität ist die Haltung Chinas, die lediglich eine nationale Kirche ohne Einflussnahme von außen duldet. Eine "Weltkirche" mit dem Papst an der Spitze ist gemäß dieser Haltung undenkbar. Dem emeritierten Bischof von Hongkong, Joseph Kardinal Zen Ze-kiun, wurde wegen seiner Kritik an diesen Zuständen bereits mehrmals Einreiseverbot nach China erteilt. Im Interview mit dem weltweiten katholischen Hilfswerk "Kirche in Not appelliert er erneut an die chinesische Regierung, ihre Einstellung zu überdenken.
Das Interview führte André Stiefenhofer / KIN.
Eminenz, es gibt inzwischen Stimmen auch aus dem Vatikan, die in Anbetracht der wachsenden katholischen Kirche in China sagen, dass man im "Reich der Mitte" Katholik sein könne, ohne Probleme mit der chinesischen Regierung zu bekommen. Was antworten Sie diesen Stimmen?
Ich glaube nicht, dass der Heilige Stuhl selbst so etwas jemals gesagt hat. Papst Benedikt XVI. hat zwar immer betont, dass es keinen Widerspruch darstellt, ein guter Katholik und gleichzeitig ein guter Bürger zu sein, aber es ist auch klar, dass in China keine allzu gute Religionspolitik betrieben wird. Die Religionspolitik Chinas hat sich in ihren Grundzügen seit den Zeiten der Kulturrevolution nicht grundsätzlich geändert. Die Regierung besteht nach wie vor auf einer von Rom unabhängigen Kirche und auf der Autorität der "Patriotischen Vereinigung". Beides ist für Katholiken nicht akzeptabel. Der Heilige Vater hofft darauf, dass die chinesische Regierung einsieht, dass das religiöse und keine politischen Fragen sind. Unser Bestreben ist nicht gegen die Regierung gerichtet. Es gehört einfach zur katholischen Kirche, dass sie eine universale, vereinigte Weltkirche unter der Leitung des Heiligen Vaters ist und nicht in voneinander unabhängigen nationalen Kirchen handelt. Das bedeutet auch, dass wir auf diözesaner Ebene nicht von einer "Patriotischen Vereinigung" geleitet werden können, sondern von einem vom Papst ernannten Bischof. Daher muss die Regierung den Bischöfen ihre volle Autorität zurückgeben. Es ist also nicht wahr, dass wir keine Probleme haben. Im Gegenteil: es gibt viele Probleme.
In den Medien sehen wir aus China immer wieder Bilder mit vollen Kathedralen, in denen Katholiken die Heilige Messe feiern und beten. Deutet das nicht auf größere Toleranz seitens der Regierung hin?
Tatsächlich sind die Kirchen offen, es wurden sogar große und schöne Kirchen neu gebaut, andere wurden renoviert. Die Gläubigen können zum Gottesdienst gehen, singen und die Liturgie feiern. Aber nicht nur das ist Kirche. Die Kirche muss auch organisiert werden. Diese Organisation mag sich von Zeit zu Zeit verändern, aber grundsätzlich gibt es für sie unveränderliche Regeln, die von Jesus Christus vorgegeben wurden. Jesus hat die Apostel dazu erwählt, die Grundlage der Kirche zu sein. Unter den Aposteln ist der heilige Petrus das Oberhaupt. Für uns heißt das heute, dass der Papst und die Bischöfe die Oberhäupter der Kirche sein müssen. Aber in China ist es heutzutage eben die "Patriotische Vereinigung", die die Kirche leitet. Und die Anweisungen für die "Patriotische Vereinigung" kommen von der Regierung. Den Bischöfen ist es zum Beispiel nicht erlaubt, den Papst frei zu kontaktieren. Das ist irregulär und keine volle Freiheit.
Hat sich das Verhalten der chinesischen Regierung gegenüber der katholischen Kirche seit 1955 nicht geändert?
Nicht substanziell. Man kann natürlich sagen, dass es früher nicht einmal möglich war, für den Heiligen Vater während der Heiligen Messe zu beten. Das ist nun erlaubt, aber ich sehe darin keine große Veränderung und es ist keinesfalls genug. Der Papst ist nicht nur ein geistlicher Führer, sondern das wirkliche Oberhaupt der Kirche. Man kann alles, was geschehen ist, zwar durchaus als kleinen Fortschritt sehen, denn es ist tröstlich für die Menschen, dass sie in der Kirche den Namen des Papstes aussprechen dürfen. Aber das ist noch lange nicht genug! Dem Bischof sollte es erlaubt sein, den Papst zu besuchen, um mit ihm zu sprechen. Umgekehrt sollten Bischöfe von außerhalb nach China reisen dürfen, um mit ihren Amtsbrüdern zu sprechen. Aber das ist nicht erlaubt. Auch ich darf nicht nach China einreisen und dort Bischöfe besuchen. Das ist doch nicht normal!
Ein Priester aus Shanghai sagte uns, dass es in China eine Kirche "auf zwei Ebenen" gebe: die offiziell anerkannte Kirche unter dem Dach der "Patriotischen Vereinigung" und die so genannte Untergrundkirche. Wie verhalten sich diese beiden Ebenen zueinander?
In Shanghai sind diese beiden Ebenen getrennt, aber man kämpft nicht gegeneinander jeder geht seine Wege. Die offizielle Kirche hat natürlich viel mehr Möglichkeiten. Sie hat ein großes Seminar und schöne Kirchen. Aber sie wird sehr stark von der Regierung kontrolliert. Die Untergrundkirche entzieht sich dagegen der Kontrolle der Regierung. Dadurch ist sie ständig in Gefahr. Die Regierung könnte jederzeit ihre Priester verhaften lassen. Daher ist es für die Untergrundkirche in Shanghai nicht möglich, Priesterseminare zu unterhalten oder Kirchen zu bauen. Im Norden Chinas ist das anders. Dort gibt es große Gemeinschaften der Untergrundkirche, die durchaus eigene Kirchen haben dürfen. Dort ist die Untergrundkirche nur in geistigem Sinne im "Untergrund", nicht wie in Shanghai, wo sie nur in Privatwohnungen die Heilige Messe feiern darf und wirklich "im Untergrund" lebt. Die Gläubigen der Untergrundkirche dürfen sich nicht öffentlich treffen und nicht reisen. Kurz gesagt: Sie leiden unter vielen Einschränkungen. Aber dennoch lehnen sie es ab, den Weisungen der Regierung zu folgen. Sie sehen also, dass beide "Ebenen" der katholischen Kirche in China auf unterschiedliche Weise unterdrückt werden.
Welche Zukunft sehen Sie für die Kirche in China, wenn dieser Zustand so weiter geht?
Das hängt von der Regierung ab. Wenn sie die katholische Kirche als "allumfassende" Weltkirche anerkennt und den Papst die Bischöfe ernennen lässt, werden alle Katholiken vereint sein und wir haben keine Probleme mehr. Dann kommt die Untergrundkirche nach oben und wird zur normalen Kirche. Es liegt also an der Regierung, ihre falsche Politik zu ändern. Die Untergrundkirche kann sich nicht in die Strukturen zwängen, die von der Regierung eingerichtet wurden. Denn diese Strukturen sind ungesetzlich und gegen die Doktrin der Kirche. Die offizielle Kirche hingegen ist schon in Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater. Er hat nicht von ihr verlangt, sich offiziell gegen die prekäre Lage zu äußern, in der sich die Kirche in China befindet. Nichtsdestotrotz sollte die offizielle Kirche Schritt für Schritt darauf hinarbeiten, die Situation zu verändern. Wenn die offizielle Kirche das nicht will, gibt es keine Lösung.
Gibt es Hoffnung, dass die chinesische Regierung ihre Meinung so drastisch ändern könnte?
Ich glaube schon, denn heutzutage haben die Regierungsmitglieder doch die ganze Welt bereist und kennen die weltweite Situation. Sie müssen doch verstehen, dass die katholische Kirche überall dieselbe ist. Egal, ob in den USA, in Deutschland, Frankreich, Italien, in England oder wo auch immer. Warum also kann die Kirche nicht auch in China so sein wie überall sonst auf der Welt?
Nun wird China aber im Gegensatz zu den eben genannten Ländern kommunistisch regiert. Glauben Sie nicht, die Regierung hat Angst, dass die katholische Kirche ähnlich wie einst in Polen auf den Sturz des Kommunismus hinwirken könnte?
Vielleicht fürchtet sie das wirklich, aber diese Furcht ist völlig unbegründet. Denn im Gegensatz zur damaligen Situation in Polen ist die Zahl der Gläubigen in der katholischen Kirche Chinas so verschwindend klein, dass ich da nicht die geringste Wahrscheinlichkeit sehe.
Nächstes Jahr wird "Kirche in Not" Ihren Nachfolger auf dem Bischofsstuhl von Hongkong, Bischof John Tong Hon, auf dem 4. Internationalen Kongress "Treffpunkt Weltkirche" in Würzburg zu Gast haben. Wird er seine Meinung frei sagen können?
Selbstverständlich wird er seine Meinung sagen. Er hat schon viel Kritisches über die chinesische Religionspolitik geäußert und steht dazu. Er vertritt dieselben Positionen, die auch ich vertrete, und wir haben uns in unserer Meinung über die Kirche in China verständigt. Ich freue mich sehr, dass Sie ihn eingeladen haben!
© Foto: Kirche in Not
© 2010 www.kath.net