Antoni Gaudi und sein steinerner Hymnus auf Gott

26. Oktober 2010 in Chronik


Der große katalonische Architekt, für den ein Seligsprechungs-verfahren läuft, widmete mehr als die Hälfte seines Lebens der Sagrada-Familia-Basilika, einem Jahrhundertprojekt - Benedikt XVI. weiht am 7. November Altar der berühmtesten Kirche Barce


Madrid (kath.net/KAP)
Am Wiener Stephansdom wurde mehr als 150 Jahre gebaut, bis er seine heutige Gestalt im wesentlichen erreicht hatte; der Bau des Petersdoms währte 120 Jahre. Die Grundsteinlegung für die Sagrada Familia in Barcelona erfolgte 1882. Erst 128 Jahre später, am 7. November 2010, wird sie zur Kirche; dann weiht Papst Benedikt XVI. während seines Spanienbesuchs den marmornen Altar.

Rund ein Drittel des Gesamtprojektes harrt jedoch noch der Umsetzung. Wann Antoni Gaudis (1852-1926) Lebensprojekt vollendet sein wird, wagt sein sechster Nachfolger als Chefarchitekt der
Kathedrale, der 85-jährige Jordi Bonet, nicht zu sagen. Er zitiert bei solchen Gelegenheiten seinen großen und gottesfürchtigen Lehrmeister Gaudi, für den seit dem Jahr 2000 ein Seligsprechungsverfahren läuft: "Mein Klient hat keine Eile."

Es mutet tragisch an, dass der berühmteste katalanische Architekt just auf dem Weg zur Baustelle der Sagrada Familia tödlich verunglückte. Am 7. Juni 1926 kam Gaudi gerade von seinem
allmorgendlichen Besuch im Oratorium des heiligen Philipp Neri, als ihn eine Straßenbahn erfasste. Drei Tage später, am 10. Juni 1926, starb er. Tausende Bewohner Barcelonas gaben dem großen Sohn der Stadt die letzte Ehre. Die Regierung ordnete seine Beisetzung in der Krypta der noch längst nicht vollendeten Sagrada Familia an, der Papst gab seinen Sanctus dazu. Antoni Gaudi fand seine letzte Ruhestätte dort, wo er die längste Zeit seines Lebens gearbeitet hatte.

Die "Kathedrale" war ihm mehr als ein Auftrag gewesen, sie wurde ihm Mission und Passion, ein Stein gewordener Hymnus auf Gott. Gaudi hatte sein eigenes Vermögen in das Projekt gesteckt, er vernachlässigte sein Äußeres, weshalb er nach seinem Straßenbahn-Unfall zunächst - unerkannt - in ein Armenhospital gebracht wurde. In seinen ausgebeulten Taschen find man lediglich eine Handvoll Rosinen und Erdnüsse sowie eine zerknitterte Ausgabe des Evangeliums. Einen Tag später identifizierte ein Geistlicher den Sterbenden im Armenkrankenhaus. Gaudis Freund und engster Mitarbeiter Domenech Sugranyes besorgte ihm ein Privatzimmer. Doch Gaudi starb dort noch am selben Tag.

Nähe von Genie und Wahnsinn Antoni Gaudi y Cornet wurde knapp 74 Jahre davor, am 25. Juni 1852, als fünftes und letztes Kind eines Metallarbeiters in Reus unweit von Tarragona geboren. Schon mit 15 Jahren veröffentlichte er Zeichnungen und zeigte Begeisterung für das idealisierte Mittelalter, wie es die Romantik entwarf. Zwei Jahre später zog er zum Architekturstudium nach Barcelona. Der Direktor des dortigen Instituts sollte nicht der einzige bleiben, der bei Gaudi die sprichwörtliche Nähe von Genie und Wahnsinn konstatierte.

Bei allem Boheme-Leben blieb Gaudi stets seiner Herkunft aus dem Volk treu und sympathisierte mit dem utopischen Sozialismus. Niederschlag fand dies in seinem Entwurf zu einer Arbeitersiedlung. Später suchte er christliche Antworten auf die soziale Frage. Öffentliche Anerkennung blieb ihm weitgehend versagt. Dafür säumten Mäzene seinen Lebensweg und überhäuften ihn mit Aufträgen. So entstanden jene kühnen Gebäude wie die Casa Vicens in maurischem Stil, das Herrenhaus El Capricho oder der Palacio Güell. Die einzigartigen Pavillons am Eingang des Park Güell sind noch heute Pilgerstätten für Architekturstudenten.

Die Krönung seines Lebenswerkes sollte die Sagrada Familia werden. Vom Park Güell, hoch über Barcelona gelegen, sieht sie wie eine überdimensionale Sandburg aus. Sollte sie einmal vollendet sein, wird ein Mittelturm über dem Hauptaltar das dann 18-türmige Bauwerk krönen. Mit 170 Metern wird er die jetzt schon vorhandenen Glockentürme um 70 Meter überragen.
Schon mit 31 Jahren hatte Gaudi die Bauleitung übernommen. Die Sagrada Familia sollte als Sühnekirche entstehen und nur durch Spendenmittel finanziert werden. Der Architekt ging schließlich selbst mit dem Hut durch die Straßen. Wachsende Kosten zögerten die Fertigstellung immer weiter hinaus. Entscheidender aber war, dass Gaudi während der Konstruktion immer neue Ideen entwickelte. Im Alter widmete sich der Architekt in mystischer Einsamkeit ganz "seiner" Kathedrale. Im Mittelpunkt der Konzeption des Gotteshauses steht die Kirche als mystischer Leib Christi. Auf ihn soll der - noch zu bauende - Mittelturm über dem Hauptaltar hinweisen, während die jeweils vier Türme an den drei Fassaden die Apostel stellvertretend für das Gottesvolk symbolisieren. Die Fassaden selbst widmen sich dem Wirken Jesu: Leben, Tod und Auferstehung.

In Stein gehauenes Evangelium
Die Kirche ist nicht ein in Stein gehauenes Evangelium - und in seiner Entstehung ein Spiegel von Gaudis Glauben: "Es handelt sich um ein Bauwerk, das in den Händen Gottes und im Willen des Volkes liegt", hatte der Künstler selbst immer wieder betont.

Im Jahr 2000 wurde offiziell ein Seligsprechungsverfahren für den "Architekten Gottes" eröffnet. Der damalige Erzbischof von Barcelona, Kardinal Ricardo Maria Carles, verteidigte Gaudi gegen Polemiken. Es gebe vielfältige Meinungen über Leben und Lebenswerk des Architekten, räumte er ein. Verschiedene Aspekte der Persönlichkeit Gaudis seien jedoch missverstanden, vergessen oder willkürlich verfälscht worden. Darunter falle auch sein intensives spirituelles Leben. Carles verwies auf Kunstwerke an der Fassade der Kathedrale von Barcelona. Ohne ein tiefes geistiges Leben und eine intensive Beschäftigung mit dem Glauben hätte Gaudi - so die Überzeugung des Kardinals - solche Werke nicht schaffen können.

Copyright 2010 Katholische Presseagentur, Wien, Österreich Alle Rechte vorbehalten.



© 2010 www.kath.net