29. Oktober 2010 in Interview
Der Schweizer Kardinal Kurt Koch ist der neue Beauftragte des Vatikans für die Ökumene. Ein Gespräch über Christen im Heiligen Land, Minarette in Europa und die aktuelle Islam-Debatte - Von Paul Badde / Die Welt
Rom (kath.net/DieWelt)
Als Nachfolger des deutschen Kurienkardinals Walter Kasper amtiert seit Kurzem der ehemalige Baseler Bischof Kurt Koch als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen - eine Art "Ökumene-Minister" des Vatikan. Koch wurde 1950 in Emmenbrücke im Kanton Luzern geboren. Zu seinen ersten Herausforderungen zählte die Organisation einer zweiwöchigen Krisensynode im Vatikan zur Lage der Christen im Nahen Osten. Mit ihm sprach Paul Badde.
DIE WELT: Kaum im Amt, wurden Sie sogleich mit der schwierigen Nahost-Synode konfrontiert. Wie lässt sich deren Idee beschreiben?
Koch: Es sind zwei Wirklichkeiten. Erstens kamen hier verschiedene Kirchen des Nahen Osten einmal zusammen, um sich miteinander zu beraten und Wege in die Zukunft zu suchen. Das Zweite war ebenso wichtig und dringend: Dass die Vielfalt dieser Kirchen einmal der Öffentlichkeit bewusst wird. Wenn die Christenheit im Heiligen Land nur noch Steine und Gebäude als Erinnerungsorte hat und keine Menschen mehr, dann ist hier ein wesentlicher Wert verloren gegangen. Der Nahe Osten ohne die Kirchen wäre ein schreckliches historisches Novum. Dass die ganze Universalkirche für diese Entwicklung Sorge tragen und solidarisch sein muss, ist ein sehr hoher und wichtiger Wert.
DIE WELT: Die Region ist die Wiege der Christenheit. Wie kann noch verhindert werden, dass Christen von dort in Scharen fliehen, weil sie zwischen die Mühlsteine eines Zusammenpralls der Zivilisationen geraten?
Koch: Wesentlich ist natürlich die politische Situation. Der Nahost-Konflikt prägt sehr. Das Ziel, das Papst Benedikt XVI. im Heiligen Land angesprochen hat, ist: dass die Palästinenser und die Israelis ihre eigene Heimat haben. Dass diese Parteien zwei eigene Staaten haben. Darauf ist unermüdlich hinzuarbeiten. Zweitens müssen die Kirchen aber auch selber Kraft und neuen Mut aus ihrem Auftrag und ihrer Geschichte schöpfen.
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DIE WELT: Es bedrohen sie aber nicht nur äußere Feinde. Sind nicht auch ihre Konflikte untereinander bedrohlich - die zum Teil seit 1000 Jahren bestehen?
Koch: Auf der Synode war deutlich, dass man das Gemeinsame zu sehen versucht und merkt, dass man nur gemeinsam stark sein kann. Sicher gibt es viele offene Fragen, und natürlich konnte nicht immer in jedem Detail besprochen werden, wo viele Probleme verankert sind. Doch vorherrschend war ein starker Wille, gemeinsam Wege in die Zukunft zu bahnen.
DIE WELT: Nun waren hier vor allem verschiedene katholische Kirchen zusammengekommen. Ist aber nicht das größte Problem der Ökumene im Nahen Osten der Konflikt mit der orthodoxen griechischen Kirche, von der Katholiken oft nur als Häretiker verachtet werden? Oder gibt es eine substanzielle Bewegung nach vorne seit dem Besuch Paul VI. bei Patriarch Athenagoras in Jerusalem im Jahr 1964?
Koch: Diese Begegnung war ein großartiger Beginn, der in den jahrzehntelangen Gesprächen viele Früchte gebracht hat. Dennoch wurde der Dialog im Jahr 2000 wegen verschiedener Probleme wieder abgebrochen. Doch es ist Papst Benedikt XVI. innerhalb von vier Monaten nach seiner Wahl gelungen, diesen Dialog wieder auf die Beine zu stellen. Klar ist, wir werden mehr Zeit brauchen als ursprünglich geplant.
DIE WELT: Welche Rolle spielt das zerrissene Jerusalem für das Drama der Christenheit?
Koch: Jerusalem ist ein ganz deutliches Abbild für die reale Situation, wie wir sie heute haben, mit den verschiedenen Religionen und vor allem auch den verschiedenen Kirchen, den verschiedenen Liturgien. Die Streitereien über die genauen Orte, wo man was feiert, ist aber auch schon ein Zeichen dafür, wie es in Zukunft nicht weitergehen sollte mit dieser Zerspaltenheit der Christenheit. Insofern ist ein Besuch in Jerusalem immer sehr schön, weil man an die Ursprünge zurückkommt, aber auch traurig, wenn man die konkrete Lage sieht.
DIE WELT: Ist Jerusalem nicht auch ein Bild der "vielen Wohnungen im Haus des Vaters"?
Koch: Sicher ist die Vielfalt nicht in sich schlecht. Das zeigte auch die Synode in ihren vielen Farben, wo eigentlich jeden erstaunte, wie äußerst vielfältig die katholische Kirche ist. Das ist ein großer Reichtum. Aber nur, wenn man sich gegenseitig anerkennt und miteinander gemeinsame Wege in die Zukunft sucht. Die Vielfalt und Vielheit ist in sich gut, wenn sie zu gegenseitiger Bereicherung führt. Gerade in Jerusalem kommt deshalb heute noch ein anderes Drama zum Ausdruck. Dass nämlich die allererste Spaltung, die wir haben, die Spaltung zwischen Synagoge und Kirche ist.
DIE WELT: Inwiefern?
Koch: Weil Jerusalem heute ja geradezu ein Modell der Spaltung und Zerrissenheit geworden ist, in der eben auch die Abspaltung des Christentums vom Judentum aufscheint. Paulus hatte gehofft, dass auch diese Spaltung noch einmal aufgehoben wird und wir wirklich wieder zur Einheit kommen, also zu einer Kirche aus Juden und Heiden als dem wahren Volk Gottes. Das sind ganz große Hoffnungen, aber Paulus hat sie immerhin gehabt. Deshalb dürfen wir sie auch weiter hegen.
DIE WELT: Nun war Paulus selbst ein Jude und stand der Synagoge noch viel näher.
Koch: Stimmt, auch auf seinen Reisen ging er ja überall zunächst zur Synagoge und hat zu den Juden gepredigt, erst danach ging er zu den Heiden. Im Römerbrief hat er später genau beschrieben, warum das Evangelium nun eigene Wege ging. Dass er den tieferen Sinn der Ablehnung durch die Mehrheit der Juden so verstand, dass dadurch die Botschaft Jesu zunächst an die ganze Welt getragen würde. Es ist das große Geheimnis, dass Israel das auserwählte Volk bleibt, aber doch den Messias ablehnt. Das ist die große Frage, die ihn beschäftigt.
DIE WELT: Schieben sich jetzt nicht andere Fragen in den Vordergrund? In der "Kurzen Erzählung vom Antichrist", die Wladimir Solowjew vor rund 100 Jahren schrieb, bereitet sich das Ende der Welt in Jerusalem vor. Kürzlich erzählten hier in Rom Mönche aus dem Heiligen Land, dass sie den nächsten fürchterlichen Waffengang im Nahen Osten vor oder nach Weihnachten erwarten. Wurden solche Befürchtungen auch in der Synode laut?
Koch: Eine solche Naherwartung eines solch schlechten Ereignisses habe ich so nicht wahrgenommen. Aber man rechnet damit, dass dieser Konflikt weitergehen und sich zuspitzen wird. Da ist man realistisch genug. Was aber solche konkrete Vorstellungen betrifft, sind alle eher vorsichtig.
DIE WELT: In der Schweiz haben Sie den Streit über die Minarette miterlebt. Was würden Sie danach den Deutschen zu ihrer verspäteten Islam-Debatte sagen?
Koch: Generell habe ich den Eindruck, dass die Politiker die Probleme, die mit dem Islam in Europa verbunden sind, furchtbar unterschätzt haben. In der Schweiz haben wir zum Beispiel einen Rat der Religionen mit Juden, Muslimen und Christen, und wir wollten den Bundesrat frühzeitig für die Probleme sensibilisieren, die mit der Abstimmung über die Minarette thematisiert wurden. Der Bundesrat aber hat diese Frage einfach in den Bereich des Baurechts abschieben wollen. Da wurde nicht wahrgenommen, welche Ängste sich an dieser Minarettfrage angeheftet haben. Diese Ängste der Leute muss aber jeder für wahr und ernst nehmen, der verantwortlich Politik betreibt.
DIE WELT: Und was würden Sie Deutschen raten, die gerade erst wahrzunehmen scheinen, wie eine große islamische Gemeinde längst in ihrer Mitte Fuß gefasst hat?
Koch: Erstens, dass man mit offenen Augen die Realität sieht, wie sie ist. Zweitens, dass man die bestehenden Unterschiede zwischen den Religionen, die auch Unterschiede in der Kultur sind, nicht einfach vom Tisch wischt. Ein wesentlicher Unterschied ist natürlich, dass das Christentum in einer langen Geschichte hat lernen müssen, dass nur die konsequente Trennung von Staat und Religion der Kirche ihren adäquaten Raum und die Form in der Gesellschaft zuweist. Das ist für Muslime schwer nachvollziehbar, für die Religion und Politik, Staat und Glaubensgemeinschaft eine Einheit bilden. Da liegt noch ein ganz großer Konfliktherd begraben.
DIE WELT: Könnten Europas Christen von den Christen im Nahen Osten etwas lernen?
Koch: Gerade in der letzten Frage sehr viel. Von ihnen können wir wie an einem Modell lernen, wie man zusammenlebt mit Muslimen. Wie man mit ihnen einen Dialog führt. Da haben sie einen sehr großen Erfahrungsvorsprung von ihrer Geschichte her. Und da können sie uns helfen. Sie pflegen Kontakte. Wenn man sich nicht kennenlernt, dann bleiben nur die Ängste.
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