Pius XII.: der Papst, der Hitler trotzte

2. November 2010 in Aktuelles


Ein spannender, zweiteiliger Fernsehfilm in der ARD ermöglicht einen Einblick in die historische Wahrheit über den Papst, der mit seinem Handeln Tausenden von Juden das Leben rettete. Von Armin Schwibach - Beide Filmteile in der ARD-Videothek abrufba


Rom (kath.net/as) Zu Allerheiligen wurde in Italien und Deutschland der zweiteilige Fernsehfilm „Pius XII.“ (Regie: Christian Duguay) ausgestrahlt, dessen Titel in der italienischen Version „Sotto i cieli di Roma“ („Unter dem Himmel von Rom“) lautet. Die internationale Koproduktion stellt die grundlegende Rolle Papst Pius’ XII. für die Rettung Roms und vieler verfolgter Juden in den Jahren 1943 bis 1944 dar. Der Film hat es sich zum Ziel gesetzt, nach der seit fast 50 Jahren andauernden geschichtsverfälschenden „schwarzen Legende“ vom „schweigenden Papst“ im Licht der neuesten historischen Forschungen Momente der dramatischsten Ereignisse in Rom während der verbrecherischen Naziherrschaft in der Stadt zu rekonstruieren. Er lässt die Bemühungen des Heiligen Stuhles erkennen, den Juden Roms Unterschlupf in den Kirchen und Klöstern der Ewigen Stadt zu gewähren.

Wohl selten ist es einer historischen Gestalt widerfahren, dass sie, veranlasst durch ein Theaterstück, Opfer eines totalen Rufmordes geworden ist, wie dies mit Pius XII. durch Rolf Hochhuths Theaterstück „Der Stellvertreter“ geschehen ist. Hochhuth schaffte es mit seinem „christlichen Trauerspiel“, das im Jahr 1963 uraufgeführt wurde (fast fünf Jahre nach dem Tod des Pontifex und über 20 Jahre nach den tragischen Ereignissen des II. Weltkrieges und der Schoah), dass das für Rom und die Welt so wichtige Wirken des Papstes vergessen und Pius XII. selbst mit verleumderischen Schmutz beworfen wurde. Dass Hochhuths Werk zu einer Propaganda gehörte, die es dem sowjetischen Regime mit seinen Geheimdiensten ermöglichen sollte, den Papst und damit die moralische Autorität der Kirche anzugreifen und zu zerstören, gehört zu einem anderen Kapitel dieser Geschichte: „Der Stellvertreter“ war in den 60er Jahren Pflichtprogramm vieler Kolchosen und anderer sowjetischen Einrichtungen, dies mit dem Ziel, die katholische Kirche und das Christentum durch die Darstellung eines schwachen, dem nationalsozialistischen Regime ergebenen Pius XII. in ihren Grundfesten anzugreifen und zu zerstören.

Was jedoch bei einem Blick auf die wahre Geschichte überrascht, ist, dass eine propagandistische Fiktion an die Stelle einer objektiven sowie gut dokumentierten Geschichtsschreibung treten konnte und auf eine Weise zum Bestandteil des allgemeinen Bewusstseins wurde, dass heute noch viele nur eines „wissen“: Pius XII. war der Papst Hitlers, Pius XII. hat geschwiegen, Pius XII. hat nichts zur Rettung des jüdischen Volkes vor dem nationalsozialistischen Rassenwahn getan. Jedem Zeitzeugen oder in der zur Verfügung stehenden sowie sehr umfangreichen Dokumentation bewanderten Menschen kann die üble Angewohnheit nur erstaunen, Thesen in bereits vorhandenen Veröffentlichungen (in diesem Fall: literarischer Art!) ohne jegliche Verifikation der Fakten immer wieder neu wiederzukäuen. Ein derartig unwissenschaftliches und intellektuell unredliches Verfahren produziert nichts anderes als eine Reihe von Hypothesen, denen jede dokumentarische Basis fehlt. Die öffentliche Meinung wird so zum Opfer einer Desinformation, so dass sie sich in einer nur als töricht zu bezeichnenden Weise mit einer veröffentlichten Meinung identifiziert.

Geschichte, nicht Geschichten

„Sei stolz, dass du Jude bist!“ rief Pius XII. einem Jungen zu, dem er 1941 während einer Audienz begegnete. Von diesem Geschehen berichtete die Zeitung „Palestine Post“ bereits 1945. Und nicht nur: der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide schrieb kurz vor seinem Tod 1997: „Die katholische Kirche ermöglichte unter dem Pontifikat von Pius XII. die Rettung von mindestens 700.000, wahrscheinlich aber sogar von 860.000 Juden vor dem sicheren Tod unter den Händen des Nationalsozialismus. Diese Zahlen übersteigen bei weitem die der von allen anderen Kirchen, religiösen Einrichtungen und Hilfsorganisationen zusammengenommen.“

Direkt griff Pius XII. zur Rettung der römischen Juden während der deutschen Besatzung vom September 1943 bis Juni 1944 ein. Nach der Befreiung Roms durch amerikanische Truppen erklärten jüdische Überlebende: „Wenn wir gerettet worden sind, wenn noch immer Juden in Rom leben, dann kommt mit uns und dankt dem Papst im Vatikan. Denn im Vatikan selbst, in Kirchen, Klöstern und Privathäusern wurden Juden auf seinen persönlichen Befehl versteckt“.

„Der Heilige Stuhl bietet seine mächtige Hilfe überall an, wo es ihm möglich ist, das Los meiner verfolgten Religionsgenossen zu lindern“, so Chaim Weizmann über Pius XII. im Jahr 1943. „Die wiederholten Interventionen des Heiligen Vaters zugunsten der Jüdischen Gemeinschaft in Europa haben bei Juden überall auf der Welt die tiefsten Gefühle der Wertschätzung und Dankbarkeit hervorgerufen“: Dies erklärte Rabbi Maurice Perlzweig 1944 in einem Schreiben an Erzbischof Amleto Giovanni Cicognani, Apostolischer Delegat in Washington.

„In den schwierigsten Zeiten, welche die Juden Rumäniens zu überstehen hatten, war der großzügige Beistand des Heiligen Stuhls entscheidend und heilsam. Es ist nicht einfach für uns, die richtigen Worte zu finden, um die Wärme und Tröstung auszudrücken, die wir aufgrund der Besorgnis des Pontifex Maximus erfuhren, der große Summen an Geld bot, um das Leid der deportierten Juden zu erleichtern... Die rumänischen Juden werden diese Tatsachen von historischer Tragweite nie vergessen“, so Dr. Alexandru Șafran, rumänischer Oberrabbiner von 1939 bis 1948, in einem Schreiben an Erzbischof Andrea Cassulo, Apostolischer Delegat in Rumänien, 1944.

„Das Volk von Israel wird nie vergessen, was Seine Heiligkeit für unsere unglücklichen Brüder und Schwestern in dieser höchst tragischen Stunde unserer Geschichte tut. Das ist ein lebendiges Zeugnis der göttlichen Vorsehung in dieser Welt“, so der Oberrabbiner Isaak Herzog, 1944.

„Ich sagte ihm (dem Papst), dass es im Namen der jüdischen Öffentlichkeit meine erste Pflicht sei, ihm und durch ihn der katholischen Kirche für alles zu danken, was sie in den verschiedenen Ländern getan hat, um die Juden zu retten“, erklärte Mosche Scharett, der spätere zweite Ministerpräsident Israels, über eine Audienz bei Papst Pius XII. nach dem Ende des Kriegs

„Sechs Millionen meiner Religionsgenossen wurden von den Nazis ermordet, doch es hätte noch viel mehr Opfer gegeben ohne die wirksamen Interventionen Pius XII.“, verdeutlichte Dr. Raffael Cantoni, Präsident der Union Jüdischer Gemeinden in Italien im Jahr 1955. Deshalb erklärten die Juden Italiens im selben Jahr den 17. April zum „Tag der Dankbarkeit“ für die Hilfe des Papstes.

Bekannt und bewegend ist auch die Wortmeldung der damaligen israelischen Außenministerin und späteren Ministerpräsidentin Golda Meir anlässlich des Todes Pius’ XII. im Jahr 1958: „Als unser Volk im Jahrzehnt des Naziterrors ein fürchterliches Martyrium erlitt, hat sich die Stimme des Papstes erhoben, um die Henker zu verurteilen und um Mitgefühl für die Opfer zum Ausdruck zu bringen. Unsere Epoche ist durch diese Stimme bereichert worden, die sich im Namen der großen sittlichen Werte über dem Tumult und den täglichen Konflikten erhob“.

Und Elio Toaff, Oberrabbiner in Rom von 1951 bis 2001, den eine freundschaftliche Beziehung mit Papst Johannes Paul II. verband und der auch Benedikt XVI. während dessen Besuchs in der Synagoge am 17. Januar 2010 trotz seines hohen Alters und seines gebrechlichen Gesundheitszustandes persönlich grüßen wollte, scheute sich nicht zu erklären: „Wir hatten die Gelegenheit, die große, mitfühlende Güte und Großherzigkeit Papst Pius’ XII. zu erleben, während der unglücklichen Jahre der Verfolgung und des Terrors, als es schien, dass es für uns kein Entkommen mehr gab“.

Das Lamm und die Bestie

Es besteht kein Zweifel: Pius XII. handelte, und die Dankbarkeit des römischen Volkes und der Juden stellen hierfür ein eindrucksvolle Zeugnis dar. Er handelte innerhalb einer großen, fürchterlichen Schlacht, die der Widersacher, sich der Hand Hitlers bedienend, gegen die Welt und gegen Gott entfacht hatte. Pius XII. und die Kirche Roms standen im Mittelpunkt der Gewalt des Bösen und widerstanden ihr. Es gehört zu den Verdiensten des Films, dass er die metaphysische Dimension des Kampfes des Bösen gegen das Gute als die Größe herausstellt, durch die es möglich wird, die Geschehnisse, vermittelt durch die dramatischen menschlichen Angelegenheiten, in ihrem wahren Ausmaß zu erkennen.

Pius XII. war ein Papst, den die unendliche Liebe Gottes in seinem Wirken trug. Unmittelbar nach der Befreiung Roms sagte er am 23. Juli 1944 gegenüber den Mitgliedern des „Circolo San Pietro“ in seinem Dankeswort für deren Arbeit: „Ihr helft Uns dabei, dass sich in größerem Umfang Unser Wunsch erfüllt, die vielen Tränen zu trocknen und so viel Leid zu lindern“. Der Papst verwies dann auf die für jeden Christen zentrale Bedeutung der Ermahnung des Apostels Paulus an die Kolosser (3,14–14): „Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. In eurem Herzen herrsche der Frieden Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes“.

Der Widersacher scheint es dem ehrwürdigen Diener Gottes Pius XII. nicht vergeben zu haben, dass er sich ihm als Stellvertreter des Sohnes Gottes auf Erden entschlossen entgegenstemmte. Er wartete auf seinen Tod und die Bereitschaft einer anderen verbrecherischen Macht, um einen der größten Päpste des 20. Jahrhunderts zu verleumden und die Menschen mit einem vermeintlichen Wissen zu betrügen. Aber wie es seit 1949 in der Nationalhymne des Vatikans lautet: „Non praevalebunt horrendae portae infernae, sed vis amoris veritatisque aeternae“. Denn zum Glück hat Christus seinem Stellvertreter verheißen: „Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo Ecclesiam meam; et portae inferi non praevalebunt adversum eam (Mt 16,18). Nur wer sich an diesen Fels hält, kann sich vor dem Untergang retten.

Beide Filme in der ARD-Mediathek abrufbar:

Teil 1

Teil 2


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kathTube: 3-teiliges Interview mit Michael Hesemann über Pius XII:








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