29. Dezember 2010 in Deutschland
Über den Religionsunterricht in Deutschland, von Monika Metternich, Die Tagespost.
Würzburg (www.kath.net/ Tagespost)
Kaum irgendwo auf der Welt haben katholische Schüler so gute Voraussetzungen, über ihre Religion Bescheid zu wissen wie in Deutschland. Konkordate regeln, dass die Kirchen einen Rechtsanspruch gegenüber dem Staat auf Erteilung von Religionsunterricht haben. Warum auf der Basis dieser hervorragenden Voraussetzungen so wenig hängenbleibt, wie Papst Benedikt XVI. im Interview mit Peter Seewald (Licht der Welt) rätselte, wird viel diskutiert. Selten hört man jedoch von den Fällen gelingenden Religionsunterrichtes, bei dem nicht nur etwas hängenbleibt, sondern der die Schüler auch befähigt, ihren Glauben in einer pluralistischen Gesellschaft zu begründen, gelebte Formen des Glaubens kennenzulernen und für sich zu prüfen sowie ihre Urteilskraft in der Welt von heute zu schärfen.
Solche positiven Beispiele können aufzeigen, wie Wege aus der Krise bewerkstelligt werden können. Statt bei der Kritik stehen zu bleiben, finden Schulen und einzelne Lehrer innerhalb des bestehenden Systems gangbare Wege, um Glaubenswissen und dessen Konsequenzen modern und ansprechend zu vermitteln. Wie Schulen und Lehrer vorgehen, denen durch die Grundlagenpläne und mehr noch bei den demnächst zu erlangenden Kernkompetenzen große Freiheiten in der Stoffvermittlung gegeben sind, um einen in sich konsistenten und zu Glaubenswissen führenden RU zu erteilen, soll im Folgenden exemplarisch vorgestellt werden. Dabei werden zunächst jeweils einzelne Krisenpunkte vorangestellt, um dann mit Beispielen aus der Praxis aufzuzeigen, wie erfolgreiche Lösungen aussehen können.
Abnehmende kirchliche Bindung erfordert neues Herangehen
Fast alle befragten Lehrer stimmten darin überein, dass sehr viele Schüler heute von zu Hause kaum oder gar kein religiöses Wissen mehr mitbringen. Die heutigen Lehrpläne setzten schon in der Grundschule indes auch wenn dies nicht intendiert ist - eine religiöse Sozialisation stillschweigend voraus. Da macht man heute ein wenig Zachäus, morgen ein wenig Exodus, dann Ökumene, zwischendrin noch Josef in Ägypten und Jona im Wal und über all das breitet dann noch Maria ihren Mantel aus (Diakon Gerd Wagner, Paffenberg-Grundschule und Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule Ober-Ramstadt). Legt man den Glauben der Kirche zugrunde, liegt die Lösung des Problems genau im umgekehrten Weg: Die Offenbarung der Heiligen Schrift, deren Geschichten schon in der Grundschule zur Vermittlung anstehen, trägt ihre Wirkung bereits in sich und kann dann individuell in Korrelation mit dem Leben der Schüler gebracht werden.
Um eine religiöse Grundlage zu schaffen, macht es daher mehr Sinn, eine nachvollziehbare Reihenfolge der Inhalte einzuhalten und an ihnen die im Lehrplan vorgegebenen Korrelationsmodelle anzuwenden: In der Grundschule beginne ich mit dem Thema Schöpfung, als dem Zuspruchsthema für die Kinder. Dann stehen natürlich die großen bibischen Erzählungen auf dem Plan: Noah, Turmbau zu Babel, Jona, Abraham, Josef in Ägypten, Exodus/Moses/Dekalog, Ester und schließlich David/Salomo. Im vierten Schuljahr habe ich mir die Freiheit genommen, eine eklatante Lücke zu schließen und beschäftige mich lange und ausgiebig mit dem Leben Jesu. Das wird in den gegenwärtigen Lehrplänen nur in zerstückelter Form aufgegriffen (Gerd Wagner). Wesentlich sei das gemeinsame Gebet in jeder seiner Klassen zum Stundenbeginn, in welches man auch wunderbar aktuelle Ereignisse mit einbeziehen kann.
Andere an Grundschulen unterrichtende Religionslehrer berichteten, das Auswendiglernen von einzelnen Inhalten wie zum Beispiel des Vater unser, der Zehn Gebote und bei ganz mutigen Lehrern sogar das Credo und zwar ausdrücklich als Gebet! - stelle dabei eine positive Herausforderung dar und könne problemlos in den Lehrplan eingefügt werden.
In religionspädagogischer Hinsicht zielt religiöse Kompetenz auf die Aneignung religiöser Inhalte, nicht (nur) auf deren Vermittlung, heißt es im Allgemeinen Direktorium für die Katechese das Memorieren von zentralen christlichen Texten kann diesem Anspruch bereits in der Grundschule dienen. Darüber hinaus erklärten Pater Jakob Schwinde OCist vom Gymnasium Marienstatt und Pater Philipp Görtz SJ vom Aloisiuskolleg Bonn fast gleichlautend, dass es heute darum gehe, eine religiöse Sprache wieder neu sprechen zu lernen und den Schülern Gelegenheiten zu eröffnen, in denen sie den Sinn dieser Sprache überhaupt verstehen können. Dabei gehe es um mehr als um die Vermittlung von Wissen, nämlich an die Heranführung an religiöse Erfahrungsräume und die Entdeckung der religiösen Dimension im Alltag.
Spielräume nutzen
Oft wird beklagt, dass die Freiheiten der einzelnen Schule und des einzelnen Lehrers im RU so groß seien, dass es überhaupt nicht auffalle, wenn Schüler jedes Jahr dieselben Themen behandelten und das Fach Religion zum unverbindlichen Laberfach verkomme. Sieht man die Kernthemen im für die Schulklassen 5-10 sowie für die gymnasiale Oberstufe verbindlichen Grundlagenplan an, kann man jedoch kaum verstehen, warum die meisten Schüler sich ausschließlich an Islam als Unterrichtsthema erinnern können. Es liegt an den Lehrern und Fachkonferenzen, ob die Kernthemen des Grundlagenplanes korrelativ vermittelt werden. Tatsächlich ist Korrelation spätestens ab der 5. Klasse sehr wichtig, da die Schüler ein feines Gespür dafür haben, ob ihnen Inhalte andoziert (Mathias Molzberger, Aloisiuskolleg Bonn) werden oder ob diese sie selbst existentiell betreffen.
Die Schüler merken recht schnell, ob eine Sequenz, Reihe bzw. mehrere Reihen eine Sachlogik aufweisen. Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass die Schüler merken, dass sie auf Vorwissen aus vergangenen Einheiten zurückgreifen können, um eine Verlinkung der Themen möglich zu machen (Christian Pulfrich, Gymnasium Marienstatt). Da die Kernthemen häufig bibelorientiert sind, erscheint es erforderlich, zunächst den Umgang mit der Bibel selbst zu thematisieren: In der Sekundarstufe nehme ich mir ebenfalls die Freiheit, eine Einheit zum Thema Bibel einzufügen, weil viele Schüler überhaupt nicht wissen, was die Bibel genau ist, geschweige denn, wie man sie benutzt. Wenn man das einmal grundlegend bearbeitet, können die Schüler die Bibel immer wieder im Unterricht verwenden (Gerd Wagner).
Dasselbe gilt für Fachwissen wie etwa die Erläuterung und Unterscheidung von Begriffen wie Juden, Volk Israel, Israeliten, Tora, Tempel, Pharisäer und Sadduzäer. Natürlich sieht der Lehrplan auch Themen wie Islam, Ökumene und zahlreiche ethische Themen vor. Ich lege meinen Schwerpunkt jedoch auf die kirchlichen Themen: Ein großer Teil der Schüler weiß erschreckend wenig über Kirche und Christentum. Da wird alles verwechselt und vieles nur halb oder gar nicht gewusst. Bevor ich also in die Moschee gehe oder das Thema Evangelisch/Katholisch aufgreife, möchte ich erst einmal, dass die Schüler ihren eigenen Glauben einigermaßen kennen. Daher stehen für mich Themen wie z.B. Kirche und Sakramente im Vordergrund (Gerd Wagner).
Geschlossene und zusammenhängende kirchliche Texte lesen
Eine weitere Kritik am gegenwärtigen katholischen RU lautet, zentrale und zusammenhängende biblische und religiöse Texte kämen kaum vor, die Textteile in den Religionsbüchern seien frei schwebend, bruchstückhaft und ohne Zusammenhang. Im Ethikunterricht würden indes philosophische Grundtexte im Zusammenhang vorgestellt sowie ganze Bücher gelesen und erarbeitet. Religionslehrer speziell in katholischen Schulen sehen das Lesen von größeren Texteinheiten als wesentlich an: P. Jakob Schwinde vom Gymnasium Marienstatt bestätigt: Von der Orientierungs- zur Oberstufe sollten wie in anderen Fächern auch auch religiöse Texte nach und nach umfangreicher werden bis hin zur Lektüre von Ganzschriften, die spätestens in der Oberstufe unabdingbar sind.
Dazu gehören auch ganze Bücher der Bibel. In der Christologie habe ich z.B. Schüler bereits zweimal das gesamte Markusevangelium lesen und erarbeiten lassen (Kombination aus selbstständiger Erarbeitung per Evangeliums-Logbuch und gemeinsamem Erarbeiten von Passagen und Problemfeldern im Unterricht). Der Effekt war ein viel breiter angelegtes Sachwissen und vor allem die erhöhte Fähigkeit, Zusammenhänge erkennen und darstellen zu können. Das hat sich dann auch in mündlichen Abiturprüfungen so gezeigt.
Im Aloisiuskolleg Bonn werden laut Auskunft von P. Philipp Görtz und Mathias Molzberger etwa ab der Mittelstufe geschlossene Texte aus dem Katechismus gelesen, analysiert und verglichen. Gerade die ethischen Vorgaben des Lehrplans rechtfertige die Vorstellung des Glaubens der Kirche im Vergleich etwa zu säkularen Ansätzen (Goldene Regel). Größere Textabschnitte aus Enzykliken werden ebenso erarbeitet gleichermaßen wird regelmäßig Textarbeit an ganzen Perikopen und größeren biblischen Einheiten vorgenommen beispielsweise die ganze Bergpredigt in der Mittelstufe sowie die beiden Schöpfungsberichte in der Oberstufe. Ihr katholisches Profil begünstigt hier auch die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen wie zum Beispiel dem Deutsch-, dem Biologie- und dem Sozialwissenschaftsunterricht sowie, wo vorhanden, mit dem Fach Philosophie.
Dieses Zusammenwirken ist vom Grundlagenplan ausdrücklich erwünscht und als in der Didaktik des katholischen RU begründet beschrieben wird allerdings eher in Schulen mit ausdrücklich katholischem Profil verwirklicht.
Christliche Ethik in einer pluralistischen Gesellschaft
Ein weiterer Kritikpunkt am katholischen Religionsunterricht betrifft die Unverbindlichkeit der ethischen Inhalte. Zuweilen entsteht der Eindruck, alles sei irgendwie ok, jede Meinung sei zulässig. Auch hier gibt es eindrucksvolle Gegenbeispiele: Wir erziehen zur Freiheit, nicht zur Unverbindlichkeit, sagt P. Philipp Görtz vom Bonner Aloisuiuskolleg. Für ihn gelten die drei C - Competence, Conscience, Compassion als Schlüsselqualifikationen ignatianischer Pädagogik. Schulmesse und Schulpastoral gehören neben der kognitiven Aneignung dort ebenso zum Programm wie die jährlichen Sozialpraktika, welche intensiv von katholischen Religionslehrern betreut werden.
Die Kollegen vom Gymnasium Marienstatt sehen es ähnlich: Ein wichtiger Punkt ist, dass die Schüler merken, dass in einer Schule die christliche Ethik nicht nur im Schulprofil steht: Wir bemühen uns durch verschiedene Angebote (Stufengottesdienste, Schulwallfahrt, Taizé-Fahrt, Compassion-Sozialpraktikum, Schulseelsorge etc.) den Schülern die Möglichkeit zu geben, die Ethik des Christentums live zu erleben (Christian Pulfrich). Katholische Schulen haben hier durch ihr Profil sicher größere Möglichkeiten als staatliche.
Aber die Vermittlung dieses Tenors ist auch an staatlichen Schulen möglich. Gerd Wagner von der Gesamtschule Ober-Ramstatt bringt es auf den Punkt: Es geht nicht um ein Nebeneinander verschiedener ethischer Positionen oder eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern um das tiefere Verstehen der kirchlichen Lehre im Kontext der Zeit. Das heißt gerade in diesem Bereich, dass hier das Zeugnis des Lehrers umso wichtiger ist.
Wege aus der Krise
An solch positiven Beispielen gelingender Vermittlung von religiöser Kompetenz in katholischen und staatlichen Schulen wird sichtbar, welcher Weg aus der Krise des Religionsunterrichts führen kann. Die Diskussion und Reflexion bezüglich fachlichen Lernens einerseits und dem Erwerb von Kompetenzen andererseits ist noch nicht abgeschlossen. Hoffnungen bezüglich der Stringenz der Inhalte und deren größerer Verbindlichkeit werden an die schulische Verwirklichung der Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz von 2005 geknüpft. Die Freiheit jeder Schule, ihrer Fachkonferenzen und des einzelnen Lehrers bei der Vermittlung bleibt aber bestehen.
Da der Erwerb religiöser Kompetenzen letztlich nicht abprüfbar wie im Fach Mathematik ist, können veränderte Curricula allein die bestehenden Probleme nicht lösen. Von wesentlicher Bedeutung ist indes weiterhin vor allem der einzelne Religionslehrer idealerweise in Kooperation mit der Fachkonferenz seiner Schule - der aus seiner christlichen Überzeugungskraft heraus mit pädagogischem Know-how nicht nur religiöse Kompetenz vermittelt, sondern mit seiner Person für den Glauben der Kirche einsteht.
Da aber die Möglichkeiten des einzelnen Lehrers gerade in nichtkonfessionellen Schulen durch Lehrerwechsel und angesichts sehr heterogener Fachkonferenzen begrenzt sind, könnte eine Vernetzung von motivierten Religionslehrern zur gegenseitigen Beratung und Unterstützung beitragen. Das Augenmerk der Bischöfe sollte sich wiederum auf die Ausbildung und Auswahl glaubensstarker Religionslehrer richten, um den Weg aus der Krise des Religionsunterrichts tatkräftig zu unterstützen.
Das ist eine Frage, die ich mir auch stelle. In Deutschland hat jedes Kind neun bis dreizehn Jahre Religionsunterricht. Wieso dann gar so wenig hängen bleibt, um es mal so auszudrücken, ist unbegreiflich. Hier müssen die Bischöfe in der Tat ernsthaft darüber nachdenken, wie der Katechese ein neues Herz, ein neues Gesicht gegeben werden kann." (Papst Benedikt in 'Licht der Welt')
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