,Wir sollten nicht zu viel jammern und klagen‘

31. Dezember 2010 in Österreich


Predigt bei der Jahresschlussandacht von Diözesanbischof Klaus Küng.


St. Pölten (www.kath.net)
Liebe Schwestern und Brüder !

Einmal mehr stehen wir am Ende eines Jahres und am Anfang eines Neuen. Wir sagen Gott Dank für alle Wohltaten, die wir im Verlaufe des zu Ende gehenden Jahres empfangen haben. Wir haben vorher gebetet: „Gott, unser Vater, Ursprung alles Guten, was wir sind und was wir haben, kommt von Dir.“

Das zu Ende gehende Jahr war facettenreich wie das Leben selbst. Zunächst müssen/dürfen wir sagen, dass es in unserem Land und in unserer Diözese im Wesentlichen ein friedliches Jahr war: wirtschaftlich ist eine merkliche Erholung und Beruhigung eingetreten und diözesan hatten wir keine besonderen Auseinandersetzungen. Für die Kirche in Österreich und die Kirche insgesamt war es ein eher schwieriges Jahr insbesondere bedingt durch die bekanntgewordenen, in der Öffentlichkeit breit diskutierten und kommentierten Missbrauchsfälle.

Die Kirche ist regelrecht in Misskredit geraten, was sich in ganz Österreich in den hohen Austrittszahlen niedergeschlagen hat. Eine genauere Betrachtung der gesellschaftlichen und kirchlichen Gegebenheiten macht freilich bewusst, dass nun eine Entwicklung, die sich seit längerem angebahnt hat, immer deutlicher ans Tageslicht kommt. In den letzten Jahrzehnten haben sich viele Menschen, bedingt durch zahlreiche Faktoren, von der Kirche innerlich entfernt; ihre Bindung an die Kirche hat sich verdünnt und Anlassfälle wie das Vorkommen von Missbrauch, innerkirchliche Turbulenzen, aber auch lehramtliche Stellungnahmen, die den Kontrast zwischen verbindlicher Lehre und der mehrheitlichen Lebenspraxis deutlich erkennen lassen, führen zum Zerreißen des brüchig gewordenen Bandes.

Es gab aber im zu Ende gehenden Jahr – neben dem in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzenden Alltag in den Pfarren - auch nicht wenige positive Lebenszeichen in der Kirche. Im Mai wurde in Mariazell der PGR-Kongress gefeiert: Es gab zwar dort manche schrille Töne, aber insgesamt war es ein eindeutiges Zeichen der Lebendigkeit. Beeindruckend war auch die gesamtösterreichische Jugendwallfahrt im Sommer, die eine junge Kirche in Erscheinung treten ließ.

In unserer Diözese war sehr erfreulich die Feier des 350-jährigen Jubiläums von Maria Taferl mit der Altarweihe am 12. September als Abschluss der gelungenen Renovierung und mit dem Projekt der 33-Schritte, das dazu führte, dass eine große Zahl von Gläubigen am 8. Dezember ganz bewusst ihr Taufversprechen erneuert hat. Man konnte wahrnehmen, dass bei vielen Christen unseres Landes angesichts der aktuellen Entwicklungen in Gesellschaft und Kirche eine gute und gesunde Reaktionsfähigkeit gegeben ist.

Mir scheint für die Beschreibung der kirchlichen Situation heute total zutreffend, was Kardinal Newman in Bezug auf seine Zeit gesagt hat: Die Sache Jesu liegt wie im Todeskampf und dennoch schreitet der Herr von Dunkelheit zu Dunkelheit wirksamer denn je durch unsere Zeit.

Christus hat in so manchen schwierigen Situationen zu seinen Jüngern gesagt: „Fürchtet Euch nicht“. Er sagt es auch zu uns. Zugleich ist sein Auftrag eindeutig: „Euch aber muss es zuerst um das Reich Gottes und um seine Gerechtigkeit gehen.“ Davon dürfen wir überzeugt sein: In dieser unserer Zeit besitzt dieser sein Auftrag eine besondere Dringlichkeit und das erfordert, dass wir mit Entschlossenheit manche Schritte setzen in der Verkündigung, in der sakramentalen Praxis und in der Bemühung um ein entsprechendes kirchliches bzw. christliches Leben.

Wir sollten nicht zu viel jammern und klagen, sondern daran denken: es ist unsere Berufung, die kirchliche Sendung in dieser heutigen Zeit zu verwirklichen. Dieses Bewusstsein lässt mich einen Blick auf das kommende Jahr werfen.

Zunächst ist die Bitte um den Segen Gottes wichtig wie es im Antwortpsalm der morgen Messe heißt: „Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten, damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil.“

Es ist notwendig, einen tiefer gehenden Besinnungsvorgang einzuleiten. Eine große Gefahr unserer Zeit ist die Relativierung, fast aller Inhalte der Glaubens- und der Sittenlehre, ja überhaupt dessen, was ein christliches Leben ausmacht. Diese Relativierung ist überall fast selbstverständlich geworden und zwar nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche. Anders gesagt: Jeder lebt sein Christentum nach eigener Façon, nimmt aus den Glaubensinhalten und aus den Geboten Gottes und der Kirche nur das für sich als gültig heraus, was zur eigenen Lebensweise dazupasst.

Man sagt sich, heute ist das oder jenes nicht mehr so starr zu verstehen wie früher; man beruft sich auch auf unterschiedliche Aussagen von diesem oder jenem. Wahr ist, dass es aufgrund dieses überall präsenten und fast alles betreffenden Pluralismus, der ja in manchen Belangen seine Berechtigung hat, nicht einfach ist, zur Klarheit zu gelangen, was jetzt richtig ist oder falsch. Gerade in dieser Situation halte ich eine Art Grundbesinnung für dringend notwendig. Sie muss die zur Frage führen: Wo stehe ich in meiner Beziehung zu Gott, in meiner Beziehung zum Nächsten, zu mir selbst? Wie halte ich die Gebote Gottes, der Kirche? Welche sind sie, was bedeuten sie, welche Konsequenzen ziehe ist? Lebe ich entsprechend dem Evangelium Christi? Mit diesem Besinnungsvorgang im Zusammenhang halte ich die Erneuerung der Buß- und Beichtpraxis für ein sehr wichtiges Vorhaben, das uns z.B. für die kommende Fastenzeit als wichtiges Ziel vorschweben könnte, sollte.

Große Anliegen sind die Förderung der christlichen Familie und der geistlichen Berufe. Beide Anliegen sind sehr eng miteinander verbunden. Es freut mich, dass von der Berufungspastoral vor kurzem vorgeschlagen wurde, die Pfingstnovene stärker zu beleben durch eine intensive Pflege der eucharistischen Anbetung möglichst Tag und Nacht zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingstfest verbunden mit einem intensiven Verlangen nach dem Wirken des Heiligen Geistes in den Herzen aller, damit wir uns dessen bewusst werden, welches unsere Berufung für unser Leben darstellt.

Schließlich halte ich für grundlegend, was Papst Johannes Paul II. am Beginn des 21. Jhdts. als eine unerlässliche Anforderungen für die Kirche unserer Zeit angesehen hat. Er sagte, jede Pfarre müsse eine Art Gebetsschule sein. Mit Gott verkehren, Gott suchen, auf ihn hören lernen, beten. Das ist ein Grundvollzug jedes Christseins; es ist die Seele der Liturgie, die Seele des geistlichen, des christlichen Lebens und sehr oft der Anfang von Besserung und Umkehr. Daher möchte ich insbesondere im kommenden Herbst alle Gläubigen unserer Diözese dazu auffordern, jene „Schule“ zu besuchen, die keine behördliche Bewilligung braucht, auch nicht den Konsens der Politiker. Es handelt sich um eine Schule, die sehr wichtige Kenntnisse vermittelt, Kenntnisse, die ein Leben tiefgreifend verändern können.

Am morgigen Hochfest der Gottesmutter Maria heißt es im Tagesgebet: „Barmherziger Gott, durch die Geburt Deines Sohnes aus der Jungfrau Maria hast Du der Menschheit das Ewige Heil geschenkt. Lass uns auch im Neuen Jahr immer und überall die Fürbitten der gnadenvollen Mutter erfahren, die die uns den Urheber des Lebens geboren hat.“ Seien wir im Vertrauen auf diese Fürsprache zuversichtlich und gehen wir voll Hoffnung in das Neue Jahr. Der Herr wird sich auch in unserer Zeit als Erlöser und Sieger erweisen.


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